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Neuburg: Herausragende Offenheit und Sarkasmus: Ernst-Toller-Preis geht an österreichische Schriftstellerin

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Herausragende Offenheit und Sarkasmus: Ernst-Toller-Preis geht an österreichische Schriftstellerin

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    Der Blumenbaum wächst um einen weiteren Zweig, der Gertraud Klemm gewidmet ist.
    Der Blumenbaum wächst um einen weiteren Zweig, der Gertraud Klemm gewidmet ist. Foto: Annemarie Meilinger

    Im Neuburger Stadttheater ist am Samstagabend der Ernst-Toller-Preis verliehen worden. In der 25-jährigen Geschichte des Vereins ist es der elfte Preis, zum vierten Mal bekommt den silbernen Zweig und das Preisgeld in Höhe von 5000 Euro eine Frau. Der

    Verleihung des Ernst-Toller-Preises im Stadttheater in Neuburg: "Sie mischt sich ein und beweist Mut“

    Die Hamburger Lektorin Dr. Kirsten Reimers erläuterte die Begründung der Jury. Die Schriftstellerin Gertrud Klemm, die inzwischen fünf Romane und einen Lyrikband veröffentlichte, dazu zahlreiche Erzählungen, „hinterfragt die Machtverhältnisse in gesellschaftlichen Strukturen im Alltäglichen, sie schaut genau hin. Sie mischt sich ein und beweist Mut“. Herausragende Offenheit, Schonungslosigkeit und Sarkasmus kennzeichneten ihr Werk.

    Die Literaturkritikerin Anne-Dore Krohn stellte in ihrer Laudatio nicht nur eine Gemeinsamkeit der Preisträgerin mit Ernst Toller fest, nämlich die Fähigkeit, „sich durch die taube Hornhaut der Gesellschaft durchzunagen“. Beide würden Dinge benennen, die viele nicht hören wollten. In Gertraud Klemms 2019 erschienen Roman „Hippocampus“ unternimmt die Protagonistin Elvira Katzenschlager einen „feministischen Roadtrip und Rachefeldzug gegen die männliche dominierte Erinnerungskultur, in dem sie Erregungsskulpturen an öffentlichen Plätzen errichtet“. In Gertraud Klemms Büchern gehe es um Gleichberechtigung im „Muttiversum“, um Fallstricke des Frauseins, Sackgassen in Biographien, Sexismus und um Frauen, die in der Muttifalle festklemmen, so

    Die Protagonisten des Abends (von links). Mark Friemel (Lionsclub), Gesellschaftsgründer Dieter Distl, Laudatorin Anne-Dore Krohn, Prof. Dr. Dr. Stefan Neuhaus, Jurymitglied Dr. Kirsten Reimers, die Preisträgerin Gertraud Klemm, die neue Vorsitzende der Ernst-Toller-Gesellschaft Mag. Irene Zanol und OB Bernhard Gmehling.
    Die Protagonisten des Abends (von links). Mark Friemel (Lionsclub), Gesellschaftsgründer Dieter Distl, Laudatorin Anne-Dore Krohn, Prof. Dr. Dr. Stefan Neuhaus, Jurymitglied Dr. Kirsten Reimers, die Preisträgerin Gertraud Klemm, die neue Vorsitzende der Ernst-Toller-Gesellschaft Mag. Irene Zanol und OB Bernhard Gmehling. Foto: Annemarie Meilinger

    Als „poetisch-literarisches Trampeln“, also als Protest gegen die „Mutter Natur“, bezeichnet sie das Anschreiben der Autorin gegen die naturgegebenen Ungerechtigkeiten des Mutterseins. Nur bei den Seepferdchen haben die Männchen eine Tasche, in der sie ihre Embryonen ausbrüten und austragen. „Mit typischen österreichischen atemlosen Suaden keppelt sie gegen scheinbar in Stein gemeißeltes an, ist unbequem, wütend und widerborstig. Ihre Säulenheiligen sind Denkerinnen wie Margaret Atwood, Simone de Beauvoir oder Sylvia Plath“, so Anne-Dore Krohn. Für ihr „mutiges, poetisches, kluges Keppeln“ bekommt sie den Ernst-Toller-Preis.

    Die Neuburger Ernst-Toller-Gesellschaft wurde von Dieter Distl als Kulturamtsleiter gegründet

    Gertraud Klemm steckte den von Dieter Distl überreichten Zweig an den von Rudolf Bott gestalteten Blumenbaum und polierte ihn noch ein bisschen. In ihrer Dankesrede empfahl sie – zur Veranschaulichung der von Mutter Natur eingerichteten Geschlechterrollen – einen Besuch im Zoo. „Elefantenbullen überlassen die Aufzucht den Weibchen, und Löwen fressen oft ihre Jungen auf, überlassen den Weibchen das Jagen und fressen dann die größten Brocken.“ Das anzusehen, sei so ernüchternd wie die Einsicht, „dass mit feministischer Literatur noch nie Staat zu machen war“. Deshalb könne die Patriarchatskritik nie aufhören. Kluger und publikumswirksamer Protest sei das, was sie mit Ernst Toller verbinde, so die Preisträgerin.

    Die Ernst-Toller-Gesellschaft wurde von Dieter Distl in der Anfangszeit seines Wirkens als Kulturamtsleiter gegründet. Damit wollte er das Andenken an den politisch verfolgten Schriftsteller, mit dem er sich auch in seiner Doktorarbeit beschäftigte, wahren. Der Verein ist inzwischen auf 80 Mitglieder angewachsen, die europaweit im Austausch sind. „Viele wurden durch den herben Charme und die wunderbare Ironie des Dr. Dieter Distl zu echten Tollerianern“, sagte der Koblenzer Professor Dr. Dr. Stefan Neuhaus in seiner Würdigung zum Jubiläum. Er schloss seine Rede mit einem Zitat Tollers: „Du glaubst nicht, wie glücklich Du einen Menschen machen kannst, wenn du ihm zeigst, dass du ihn achtest, wie er ist.“ Nach 25 Jahren im Amt des Vorsitzenden ist Dieter Distl jetzt Ehrenvorsitzender, die Gesellschaft hat neu gewählt. Magisterin Irene Zanol, Literaturexpertin an der Universität Innsbruck, ist jetzt die neue Vorsitzende.

    Die Neuburger Vibraphonistin Seon-Yeong Hoffmann übernahm den musikalischen Teil der Veranstaltung.
    Die Neuburger Vibraphonistin Seon-Yeong Hoffmann übernahm den musikalischen Teil der Veranstaltung. Foto: Annemarie Meilinger

    Wunderbar dezent und gefühlvoll begleitete die Neuburger Vibraphonistin Seon-Yeong Hoffmann die Veranstaltung in den Pausen zwischen den wortstarken Reden des Festakts. Bürgermeister Bernhard Gmehling gab seiner Freude darüber Ausdruck, dass nach 18 dunklen Monaten endlich wieder Leben in den Kulturtempel einkehrt. Dieter Distl würdigte er als einen, der „engagiert, kraftvoll und mit viel Herzblut“ die Ernst-Toller-Gesellschaft geführt habe. „Die hochkarätigen Preisträger des Ernst-Toller-Wettbewerbs bringen zudem einen besonderen Glanz in unsere Stadt.“ Er beglückwünschte die Gesellschaft zu ihrem 25-jährigen Bestehen.

    Genauso alt ist der Ortsverein des Lionsclubs, für den der Vorsitzende Mark Friemel die „erfolgreiche und legale Beschaffung von Geld“ für den Preis erläuterte. Das Preisgeld wird durch den jährlich stattfindenden Bücherbasar finanziert. Die Preisträgerin bedachte er mit einem Zitat von Ernst Toller: „Wir sind die letzte Generation, die sich noch Zeit zum Zweifel nimmt.“ Er fürchte, dass Toller damit recht habe, so Friemel.

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