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Neuburg: Häusliche Gewalt: Brutaler Frauenschläger vor Gericht in Neuburg

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Häusliche Gewalt: Brutaler Frauenschläger vor Gericht in Neuburg

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    Laut Bundeskriminalamt wurden im Jahr 2018 über 114.000 Frauen Opfer von Partnerschaftsgewalt.
    Laut Bundeskriminalamt wurden im Jahr 2018 über 114.000 Frauen Opfer von Partnerschaftsgewalt. Foto: Maurizio Gambarini, dpa (Symbolbild)

    Es begann mit Schlägen. Dann habe er sie getreten, sie geohrfeigt, in den Brustkorb geboxt. „Ich bin einfach zusammengesackt.“ Doch er hörte nicht auf. Der Mann, den sie zu lieben glaubte, zog sie an den Haaren nach oben und prügelte mit dem Wäscheständer weiter auf sie ein. Er versuchte, ihr ins Gesicht zu treten, bevor er ihr in den Rücken sprang. Brutalität eines solchen Ausmaßes, die in ihrer fast einjährigen Beziehung mit ihm insgesamt drei Mal vorgekommen sein soll.

    Nur wenige Monate nach diesem Tag im April steht die Hausfrau, Mitte 30, vor Gericht. Sie erzählt, dass sie eine Gehirnerschütterung hatte, und blaue Flecken am ganzen Körper. Diese Details zu schildern, fällt ihr schwer. Ihre Stimme bebt, die Hand, sie zittert. Die junge Frau ist Zeugin in dem Prozess, ihr ehemaliger Partner der Mann auf der Anklagebank. Vorgeworfen wird ihm laut Staatsanwaltschaft eine Menge – gefährliche Körperverletzung, körperliche Misshandlung, tätlicher Angriff, Beleidigung, Bedrohung und Verstöße gegen das Gewaltschutzgesetz sind nur einige Punkte, die Thorsten Schalk dem Schöffengericht im Saal 42 des Neuburger Amtsgerichts nennt.

    Amtsgericht Neuburg verhandelt häusliche Gewalt

    So kam es im Juni, es war Mittag, zu einer weiteren Auseinandersetzung des Paars. „Wir kamen nach Hause und haben gestritten“, erinnert sich die Zeugin. Dann packte er sie derart roh an den Ohren, dass Ärzte die drei Zentimeter lange Wunde später nähen mussten. Wieder in der Wohnung angelangt, habe sie sich auf einen Stuhl gesetzt und geweint, bis er sie noch einmal schlug, direkt auf das verletzte linke Ohr, er zerrte an ihr und drückte sie gegen die Wand. Sie schluchzte weiter, er würgte sie.

    Ein Schicksal wie dieses ist auch heute noch Realität. Die europäische Grundrechteagentur hat in einer Studie herausgefunden, dass sogar jede dritte Frau in Deutschland mindestens einmal körperliche oder sexuelle Gewalt seit ihrem 16. Lebensjahr erleben muss. Ähnlich ernüchternd sind die Erkenntnisse aus der Kriminalstatistischen Auswertung zur Partnerschaftsgewalt des Bundeskriminalamts. Die Untersuchung zeigt, dass 2018 insgesamt 140.755 Menschen Opfer von Partnerschaftsgewalt wurden – 114.393 Opfer waren weiblich. Schätzungen zufolge sollen die Übergriffe in Zeiten des Corona-Lockdowns noch gestiegen sein.

    Übergriffe: Gewalt gegen Frauen ist mehr als nur Schläge

    Eine, die die Geschichten hinter der Statistik kennt, ist Heike Stemmer. Sie arbeitet für das Diakonische Werk Ingolstadt. Wie sie erklärt, wird häusliche Gewalt noch immer oft mit Schlägen und körperlichem Schmerz assoziiert. „Häusliche Gewalt greift aber weiter.“ Es gebe psychische und finanzielle Ebenen. Sie sagt: „Häusliche Gewalt ist es oft immer dann, wenn der Mann versucht, irgendeine Macht über die Frau auszuüben.“

    Um Menschen in solchen Situationen zu unterstützen, bietet die Diakonie Notrufe, Beratungsstellen oder auch Frauenschutzhäuser an. Eine solche Zufluchtsstätte für Frauen in Not gibt es auch in Neuburg. Sie wurde 1985 zusammen mit der Christuskirche konzipiert und eröffnet. Ein Ort, der sich nach Ausführungen Heike Stemmers an Frauen aus dem Landkreis Neuburg-Schrobenhausen richtet, „die vor Gewalt, Bedrohung oder seelischer Misshandlung flüchten müssen“. In diesem geschützten Wohnbereich können Betroffene mit ihren Kindern für eine gewisse Zeit eigenverantwortlich leben. Selbst kochen, waschen und putzen, gleichzeitig aber Hilfe bekommen, wenn es um Behörden, Anträge oder Anzeigenerstattung geht. Die Frauen können sich hier stabilisieren und Mut schöpfen, das zerschmetterte Selbstwertgefühl stärken.

    Frauenschutzhäuser sind wichtige Zufluchtsstätten

    Wie lange jemand in der Wohnung bleibt, sei unterschiedlich, sagt Heike Stemmer. Manchmal handle es sich um mehrere Monate, dann wieder nur um eine Nacht. Manchmal sei die Zufluchtsstätte wochenlang ausgelastet, hin und wieder gebe es Lücken im Jahr. In manchen Fällen suchten sich die Frauen ein neues Zuhause, einige aber kehrten auch zu ihrem Partner zurück. Doch selbst dann, betont Heike Stemmer, sei es immer noch ein Zeichen für den Mann gewesen, dass die Frau fähig ist, ihn zu verlassen. Das könne schon einiges in der Machtkonstellation verändern.

    Obwohl sie unter Angststörungen und einem posttraumatischen Belastungssyndrom litt, nahm auch die Frau aus Neuburg ihren Lebensgefährten wieder bei sich auf, als Übernachtungsgast, so sei es zuvor mit der Vermieterin abgesprochen gewesen, schildert sie Christian Veh. Weshalb sie das getan habe, will der Richter von ihr wissen. Trotz eines Kontaktverbots, das sie gegen ihn erwirkt hatte. „Ich war jahrelang obdachlos, ich weiß selbst, wie es ist, kein Zuhause zu haben.“ Selbst als er festgenommen wurde, war die junge Frau bei ihm. Eine Art Täter-Opfer-Ausgleich, das ihre Therapeutin angeregt habe, um die Angststörungen zu bekämpfen. „Damit ich auch besser damit umgehen kann, einen Menschen ins Gefängnis gebracht zu haben.“ Das sei nicht leicht zu ertragen, „wir haben uns ja einmal geliebt“.

    Neuburger Frauenschläger in Haft

    Der Dachdecker, 47, sitzt momentan in Haft. „Ich kann es nicht mehr ungeschehen machen“, sagt er seiner Ex-Freundin vor Gericht, es tue ihm wahnsinnig leid. Damals sei viel Alkohol im Spiel gewesen, von beiden Seiten. Er räumt die Schläge, die Ohrfeigen, die Misshandlungen in der Wohnung umfangreich ein. Gleichzeitig bestreitet er, die vielen Beleidigungen und Drohungen, die er Polizisten gegenüber geäußert haben soll. Demnach soll er unter anderem in Richtung eines Beamten gespuckt und den Polizisten am Handschuh erwischt haben, mit der vermeintlichen Absicht – so steht es in der Anklageschrift – ihn mit dem Coronavirus zu infizieren. „Das stimmt nicht“, entgegnet der Angeklagte dezidiert. „Ich würde nie jemanden anspucken. Oder mit Corona infizieren. Ich hatte nie Corona. Ganz so drastisch, wie es die Staatsanwaltschaft formuliert, ist es nicht gewesen.“ Weil auch die Beamten als Zeugen im Prozess aussagen sollen, unterbricht Richter Christian Veh die Sitzung des Schöffengerichts. Die Verhandlung wird am Mittwoch, 21. Oktober, fortgesetzt.

    Unterdessen ruft die Diakonie Bayern zur Herbstsammlung auf, die vom 12. bis 18. Oktober geht. Aus diesem Anlass finden auch zwei Gottesdienste in den evangelischen Kirchengemeinden in Neuburg zum Thema „Hilfe bei häuslicher Gewalt“ statt: am Sonntag, 11. Oktober, um 10 Uhr in der Christuskirche und am Sonntag, 18. Oktober, um 10 Uhr in der Apostelkirche.

    Betroffene finden Hilfe und Beratung beim Diakonischen Werk Ingolstadt unter 0841/60288. Das Diakonische Werk ist in Neuburg am Schrannenplatz 131 zu finden.

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