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Neuburg: Diskussion: Wie lange hält Neuburg noch den Lockdown aus?

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Diskussion: Wie lange hält Neuburg noch den Lockdown aus?

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    Der Lockdown in Deutschland ist erneut verlängert worden. Vielen Menschen zerren die Maßnahmen mittlerweile an den Nerven - auch im Raum Neuburg.
    Der Lockdown in Deutschland ist erneut verlängert worden. Vielen Menschen zerren die Maßnahmen mittlerweile an den Nerven - auch im Raum Neuburg. Foto: Kira Hofmann, dpa (Symbol)

    Der Lockdown wurde einmal mehr verlängert. So mancher fragt sich, wie lange es so weitergehen kann. Eine beispielhafte Debatte zwischen dem Landtagsabgeordneten Matthias Enghuber (CSU) und einem Kritiker der Corona-Maßnahmen aus Neuburg – über Grundrechte, Vernunft und die Zukunft der Neuburger Innenstadt:

    Herr Enghuber, Sie als Landtagsabgeordneten und Stadtrat kennt man in der Region. Herr Bartels, wollen Sie sich kurz vorstellen?

    Thees Bartels: Ich bin Küchenmeister aus Neuburg, seit Ende März vergangenen Jahres in Kurzarbeit und Vater von drei Kindern. Auch meine Frau ist seit Kurzem in Kurzarbeit. Aber mir geht es nicht um meine eigene Person, sondern um Grundsätzliches. Wenn man mit Leuten derzeit spricht, merkt man, dass der Druck im Kessel steigt und der Unmut immer größer wird. Und für diese Leute möchte ich die Stimme erheben.

    Haben Sie auch den Eindruck, dass der Unmut steigt, Herr Enghuber?

    Matthias Enghuber: Ja, den habe ich auch. Wir müssen mittlerweile seit einem Jahr mit Corona leben. Die Bürgerinnen und Bürger müssen Einschränkungen in vielfacher Hinsicht hinnehmen. Es wünscht sich jeder, dass wieder Normalität einkehrt. Deswegen verstehe ich, dass Ungeduld da ist und man sich die Frage stellt, wie lange das noch geht. Ich spüre in Gesprächen, dass die Unsicherheit und die lange Dauer der Maßnahmen an den Nerven nagt.

    Zuletzt kam es im Raum Neuburg immer wieder zu Demonstrationen gegen die Corona-Regeln. Haben Sie Verständnis für diesen Protest?

    „Tag für Tag überlegt man, was noch verhältnismäßig und notwendig ist“, sagt Matthias Enghuber, CSU-Landtagsabgeordneter und Stadtrat.
    „Tag für Tag überlegt man, was noch verhältnismäßig und notwendig ist“, sagt Matthias Enghuber, CSU-Landtagsabgeordneter und Stadtrat. Foto: Screenshot

    Enghuber: Da muss man differenzieren. Ich habe Verständnis für jeden, der sich Sorgen über seine persönliche Situation macht. Im Fall von Herrn Bartels etwa sind beide Partner in Kurzarbeit, bei Gastronomen oder Einzelhändlern geht es um Existenzängste. Ich verstehe auch, wenn Leute über die psychische Belastung sprechen – gerade bei Senioren, die kaum oder keinen Besuch mehr bekommen, oder auch, wenn es um die Zukunft der Kinder geht, Stichwort Homeschooling. Über all das kann man sich Sorgen und Gedanken machen, und das artikulieren. Es gibt aber eine Grenze. Die verläuft da, wo Behauptungen aufgestellt werden, die jedweder Grundlage entbehren und mit denen man in die Ecke der Verschwörungstheorien kommt, etwa wenn Corona schlicht geleugnet wird.

    Bartels: Das sehe ich genauso – und möchte auf die Schulschließungen eingehen. Ich weiß, dass viele Eltern und Schüler am Anschlag sind, auch für Lehrer ist es nicht leicht. Bemerkenswert ist hierzu eine Studie von LMU, dem Bayerischen Amt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit sowie dem Deutschen Zentrum für Infektionsforschung. Die kommt ganz klar zum Ergebnis, dass Kindergärten und Schulen keine Überträger-Hotspots sind. Wenn selbst Behörden so etwas sagen, ist es schwer verständlich, warum man die Schulen schließt. Die Kinder leiden am allermeisten, das sehe ich an meinen drei.

    Enghuber: Ich weiß, wovon Sie sprechen, wir haben selbst fünf Kinder. Schüler, Eltern und Lehrer leisten Enormes. Natürlich gibt es den Wunsch, die Einrichtungen so schnell wie möglich wieder zu öffnen. Dieser Wunsch treibt alle im politischen Geschäft um. Aber es ist nicht geklärt, inwiefern Schüler sozusagen über dem Virus stehen. Und Schulen sind Bereiche mit ganz hohen Kontaktzahlen.

    Bartels: Aber die Studie, die ich meine, ist doch von staatlichen Stellen?

    Enghuber: Es gibt Studien, etwa vom RKI und der Leopoldina, die ganz deutlich ausarbeiten, dass Kinder leider genauso Corona-Überträger sein können. Auch von der LMU gibt es Studien, dass es in Grundschulen Probleme mit der Ansteckung gibt.

    Bartels: Trotzdem gibt es auch andere Studien von unabhängiger Stelle. Ich verstehe nicht, warum man immer die Ergebnisse ausblendet, die einem gerade nicht ins Konzept passen. Ich glaube, man hat sich so ein bisschen verbissen. Es kann doch nicht sein, dass wir einfach aufhören zu leben. Das ist gegen die menschliche Natur. Wir haben ja früher auch bei Grippewellen nicht alles zugemacht. Wir fahren unsere sozialen Kontakte an die Wand, und wir fahren die Wirtschaft an die Wand. Das ist nicht mehr verhältnismäßig. Der Schaden, der gerade entsteht, ist viel größer als das, was wir versuchen zu vermeiden.

    Enghuber: Es ist nicht so, dass man bewusst etwas ausblendet. Es gibt einfach Studien, die ganz deutlich widerlegt sind. Auch die Wissenschaft streitet miteinander, das Wissen muss, wie der Name schon sagt, erst geschaffen werden. Das große Problem ist, dass wir über diese Pandemie noch nicht alles wissen. Am Ende muss die Politik abwägen und entscheiden. Ich will überhaupt nicht behaupten, dass alle Entscheidungen im vergangenen Jahr immer zu 100 Prozent richtig waren. Corona nervt, das ist keine Frage. Man sieht aber, dass der große Teil der Bevölkerung den Maßnahmen positiv gegenübersteht, das zeigen diverse Umfragen. Für manche gehen die Einschränkungen sogar nicht weit genug.

    Bartels: Falsches wird nicht richtig, nur weil es die Mehrheit hinnimmt. Wir haben unsere Grundrechte. Und die sollten von Grund auf immer gelten. Ich empfinde es als Verfassungsbruch, da überhaupt Ausnahmen hineinzuschreiben. Klar, wenn jemand ein Verbrechen begeht, gehört er hinter Gittern. Das sind Einschränkungen, die lasse ich gelten. Grundsätzlich, so steht es auch in der Deklaration der Menschenrechte, ist jeder Mensch mit Vernunft begabt. Aktuell wird nur noch über Verbote gearbeitet. Es wird so getan, als ob die Menschen von sich aus nicht vernünftig wären. Aber ich bin sicher, dass der Großteil es ist.

    Enghuber: Die Grundrechte sind das höchste Gut, das wir haben. Jede Einschränkung des Grundrechts ist mit einem intensiven und ständigen Abwägungsprozess verbunden. Das entscheidet man nicht einmal, und dann ist es so. Tag für Tag überlegt man, was noch verhältnismäßig und notwendig ist. Da hat keiner Spaß daran. Es ist nicht so, dass Politiker jeden Morgen aufs Neue überlegen, wie sie die Menschen ärgern können. Ganz im Gegenteil. Jeder ist bestrebt, alle Einschränkungen so bald wie möglich wieder aufheben zu können. Gerichte überprüfen die Maßnahmen ständig, das eine oder andere ist auch schon gekippt worden. Daran sieht man, dass die Gewaltenteilung in Deutschland funktioniert. Die meisten Maßnahmen sind von Gerichten als richtig eingeschätzt worden.

    Bartels: Beim Bundesverfassungsgericht sind noch viele Sachen offen.

    Enghuber: Das glaube ich, dass dort noch vieles offen ist. Es wird Jahre dauern, bis das Ganze aufgearbeitet ist. Es ist richtig, dass man jede einzelne Maßnahme juristisch überprüft, und daraus im Positiven wie im Negativen lernt. Ganz grundsätzlich: Alle Einschränkungen haben den Zweck, die Gesundheit der Bevölkerung zu schützen. Das hat ganz offensichtlich funktioniert. Wenn man das einfach laufen ließe, wäre es ein riesengroßes Experiment an den Menschen.

    „Aktuell wird nur noch über Verbote gearbeitet. Es wird so getan, als ob die Menschen von sich aus nicht vernünftig wären“, sagt Thees Bartels aus Neuburg.
    „Aktuell wird nur noch über Verbote gearbeitet. Es wird so getan, als ob die Menschen von sich aus nicht vernünftig wären“, sagt Thees Bartels aus Neuburg. Foto: Screenshot

    Bartels: Sie wissen gar nicht, was passiert, wenn man es laufen lässt. Für mich ist das, was gerade passiert, auch ein Experiment. Man hat in kürzester Zeit einen Impfstoff aus dem Boden gestampft. Ein solcher mRNA-Impfstoff wurde noch nie zugelassen. Krankheiten gab es schon immer auf der Welt. Und es gab immer Krankheiten, die man nicht kannte, und mit denen man lernen musste, umzugehen. Aber müssen wir gleich aufhören zu leben? Sie nehmen den Leuten ihre Selbstbestimmung weg und machen ihnen Angst. Und Leute in Angst werden schneller krank. Dinge, die das Immunsystem stärken, wie Sport, sind aktuell sogar teilweise verboten.

    Enghuber: Impfstoffe, die jetzt zugelassen wurden, haben alle das ganz normale Test- und Zulassungsverfahren durchlaufen, wie alle anderen Impfstoffe auch. Es ist klar, dass alle Impfstoffe Nebenwirkungen haben können. Aber diese Gefahr ist um ein Vielfaches geringer, als sie von einer Ansteckung mit der Krankheit ausgeht. Die Spätfolgen von Corona kennen wir noch gar nicht.

    Bartels: Wissen wir die von der Impfung? Normalerweise braucht es acht bis zwölf Jahre bis zur Zulassung eines Impfstoffes, mit etlichen Studien. Hier wissen wir gar nichts.

    Enghuber: Das weiß man aufgrund der Vergleichswerte von anderen Impfungen. Der mRNA-Impfstoff ist grundsätzlich sicher, weil er an das Virus andockt, und nicht im Menschen etwas verändert. Ich habe das Grundvertrauen, dass Mediziner das so weit getestet haben, dass es verlässlich ist. So viel Vertrauen habe ich in die Zulassungsbehörden, nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Die Impfungen sind die einzige Chance, der Pandemie Herr zu werden.

    Vielleicht können wir den Bereich Medizin verlassen, in dem Sie beide keinen ausgewiesenen Experten sind.

    Bartels: Wir können über die Themen Massenarbeitslosigkeit und Armut sprechen, die der monatelange Lockdown mit sich bringen wird. Diese Aspekte werden in den Diskussionen häufig vergessen.

    Enghuber: Jeder von uns will normal weiterleben. Aber wollen wir auf die Maßnahmen verzichten und damit riskieren, dass viele Menschen schwer krank werden oder sterben?

    Bartels: Ist das nicht ein Stück weit der Lauf der Natur?

    Enghuber: Mit diesem Argument dürften wir überhaupt keine medizinischen Behandlungen machen. Der Staat ist verpflichtet, die Menschen vor Unheil zu schützen.

    Bartels: Ich sage nichts gegen die medizinische Behandlung. Aber mit demselben Argument könnte man allen Menschen die Arme abhacken, damit keiner mehr mit einem Messer auf den anderen losgehen kann.

    Enghuber: Das ist ein Abwägungsprozess. Und um Ihr Beispiel aufzugreifen: Dafür gibt es das Waffenrecht.

    Bartels: Mir ging es nicht ums Waffenrecht, sondern nur ums Prinzip.

    Enghuber: Man muss abwägen, wie weit man die Einschränkungen vertreten kann. Und wie gesagt: Es gibt auch Menschen, denen die Maßnahmen nicht weit genug gehen, die gerne alles komplett zusperren würden. Gegen diesen Schritt hat man sich entschieden, weil man die Wirtschaft nicht komplett an die Wand fahren möchte, weil man nicht psychische Folgen bei den Menschen riskieren will.

    Bartels: Sie müssen den Leuten klarmachen, welche Konsequenzen der Lockdown mit sich bringt. Wir sind jetzt schon an einem Punkt, an dem die Arbeitsplätze und die Psyche der Menschen aufs Spiel gesetzt werden. Man sieht die Folgen in Neuburg. Geschäfte schließen, es entstehen immer mehr Leerstände. Durch die in meinen Augen willkürlichen Maßnahmen und ständigen Verlängerungen muss man sich fragen: Wer hat denn jetzt noch den Mut, ein neues Geschäft zu eröffnen?

    Einzelhändler in der Neuburger Innenstadt stehen vor einer ungewissen Zukunft. So mancher äußerte seinen Unmut darüber.
    Einzelhändler in der Neuburger Innenstadt stehen vor einer ungewissen Zukunft. So mancher äußerte seinen Unmut darüber. Foto: Claudia Voth (Archiv)

    Enghuber: Es ist nichts willkürlich, sondern alles abgewogen. Ob immer richtig abgewogen wird, und mit dem richtigen Ergebnis, muss man später mal einordnen. Wir unterstützen die Unternehmer, wo es geht. Die Novemberhilfe ist zu gut 70 Prozent in der Auszahlung. 30 Prozent fehlen, das geht immer noch zu langsam. Das ärgert einen auch als Politiker. Es gibt auch eine Dezember- und Oktoberhilfe in Bayern. Dazu kommen die Überbrückungshilfen 1, 2 und 3 des Bundes sowie KfW-Kredite, die man als Unternehmer nehmen kann. Und es gibt auch in der jetzigen Zeit Unternehmer, die etwas Neues gründen, in Neuburg beispielsweise das Tanzcafé Hertlein, das einen neuen Pächter bekommen hat. Natürlich macht man sich Sorgen über die Staatsverschuldung. Aber ich bin nicht bereit, Staatsschulden aufzuwiegen mit Menschenleben. Da geht es an ethische Grundsatzfragen.

    Was sagen Sie zur Entwicklung der Neuburger Innenstadt?

    Enghuber: Über die macht man sich seit vielen Jahren und Jahrzehnten Gedanken. Der allergrößte Feind der Neuburger Innenstadt ist der Onlinehandel.

    Bartels: Durch die momentanen Maßnahmen wird der Onlinehandel natürlich befeuert. Daran werden sich die Leute gewöhnen.

    Enghuber: Das mag sein. Aber ich bekomme rückgespiegelt, dass ganz viele Click+Collect oder den Ausfahrservice nutzen.

    Bartels: Ich habe gehört, dass das eher schleppend läuft.

    Enghuber: Wir bemühen uns da nach Kräften, gute Lösungen zu erarbeiten und zu helfen. Innenstädte tun sich vielerorts schwer, das hat ganz vielfältige Faktoren.

    Bartels: Jetzt geben wir ihnen den Todesstoß.

    Enghuber: Natürlich wird es jetzt nicht leichter. Dafür gibt es all die Hilfen.

    Zum Abschluss: Ein solcher Meinungsaustausch soll im besten Fall das Verständnis füreinander fördern. Was schätzen Sie an der anderen Seite?

    Bartels: Ich schätze es, dass man sich der Verantwortung stellt, die man in diesem Amt hat. Man übernimmt im Stadtrat oder Landtag etwas für die Gesellschaft. Da habe ich Respekt vor.

    Enghuber: Ich habe absolutes Verständnis, dass man sich Gedanken und Sorgen über die Maßnahmen macht. Ich verstehe jeden, der sich Gedanken macht über wirtschaftliche, soziale und psychologische Folgen. Ich schätze es, dass die Bürgerinnen und Bürger mit einem wachen Geist die Maßnahmen verfolgen und hinterfragen.

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