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Neuburg: Alle dürfen, sie nicht: Tätowierer in Neuburg sind wütend über bayerischen Sonderweg

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Alle dürfen, sie nicht: Tätowierer in Neuburg sind wütend über bayerischen Sonderweg

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    Seit Anfang November durfte Dominik Schumacher nicht mehr in seiner 2015 eröffneten „Farbfabrik“ in Neuburg tätowieren.
    Seit Anfang November durfte Dominik Schumacher nicht mehr in seiner 2015 eröffneten „Farbfabrik“ in Neuburg tätowieren.

    Als vor kurzem vom Bund-Länder-Treffen beschlossen wurde, dass alle körpernahen Dienstleistungsbetriebe unabhängig vom Inzidenzwert wieder öffnen dürfen, haben auch die Tätowierer in Neuburg aufgeatmet. Für Bayern wurden die Hoffnungen jedoch kurz darauf durch eine Entscheidung des Gesundheitsministeriums wieder enttäuscht. Hier sind die Studios noch immer geschlossen. Dementsprechend hoch ist der Frust und das Unverständnis unter den bayerischen Tätowierern.

    Im November noch hat er ein zweites Studio eröffnet, nun arbeitet Dominik Schumacher seit drei Monaten in einem Handelslager in Ingolstadt, um nicht Hartz IV beantragen zu müssen. Irgendwie muss der Vater eines Kindes ja Brot auf den Tisch bekommen. Dabei habe er sich die Selbstständigkeit über Jahre hinweg aufgebaut. „Was momentan passiert? Wir werden ausgeblutet“, sagt er verbittert. Seit 6. März läuft eine Online-Petition an den Bayerischen Landtag, die gut zehn Tage später bereits die Marke von 20.000 Unterschriften geknackt hat. Darin heißt es „Eine medizinische Begründung für die Schlechterstellung gibt es nicht, bei entsprechenden Hygienekonzepten ist die Ansteckungsgefahr nicht größer als bei Nagelpflege oder Haare schneiden.“

    Tätowierer aus Neuburg-Schrobenhausen sehen sich benachteiligt

    Für Schumacher, der vor sechs Jahren die „Farbfabrik“ in Neuburg gegründet hat, ist das nicht nachvollziehbar: „Ein Freund von mir tätowiert in Halle, die haben momentan einen Inzidenzwert von 160.“ Der Landkreis Neuburg-Schrobenhausen liegt zu diesem Zeitpunkt bei 77. Hätte er gewusst, dass er so lange nicht tätowieren darf, hätte er nicht im vergangenen November noch ein zweites Studio eröffnet. Doch Dominik Schumachers Laden lief gut zwischen den Lockdowns – jeden Tag hat er im Schnitt zwei Leute tätowiert, dazwischen Beratungsgespräche geführt. Dabei habe er immer penibel auf die Hygienemaßnahmen geachtet: „Es war immer nur ein Kunde mit mir im Studio und ich habe extra noch 500 FFP-2-Masken bestellt“, sagt der 38-Jährige. Doch warum geht Bayern hier einen Sonderweg? In einem Interview mit Antenne Bayern sagte der bayerische Ministerpräsident Markus Söder dazu: „Es sind immer wieder Abgrenzungen, die man treffen muss. So eine hundertprozentige Gerechtigkeit ist bei Corona schwer zu finden.“

    Die Tätowierer im Landkreis Neuburg-Schrobenhausen können mit dieser Erklärung jedoch wenig anfangen. „Der meint, er müsse alles besser machen“, sagt Markus Holzapfel dazu. Der Inhaber des überregional bekannten Studios „District 50“ in Karlshuld ist voller Wut auf die bayerische Staatsregierung, der er Realitätsverlust vorwirft.

    Markus Holzapfel ist der Inhaber von "District-50" in Karlshuld
    Markus Holzapfel ist der Inhaber von "District-50" in Karlshuld Foto: Markus Holzapfel

    Er habe extra eine Mail an den Ministerpräsidenten geschrieben und ihn eingeladen, sich mal persönlich vor Ort ein Bild zu machen. Bis jetzt habe er aber noch keine Antwort bekommen. Und so ärgert sich auch er, dass er momentan nicht arbeiten darf. Er geht sogar soweit zu sagen, dass in den Studios hygienischer gearbeitet werde als bei jedem Hausarzt. Pro Kunde würden beispielsweise circa 100 Milliliter Desinfektionsmittel verwendet – daran habe Corona nichts geändert.

    Überbrückungshilfe bringt den Tätowierern nicht viel

    Auch von den angekündigten Überbrückungshilfen habe er bis jetzt bei weitem noch nicht alles gesehen. „Das ist ein Witz. Mein Vorteil ist nur, dass ich keine Miete zahlen muss und das Studio im eigenen Haus ist“, sagt Holzapfel. Sein Neuburger Kollege Schumacher, der für die Farbfabrik nach eigenen Angaben einen „höheren vierstelligen Betrag“ an Miete bezahlt, hat zwar finanzielle staatliche Hilfen bekommen. Weil diese aber nicht ausreichen, sah er sich gezwungen, seine Lebensversicherung aufzulösen und überlegt nun, Kredite zu beantragen. Ein großes Problem für ihn ist die Unsicherheit: „Im November sind wir nicht davon ausgegangen, dass das so lange dauert. Wir waren die ersten die zugemacht haben und die Inzidenz ging trotzdem nach oben. Was wir brauchen, sind konkrete Daten, wann wieder aufgemacht werden darf.“

    Markus Döhnert ist der Inhaber von "Tattoo-MD" in Neuburg
    Markus Döhnert ist der Inhaber von "Tattoo-MD" in Neuburg Foto: Markus Döhnert

    Gar keine Überbrückungshilfe dagegen bekommt Markus Döhnert. Der Inhaber des Studios „Tattoo-MD“ in Neuburg tätowiert nur im Nebenerwerb. Trotzdem hat er seit November jeden Monat 750 Euro an fixen Ausgaben, wie Miet-, Telefon-, und Stromkosten. „Von Gewinnausfällen will ich gar nicht erst reden“ sagt Döhnert. Dass in Bayern die Tattoostudios im Gegensatz zu allen anderen Bundesländern ab nicht öffnen dürfen, habe er erst bei Facebook erfahren. Der Bundesverband Tattoo schreibt dort: „Uns fehlen die Worte und es tut uns für unsere Kolleginnen und Kollegen in Bayern sehr leid.“ Döhnert und Schumacher haben sich deshalb an der Initiative „Ihr macht uns nackt“ beteiligt. Der Bayreuther Tätowierer Dawid Hilgers-Lehner hatte sie im Februar gestartet, um auf die Situation von Tätowierern aufmerksam zu machen. Zahlreiche von ihnen haben sich beteiligt und Nacktfotos von sich im Netz geteilt – nur mit einem Schild bedeckt, auf dem „#IhrMachtUnsNackt“ steht.

    Auch bei den Massagepraxen geht Bayern einen Sonderweg

    Neben den Tattoostudios geht Bayern auch bei den Massagepraxen einen Sonderweg. Auch sie sind im Freistaat, im Gegensatz zu den anderen Bundesländern, weiterhin geschlossen. Nur ärztlich verordnet darf derzeit massiert werden. Die aktuelle bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung gilt noch bis einschließlich 28. März. Das heißt, dass bis mindestens zu diesem Zeitpunkt Tattoostudios und Massagepraxen in Bayern geschlossen bleiben. Mehrere Tätowierer haben bereits dagegen Klage eingereicht.

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