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Ingolstadt: Prozess um Bluttat in Bittenbrunn: Freispruch oder Haft?

Ingolstadt

Prozess um Bluttat in Bittenbrunn: Freispruch oder Haft?

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    Siebter Verhandlungstag: Rechts vorne im Bild zu sehen ist die Angeklagte, links Verteidigerin Christina Keil.
    Siebter Verhandlungstag: Rechts vorne im Bild zu sehen ist die Angeklagte, links Verteidigerin Christina Keil. Foto: D. Pfaffel

    Freispruch wegen Notwehr oder ein minder schwerer Fall des Totschlags? Darauf plädierten Verteidigerin Christina Keil beziehungsweise Staatsanwalt Frank Nießen, als es vor dem Schwurgericht des Ingolstädter Landgerichts zum siebten Mal um die Bluttat in Bittenbrunn ging. Der Fall ist bekannt: Eine 30-jährige Frau aus Sachsen-Anhalt soll in der Nacht vom 22. auf den 23. Dezember 2019, irgendwann zwischen 23 Uhr und 0.30 Uhr, ihren 41-jährigen Ex-Freund in dessen Wohnung in der Eulatalstraße in Neuburg erstochen haben (wir berichteten). Von einem Totschlag, von dem in der Anklageschrift noch die Rede war und der mit einer Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren geahndet wird, sprach nach der Beweisaufnahme keine der beiden Seiten mehr.

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    Wie Staatsanwalt Nießen gleich zu Beginn seines Plädoyers deutlich machte, gehe es nach dem Geständnis der Angeklagten nicht mehr darum, die Täterschaft aufzuklären, sondern darum, ob die Behauptung der 30-Jährigen, sich nur verteidigt zu haben, mit der Spurenlage und den Zeugenaussagen vereinbar sei. Nießens abschließende Einschätzung: Nein, die Erklärung der Angeklagten sei für ihn nicht plausibel. Es gebe zu viele Widersprüche und offene Fragen: Warum setzte die damals 29-Jährige den Notruf erst so spät ab? Warum versuchte sie, durch Reinigungsarbeiten Spuren zu verwischen, wenn sie doch unschuldig war? Warum hatte sie nach dem Gerangel und der Tat nur so geringe Abwehrverletzungen?

    Wieso setzte ihr der 41-Jährige nicht stärker nach, wenn er zuerst auf sie losgegangen sein soll? Warum schrie sie nicht um Hilfe oder flüchtete über den Balkon? Und wie kam es zu dem Stich hinten in die Hüfte? Auf all diese Fragen liefere die Version der Angeklagten keine Antworten, befand der Staatsanwalt. Die Beschuldigte habe beim Notruf oder gegenüber der Polizei auch nie von einem Angriff berichtet. Zudem habe der Ex-Freund keinen Grund gehabt, die junge Frau umzubringen. Die Zeugen beschrieben den Mann als nicht aggressiv – im Gegensatz zur Beschuldigten. Der 41-Jährige soll sogar eher Angst vor seiner (Ex-)Freundin gehabt haben.

    In einem der neuen Wohnhäuser in der Eulatalstraße in Bittenbrunn ereignete sich vergangenes Jahr eine Bluttat.
    In einem der neuen Wohnhäuser in der Eulatalstraße in Bittenbrunn ereignete sich vergangenes Jahr eine Bluttat. Foto: Winfried Rein

    Die Spuren am Tatort würden ebenfalls nicht zu den Schilderungen der Angeklagten passen, sagte Nießen. Als Beispiel dafür nannte er das fehlende Blut am Hosenbund, was dafür spreche, dass dieser Stich erst sehr spät ausgeführt wurde und nicht schon im Zuge eines ersten Gerangels. Notwehr schloss der Staatsanwalt demzufolge aus. Was er aber sehr wohl in seinem Plädoyer berücksichtigte: die Persönlichkeitsstruktur der Angeklagten und den Einfluss von Drogen und Alkohol. Ohne Betäubungsmittel hätte es die Tat so nicht gegeben, sagte Nießen. Die Beschuldigte habe sich für ihre Drogen prostituieren müssen.

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    Der Vorfall führe erschreckend vor Augen, „was Betäubungsmittel mit einem Menschen machen können“. Ein Zeuge hatte am Montag ausgesagt, die Angeklagte sei unter Drogen „zum Monster geworden“. Wie die psychiatrische Gutachterin am selben Tag erklärt hatte, leide die 30-Jährige zwar nicht unter einer Persönlichkeitsstörung, aber unter emotionaler Labilität und könne ihre Wut nur schwer kontrollieren. Staatsanwalt Nießen schloss sich daher der Sachverständigen an und sprach wie diese von einer verminderten Schuldfähigkeit, was letztendlich zu einem minder schweren Fall des Totschlags führe. Er forderte eine Freiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten. Bei Unterbringung in einer Entziehungsanstalt reduziert sich diese Strafe auf die Hälfte. Rechnet man mit einer Therapiezeit von zwei Jahren, bleibt eine Haftzeit von einem Jahr und neun Monaten.

    Verteidigerin Christina Keil plädierte anschließend auf Freispruch. Sie fand die Erklärungen ihrer Mandantin durchaus schlüssig. Diese habe in Panik und rein aus Notwehr gehandelt – und sei deshalb unschuldig. Die Beziehung ihrer Mandantin zum Opfer sei speziell gewesen, doch habe diese nie einen Hehl daraus gemacht, den Mann im Grunde nur auszunutzen. Es sei durch die Spuren nicht auszuschließen, dass dem Kranfahrer in jener Nacht der Kragen geplatzt und er mit dem Messer auf die Beschuldigte losgegangen sei – beflügelt durch Alkohol und Ecstasy, das er sonst nicht einnahm, sagte die Verteidigerin.

    Möglicherweise aus Eifersucht, weil die Angeklagte Besuch von einem Anderen hatte. Vielleicht weil er enttäuscht war, dass doch nichts aus einer gemeinsamen Zukunft werden würde, wie die Angeklagte ihm kurz zuvor einmal mehr signalisiert hatte. Aus WhatsApp-Nachrichten sei herauszulesen, dass der Geschädigte durchaus schon einmal handgreiflich geworden sei, fuhr Verteidigerin Keil fort.

    Prozess um Bluttat in Bittenbrunn am Landgericht: Urteil fällt am 27. November

    Der von ihrer Mandantin beschriebene Ablauf der Tat sei plausibel, die Spuren am Tatort würden nicht dagegen sprechen. Der 41-Jährige könnte sich mit dem Messer sogar selbst an der Hüfte verletzt haben. Die Reinigungsmaßnahmen ihrer Mandantin erklärte Keil so: Die junge Frau habe gedacht, „einer Junkiebraut glaubt eh niemand“. Nimmt man Notwehr an, stellt sich die Frage, war die Reaktion angemessen? Die Antwort der Anwältin lautete: Ja, schließlich war der Mann der Frau körperlich überlegen und sie musste davon ausgehen, dass er zustechen würde. Sollte für das Gericht allerdings Notwehr nicht in Frage kommen, sprach sich die Verteidigerin, wie der Staatsanwalt, für einen minder schweren Fall des Totschlags aus.

    Ihrer Ansicht nach sei dann aber eine Freiheitsstrafe von sechs Jahren ausreichend. Unter Berücksichtigung der Unterbringung und der Therapiezeit von zwei Jahren würde sich die Haftzeit auf ein Jahr verkürzen, von der die Beschuldigte schon einen Großteil in Untersuchungshaft abgesessen hat. Das letzte Wort hatte wie üblich die Angeklagte: „Ich wollte nie, dass so etwas passiert. Dieser Mann war die einzige Person, die ich hatte.“

    Das Urteil fällt am 27. November.

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