Gewalt gegen Frauen hat viele Gesichter. Sie reicht von sexuellen Anspielungen am Arbeitsplatz über Stalking bis hin zu Körperverletzung oder Vergewaltigung und Zwangsprostitution. Statistisch gesehen versucht jeden Tag ein (Ex-)Partner seine Frau zu töten, jeden dritten Tag stirbt eine Frau in Deutschland durch häusliche Gewalt. Und darunter leiden nicht nur die Frauen selbst. Auch die Kinder, die erleben, wie die Mutter vom Vater misshandelt wird, werden seelisch oder körperlich verletzt. Nach Angaben des Bundeskriminalamts werden jährlich rund 140.000 Frauen Opfer von Gewalt.
Die Dunkelziffer schätzen Experten jedoch um ein Vielfaches höher. Denn sexualisierte Gewalt gilt immer noch als Tabuthema und den Opfern mangelt es mitunter an Mut und den geeigneten Mitteln, um sich zu wehren. In der Region Ingolstadt wurden 2019 668 Fälle von häuslicher Gewalt polizeilich aufgenommen, heißt es in einer Pressemitteilung der Stadt Ingolstadt. Hinzu kommt die Gewalt im öffentlichen Raum. Einer Befragung des Kinderhilfswerks Plan zufolge, fühlen sich Mädchen und Frauen in Großstädten zunehmend unsicher. Da trifft es sich gut, dass das Unterstützungsangebot für Frauen in Ingolstadt erweitert wird.
Bislang verfügte das Frauenhaus Ingolstadt über 50 Plätze
Bundesweit gibt es fast 350 Frauenhäuser, in die sich Frauen, die in Gefahr sind, flüchten können. Eines davon steht in Neuburg – die Zufluchtsstätte für Frauen in Not des Diakonischen Werks –, ein weiteres befindet sich in Ingolstadt. Andrea Schlicht, Leiterin des Frauenhauses der Caritas Ingolstadt, sagt: „Frauen, die zu uns kommen, haben zu Hause oft über viele Jahre Gewalt erlebt. Schläge, Vergewaltigung, Morddrohungen, soziale Isolation gehörten zu ihrem Lebensalltag. (...) Psychisch und physisch erschöpft, oft traumatisiert und aus ihrer vertrauten Umgebung gerissen, kommen diese Frauen und Kinder zu uns ins Frauenhaus. Gewalt gegen Frauen ist nicht nur absolut inakzeptabel, sondern eine schwerwiegende Verletzung der Menschenrechte!“
Wie Schlicht berichtet, hat ihre Einrichtung 2019 172 Mal telefonisch beraten, mit 35 Frauen wurden Beratungsgespräche geführt, bei der Rufbereitschaft gingen 137 Anrufe ein. Insgesamt 50 Frauen mit 50 Kindern haben Zuflucht im Ingolstädter Frauenhaus gesucht. Das Ingolstädter Frauenhaus verfügte aber bislang nur über zwölf Plätze. Diese werden jetzt, ab Januar 2021, auf 15 erhöht. So hat es der Sozialausschuss der Stadt Ingolstadt voriges Jahr beschlossen – das Bayerische Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales hatte zuvor die Richtlinien zur Platzzahl und zur Förderung von Frauenhäusern geändert. Zusätzlich soll es Wohnungen für Frauen mit älteren Söhnen (ab 14 Jahren) oder mehreren Kindern geben, die bisher nicht aufgenommen werden konnten. Diese Wohnungen sind zwar nicht direkt angeschlossen, werden aber ebenfalls vom Frauenhaus betreut.
Oberbürgermeister Scharpf in Ingolstadt: Dürfen nicht wegsehen
Das Thema Gewalt gegen Frauen liegt auch Ingolstadts Oberbürgermeister Christian Scharpf am Herzen: „Wir dürfen hier nicht wegsehen. Es ist unsere Pflicht, aufzuklären, die Menschen zu sensibilisieren und Betroffenen Mut zu machen, gegen die Täter vorzugehen!“ Die Erhöhung der Platzzahl im Ingolstädter Frauenhaus ist ein wichtiges Signal, findet der OB.
Gewalt gegen Frauen betrifft alle gesellschaftlichen Schichten und alle Ethnien. Sie ist nicht abhängig von der Bildung, Staatsangehörigkeit oder vom Selbstbewusstsein der Frau. Am häufigsten erleben Frauen Gewalt im familiären Umfeld oder im sozialen Nahbereich. Die Täter sind meist Ehemänner, Freunde oder Ex-Partner. Die Straftaten seien häufig geprägt vom Streben nach Macht und Kontrolle, sagen Experten. Täter seien oft getrieben vom Zwang, am längeren Hebel zu sitzen. Eine gleichberechtigte Frau stellt in solchen Beziehungen eine Bedrohung dar.
Fallzahlen häuslicher Gewalt im vergangenen Jahr unauffällig
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) bezeichnet Gewalt gegen Frauen als eines der größten Gesundheitsrisiken von Frauen. Die Folgekosten von Gewalt an Frauen – zum Beispiel für Polizeieinsätze, Gerichtsverhandlungen oder im Gesundheitssystem – ermittelte eine Kostenstudie jüngst mit 3,8 Milliarden Euro jährlich für Deutschland.
Vermutungen, dass die Corona-Krise das Problem häuslicher Gewalt verschärfen könnte, weil zerstrittene Eheleute oder Partner nun viel Zeit gemeinsam zu Hause verbringen, bestätigen sich bislang nicht, berichtet das Bayerische Landeskriminalamt in einer Pressemitteilung. Die Fallzahlen bei häuslicher Gewalt seien in diesem Jahr unauffällig und teilweise sogar rückläufig. Abschließend belastbare Zahlen dazu liegen allerdings noch nicht vor, betont die Polizei. Die Zahlen der angezeigten Taten könnten noch steigen. Es sei nicht ungewöhnlich, dass diese Straftaten erst mit längerer zeitlicher Verzögerung angezeigt werden.
Bayerns Innenminister Joachim Herrmann sagte Ende November: „Die Bayerische Polizei nimmt Gewalt gegen Frauen seit jeher sehr ernst. Fälle von häuslicher Gewalt sind keine Privatangelegenheiten, sondern Straftaten, die konsequent verfolgt werden.“
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