Es ist kurz vor 2.30 am 23. Dezember 2019. Der Heiligabend steht bevor – und mit ihm das Fest der Liebe und des Friedens. Da trifft plötzlich ein Notruf bei der Integrierten Leitstelle in Ingolstadt ein. In der Leitung ist eine junge Frau. "Können Sie in die Eulatalstraße kommen?", fragt sie mit weinerlicher, brüchiger, aber drängender Stimme. Der Mann von der Leitstelle versteht sie schlecht, er muss sich mehrmals nach dem Straßennamen erkundigen. "Da ist überall Blut", sagt die Frau. "Wo kommt das Blut her?", fragt der Mann. "Ich weiß es nicht. Ich hab’s auch an meinen Händen", antwortet sie. Nach einigem Hin und Her, beruhigt der Mann die Frau: "So, wir legen jetzt auf. Der Rettungswagen ist auf dem Weg zu Ihnen." Dies ist ein Auszug aus der Audio-Aufnahme, die Vorsitzender Richter Konrad Kliegl am Montag am Ingolstädter Landgericht zu Beginn der Beweisaufnahme vorspielt. Es geht um die Tötung eines 41-jährigen Neuburgers vor knapp einem Jahr in Bittenbrunn. Seine damals noch 29-jährige Ex-Freundin soll ihn erstochen haben. Nun muss sich die inzwischen 30-jährige Frau aus Sachsen-Anhalt wegen Totschlags verantworten.
Landgericht Ingolstadt: Angeklagte soll Mann am Schädel verletzt haben
Gefasst sitzt die Angeklagte im Gerichtssaal und hört Staatsanwalt Frank Nießen zu, wie er die Anklageschrift verliest. Die Staatsanwaltschaft wirft ihr vor, am 23. Dezember zwischen 0.30 und 1.50 Uhr ihrem Ex-Freund ohne Grund ein Porzellangefäß gegen den Kopf geschlagen zu haben. Mit "scharfer und stumpfer Gewalt" soll sie ihm weitere schwere Verletzungen in der Schädelregion, am Hals und im Schulterbereich zugefügt haben. Außerdem soll sie zweimal mit einem Messer auf ihn eingestochen haben.
Die attraktive junge Frau ist klein, zierlich und trägt ihre langen blonden Haare offen. Von der Aufregung in jener Nacht ist der 30-Jährigen nichts mehr anzumerken. Sie wird an diesem Montag keine Aussage machen. Wie ihre Verteidigerin Christina Keil sagt, werde sie am Dienstag im Namen ihrer Mandantin eine Erklärung abgeben. Und diese sei "abschließend". Ihre Mandantin werde keine Fragen beantworten.
Bluttat in Bittenbrunn: Polizisten und Sanitäter sagen als Zeugen aus
Statt der Angeklagten sagen mehrere Zeugen aus. Vier Polizisten, zwei Sanitäterinnen und eine Notärztin: Die beiden Sanitäterinnen und eine Streife der Polizeiinspektion Neuburg treffen am 23. Dezember gleichzeitig am Tatort ein, um 2.36 Uhr. Die Anruferin öffnet ihnen die Tür zum Wohnblock. Die Wohnungstür geht kaum auf, da der Körper des Mannes direkt dahinter liegt, mit den Füßen Richtung Tür. So schildern es die Einsatzkräfte unabhängig von einander einmütig. Die Polizisten sichern die Wohnung, prüfen, ob keine weiteren Menschen vor Ort sind, und kümmern sich um die Frau, die die ganze Zeit laut schreit – "Ich habe geschlafen!" und "Der spielt mir das nur vor!" – und weint. Die Sanitäterinnen ziehen den Mann weiter ins Innere der Wohnung, damit sie ihn besser behandeln können. Sein eigentlich weißes T-Shirt ist völlig von Blut durchtränkt.
Mit den Wiederbelebungsversuchen hören die Sanitäterinnen schon nach wenigen Minuten auf. Denn schnell ist klar, es sind keine Lebenszeichen mehr vorhanden. Im Gegenteil: Die Leichenstarre hat bereits eingesetzt, der Kiefer lässt sich nicht mehr richtig öffnen. Vorne im Brustbereich ist eine Einstichstelle zu sehen. In der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft heißt es, die Angeklagte soll ihrem Ex-Freund mit einem Messer mit einer Klingenbreite von zwei Zentimetern und einer Klingenlänge von mindestens acht Zentimetern in die linke obere Brust gestochen haben. Als die Sanitäterinnen den Mann umdrehen, sehen sie an der Wirbelsäule bereits violette Totenflecken. Am unteren Rücken entdecken sie einen weiteren Stich, laut Anklageschrift eine circa acht Zentimeter lange Verletzung.
Die Verhandlung am Landgericht Ingolstadt soll sieben Tage dauern
Den Einsatzkräften fallen vor allem zwei Dinge auf: In der Wohnung herrscht Chaos. Überall Klamotten, Essensreste, Porzellanscherben – und Blut. Es könnte bloße "Unordnung" sein, manche Zeugen sprechen aber auch von "Zeichen eines Kampfes" oder eines Streits. Das zweite Auffällige ist der Zustand der Frau: Sie habe die Personen um sich gar nicht richtig wahrgenommen, konnte sich selbst nicht anziehen, nicht alleine laufen und nicht auf Fragen antworten, berichten die Zeugen. Die Frau sei in einem "psychischen Ausnahmezustand" gewesen. Vor dem Transport ins Ingolstädter Klinikum habe sie aggressive "Schübe" gehabt. Inwieweit Drogen im Spiel gewesen sein könnten, ist noch unklar. Allerdings fanden die Polizisten in der Toilette der Wohnung kleine Plastiktütchen mit Substanzresten.
Am Dienstag wird die Verhandlung fortgesetzt. Insgesamt sind sieben Prozesstage angesetzt.
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