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Beruf: Die Pflege hat selbst Pflege nötig

Beruf

Die Pflege hat selbst Pflege nötig

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    Oliver Moritz muss sich mit immer weniger Fachpersonal durch die Dienstpläne jonglieren, weil der Arbeitsmarkt auch im Pflegebereich leer gefegt ist. „Wir fühlen uns oft vergessen“, sagt er.
    Oliver Moritz muss sich mit immer weniger Fachpersonal durch die Dienstpläne jonglieren, weil der Arbeitsmarkt auch im Pflegebereich leer gefegt ist. „Wir fühlen uns oft vergessen“, sagt er.

    Eine Handvoll Mensch, erst einige Tage auf dieser Welt. Das Kind sollte noch im Bauch der Mutter schlummern. Aber viel zu früh geboren liegt es nun abgeschirmt in einem Brutkasten auf der Intensivstation der Fachabteilung Neonatologie im Klinikum Ingolstadt. Ein winziger Mensch, verbunden über Kabel, Schläuche und Zugänge mit Infusionsbeuteln und komplizierten medizinischen Geräten. Was Eltern und Verwandten Angst macht, ist für Schwester Anne ein normaler Arbeitstag. Sie pflegt dieses kleine, zu früh geborene Leben, damit daraus ein stattliches und gesundes Kind heranwächst.

    Intensiv muss diese Pflege sein. Und intensiv ist auch der Beruf, den Anne Roskothen ausübt. Sie ist Kinderkrankenschwester in der neonatologischen Intensivstation der Neuburger Kinderklinik im Klinikum Ingolstadt. Als Stationsleiterin trägt Roskothen nicht nur Verantwortung für die kleinen Patienten. Sie trägt sie auch für ihre Mitarbeiterinnen. Anne Roskothen und ihr Team kümmern sich im Drei-Schicht-Betrieb rund um die Uhr, sieben Tage die Woche, an 52 Wochen im Jahr um die Frühchen, die bei ihrer Geburt manchmal nur 600 Gramm wiegen. Und nebenbei sind sie auch noch Ansprechpartner und mitunter seelische Stütze für deren Mütter, Väter und Geschwister, die nicht selten tief verzweifelt sind.

    Dazu kommt die inzwischen überbordende Dokumentationspflicht. Bei der Devise, was nicht schwarz auf weiß festgehalten wurde, ist nicht gemacht, hat man den Eindruck, der Patient muss sich dieser Dokumentation unterordnen. Manchmal entbehren die festgesetzten Regeln jeder weiterführenden Logik. Beispiel: die Krankenhaushygiene. Ein Thema, das gar nicht ernst genug genommen werden kann. Nur wird es nicht konsequent zu Ende gedacht. Die Desinfizierung der Hände beispielsweise ist vor jedem Patienten und zwischen bestimmten Tätigkeiten am Patienten vorgeschrieben. Das erfordert seine Zeit und summiert sich in einer Acht-Stunden-Schicht auf rund 1,5 Stunden. Mit Verschärfung der Richtlinien wird mehr Zeit dafür benötigt. Die fehlende Arbeitszeit am Patienten kann aber nicht durch mehr Personal ausgeglichen werden. Ganz im Gegenteil. Der Pflegeschlüssel, der das Verhältnis von Pflegern zu Patienten regelt, wurde 1997 vom damaligen Gesundheitsminister Horst Seehofer abgeschafft, mit dem Versprechen, es müsse eine bessere Regelung geschaffen werden. Die Abschaffung dieses Pflegeschlüssels feiert 20-jähriges Jubiläum. Einen neuen gibt es bisher nicht – außer in der Neonatologie. Seit 1. Januar gilt dort ein Schlüssel, der sich aber nur auf Frühgeborene mit einem Gewicht unter 1500 Gramm bezieht.

    Oliver Moritz kommt sich manchmal vor wie ein Jongleur mit zu vielen Bällen. Nur hat der Fachpfleger „Anästhesie Intensivmedizin“ und Bereichsleiter Intensiv und Anästhesie in den Kliniken St. Elisabeth in Neuburg nicht zu viele Bälle, sondern zu wenig Mitarbeiter, wenn es um die Besetzung der Dienstpläne geht. Früher hatte er mehr erfahrenes Personal. Heute verabschiedet sich das mit zunehmendem Alter in die Teilzeit. Oder geht durch Kündigung ganz verloren. „Die Mitarbeiter können oft einfach nicht mehr, weder körperlich noch psychisch.“ Die Verantwortung im Pflegeberuf sei enorm. Aber auch die körperliche Anstrengung dürfe nicht vergessen werden, so Moritz. Probleme mit dem Rücken oder den Gelenken sind keine Seltenheit. 32 Pflegerinnen und neun Pfleger unterstehen Moritz. „Natürlich gibt es Wunschlisten für die Schichteinteilung, damit zumindest Familienfeiern und Geburtstage geplant werden können. Aber wenn Not am Mann oder der Frau ist, muss ich doch jemanden aus der Freizeit oder dem Wochenende holen.“

    Würde Moritz diesen Beruf noch einmal wählen? „Ein klares Jain! Ich habe einen sehr, sehr wichtigen und auch erfüllenden Beruf. Eigentlich den schönsten, den man sich vorstellen kann. Man hilft täglich anderen Menschen. Aber mit dem Wissen von heute?“ Seinen beiden Töchtern könnte er zu einer Tätigkeit in der Krankenhauspflege nur raten, wenn endlich die Arbeitsbedingungen verbessert würden. Das gibt der 47-Jährige unumwunden zu. „Die Arbeit wird mehr, das Personal nicht. Ganz im Gegenteil. Verlieren wir eine Fachkraft, gibt es kaum Ersatz. Der Arbeitsmarkt in unserem Bereich ist leer gefegt.“ Seit Jahren warnen die Betroffenen, die Politik aber, so Moritz, hat geschlafen. Ob Bezahlung oder das Zulagenwesen für zusätzliche Fähigkeiten. „Wir fühlen uns oft vergessen. Aber das System weiß, dass wir ja doch unsere Arbeit machen.“ Überstunden? Aus der Freischicht schnell mal eingesprungen? Klar, das macht man, für die Kollegen, für die Patienten. Denn Menschen wie Roskothen und Moritz fühlen sich grundsätzlich sehr wohl in dem Beruf, der für sie und ihre Kollegen Berufung ist. Aber das System schweigt.

    Günter Strobl fühlt sich manchmal wie ein Langstreckenläufer, dem die Beine zusammengebunden werden. Und dann soll er aber noch schneller laufen. Strobl ist Geschäftsführer der Kliniken St. Elisabeth Neuburg. Er ist derjenige, der mit den Krankenkassen über insgesamt vier verschiedene Budgets verhandelt: Das Ausbildungsbudget, die Fallpauschalen und die individuell verhandelten Entgelte, das Psychiatriebudget und das Budget für das sozialpädiatrische Zentrum. Für ihn ist der Schlüssel das Personal. „Christliche Krankenhäuser wie unseres legen größten Wert auf fachlich qualifizierte und engagierte Mitarbeiter. Denn Krankenbehandlung ist bei allem notwendigen Einsatz von Technik wesentlich auf direkte Kommunikation und Zuwendung angewiesen. Deshalb erwarten wir von der Politik Maßnahmen und Rahmenbedingungen, die dem Fachkräftemangel in Medizin und Pflege wirkungsvoll begegnen und gute Arbeitsbedingungen sowie Zeit für Zuwendung ermöglichen.“ Krankenhäuser dürften nicht mit immer mehr Bürokratie belastet werden, so Strobl weiter. Und er ist gegen Personalquoten, denn der Personalbedarf sei sehr von der Infrastruktur, der Belegung und den Aufgaben abhängig. „Wir brauchen Personalbemessungsinstrumente, die den individuellen Pflegeaufwand, den Qualifikationsmix und die örtlichen Strukturen berücksichtigen.“ Eine ausreichende Personalausstattung erfordere, so Strobl, eine verlässliche Refinanzierung der damit verbundenen Kosten.

    Das Neuburger Krankenhaus ist ein Akutkrankenhaus, was bedeutet, es betreibt eine Tag- und Nachtaufnahmebereitschaft. Aber in der ambulanten Notfallversorgung sei die Vergütung unzureichend, so Strobl weiter: „Wir wollen bei der Notfallversorgung gern mit niedergelassenen Ärzten zusammenarbeiten – aber ohne bürokratische Hürden und nicht auf eigene Kosten, sondern für eine sachgerechte Vergütung, die auch die Vorhaltekosten berücksichtigt. Dafür sollte ein sektorenübergreifendes eigenständiges Budget zur Verfügung gestellt werden.“ Behandelt das Krankenhaus im stationären Bereich mehr Patienten, als vorher mit den Krankenkassen vereinbart, bekommt es nicht die vollen Fallpauschalen bezahlt. Eine finanzielle Bestrafung für das Mehr an medizinischer Hilfe.

    Strobl schaut aber wieder auf den Kern, das Personal: „Das für die Aufgaben benötigte Fachpersonal muss auch verfügbar und rekrutierbar sein.“ Die Einführung von Personaluntergrenzen für besonders sensible Bereiche löse die Probleme noch nicht. „Angesichts des bestehenden Fachkräftemangels schaffen Vorgaben keine zusätzlichen Fachkräfte, sondern könnten den Mangel auch verschärfen.“ Außerdem müssten die Bundesländer ihre Investitionspauschalen überarbeiten. „In den Fallpauschalen sind keine Investitionskosten enthalten. Aber alleine ein Ultraschallgerät kann zwischen 100000 und 150000 Euro kosten.“

    Und dann müsste die Politik die Bürokratie deutlich reduzieren. Ein Beispiel: Im Intensivbereich ist gefordert, dass bestimmte Patientenwerte in einem bestimmten Zeitintervall ausgedruckt werden. Wenn nun eine Krankenpflegerin, weil sie einen Notfall auf der Station bearbeiten muss, den Ausdruck erst nach der vorgeschriebenen Zeitspanne anfertigt, kann es passieren, dass der ganze Fall nicht mehr vergütet wird. Was sich dem Laien längst entzieht, darüber grübelt der Fachmann. „Wir wollen den Personaleinsatz sichern, den Druck von unseren Teams nehmen und attraktiv für Ärzte, Pflegekräfte, Therapeuten und weitere Mitarbeiter bleiben.“

    Ein Spagat, den vor allem die Krankenhäuser und deren Mitarbeiter bewältigen müssen.

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