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Abgas-Affäre: Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Audi-Chef Stadler

Abgas-Affäre

Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Audi-Chef Stadler

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    Die Staatsanwaltschaft München II führt nun sowohl Audi-Chef Rupert Stadler wie auch einen weiteren Audi-Vorstand als Beschuldigte in den Ermittlungen zum Diesel-Skandal.
    Die Staatsanwaltschaft München II führt nun sowohl Audi-Chef Rupert Stadler wie auch einen weiteren Audi-Vorstand als Beschuldigte in den Ermittlungen zum Diesel-Skandal. Foto: Ulrich Wagner

    Es ist gegen neun Uhr, als die Ermittler bei dem Neubau im Ingolstädter Westviertel klingeln. Ein vorbeiradelnder Passant wird das später mit den Worten kommentieren: „Da muss was Größeres passiert sein.“ Passiert ist, dass die Staatsanwaltschaft München II wegen des Abgas-Skandals bei der VW-Tochter Audi erneut die Ermittlungen ausgeweitet hat. Und sie führt seit Ende Mai zwei neue Beschuldigte. Einer von ihnen ist Rupert Stadler, seit elf Jahren Chef von

    Im Gespräch mit unserer Redaktion hatte der seit Beginn der Affäre unter enormem Druck stehende Stadler Ende Mai gesagt: „Ich bin nicht der Typ, der die Flinte ins Korn wirft.“ Seit Montag ist offiziell, dass er sie künftig ganz besonders fest halten muss. Denn die Einschläge kommen näher. Wie die Strafverfolgungsbehörde mitteilte, werden Stadler und ein weiterer Audi-Vorstand als Beschuldigte geführt.

    Am Montagmorgen wurden - wie hier - die Privatwohnungen von Stadler und seinem Vorstandskollegen durchsucht worden.
    Am Montagmorgen wurden - wie hier - die Privatwohnungen von Stadler und seinem Vorstandskollegen durchsucht worden. Foto: Luzia Grasser

    Nach Informationen unserer Redaktion handelt es sich dabei um Beschaffungsvorstand Bernd Martens, der bei Audi für die interne Aufarbeitung des Dieselskandals verantwortlich ist. Den beiden werden jeweils Betrug und „mittelbare Falschbeurkundung“ vorgeworfen. Es ist das erste Mal, dass zwei Audi-Vorstandsmitglieder in den Fokus der Ermittlungen geraten. Im September vergangenen Jahres war der ehemalige Chef der Audi-Motorenentwicklung und Porsche-Entwicklungsvorstand festgenommen worden. Er sitzt seitdem in Untersuchungshaft. Einer seiner früheren Mitarbeiter bei Audi in Neckarsulm war nach mehreren Monaten Untersuchungshaft im November 2017 wieder freigekommen.

    Audi soll Autos mit Schummelsoftware verkauft haben

    Insgesamt ist die Zahl der Beschuldigten im Ermittlungsverfahren jetzt auf 20 gestiegen. Bei den Vorwürfen gegen Stadler und seinen Vorstandskollegen geht es nach Angaben der Staatsanwaltschaft um „das Inverkehrbringen von mit manipulativer Abgassteuerungssoftware ausgestatteten Diesel-Kraftfahrzeugen auf dem europäischen Markt“. Vereinfacht gesagt, werfen die Ermittler Stadler und seinem Vorstandskollegen vor, daran beteiligt gewesen zu sein, dass Audi-Kunden wissentlich manipulierte Autos verkauft wurden. Stadler soll nach der Aufdeckung der Manipulationen in den USA von den falschen Abgaswerten auch in Europa gewusst haben, aber anders als in den

    Bei Audi dringt derweil nicht viel nach außen. Auf Anfrage wollten sich weder der Betriebsrat noch die bei Audi mächtige Ingolstädter IG Metall äußern. Audi-Sprecher Jürgen De Graeve kommentierte die Ausweitungen der Ermittlungen mit dem Satz: „Wir kooperieren mit der Staatsanwaltschaft.“

    Beim Vorstandsgebäude von Audi sind Montagmittag fast komplett die Jalousien heruntergelassen. Nur an zwei Fenstern hat sich der Sichtschutz irgendwie verhakt. Unten drunter vor einem der Restaurants steht eine Gruppe Audianer und spricht darüber, dass es ihr oberster Chef ganz oben auf die Nachrichtenseiten geschafft hat.

    Vertrauen die Audianer Stadler noch? Ist er noch zu halten? Seit Monaten wird über die Zukunft des Audi-Chefs spekuliert. Bisher aber hat er aber immer noch bleiben können. Bei einer nicht repräsentativen Umfrage zum Schichtwechsel an den verschiedenen Werktoren, hört man anonym die fast schon routiniert wirkenden, ausweichenden Antworten. Es ist ja nicht das erste Mal, dass eine Razzia den Konzern erschüttert. Einer sagt, man möge die Justiz ihre Arbeit machen lassen. Sprich, es gilt die Unschuldsvermutung. Ein anderer behauptet, alle Autobauer würden doch betrügen. Und im Weggehen: „Ich geh da rein und mache meine Arbeit.“ Etwas später sagt dann anderswo ein Nächster: „Ich glaub da drinnen keinem mehr.“

    Hofreiter: „Die Mauschelei muss ein Ende haben“

    Während die Audianer in Ingolstadt noch versuchen, sich auf die Situation einen Reim zu machen, überwiegt bei Anton Hofreiter der Ärger. „Autobosse wie Stadler haben dem Ruf der Autoindustrie schwer geschadet“, sagte der Grünen-Fraktionschef unserer Redaktion. „Die Mauschelei zwischen Autoindustrie und Bundesregierung muss jetzt endlich ein Ende haben. Der Verkehrsminister und die Autobosse dürfen nicht länger vertuschen, sondern müssen für Aufklärung sorgen.“

    Auch der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), Dieter Kempf, kritisierte den Umgang der Automanager mit dem Skandal. „Wer Fehler gemacht hat, sollte sie benennen, sich entschuldigen und sie abstellen, also Verantwortung übernehmen, um endlich Vertrauen zurückzugewinnen.“ Er wolle nicht verhehlen, dass er sich „nach dem Bekanntwerden der Gesetzesverstöße mehr als einmal ein anderes Verhalten gewünscht hätte“.

    Der Diesel-Skandal bei Audi - eine Chronologie

    18. September 2015: Die amerikanische Umweltbehörde EPA deckt auf, dass der VW-Konzern bei Dieselfahrzeugen die Ermittlungen der Abgaswerte manipuliert hat. Sie geben auf dem Prüfstand geschönte Werte aus. Auch der Audi A3 ist betroffen.

    2. November 2015: Der Skandal weitet sich aus. Die EPA findet heraus, dass auch bei anderen Dieselmodellen die Abgasreinigungsanlage manipuliert wurde. Unter anderem beim Audi A6 Quattro, A7 Quattro, A8, A8L und Q5. Nun ist auch die Rede davon, dass Porsche Abgaswerte schönrechnet. Denn die Porsche-Diesel-Motoren werden von Audi entwickelt.

    4. November 2015: Nach den neuen Vorwürfen der EPA stoppen VW, Porsche und Audi den Verkauf der betroffenen Autos in den USA.

    21. November 2015: Die EPA teilt mit, dass Vertreter des VW-Konzerns eingeräumt haben, bei sämtliche Diesel-Fahrzeuge der Marken VW und Audi mit 3,0-Liter-Motoren aus den Modelljahren 2009 bis 2016 Schummelsoftware eingebaut zu haben.

    23. November 2015: Audi räumt ein, zumindest in den USA in 3,0-Liter-Diesel-Autos Betrugssoftware eingebaut zu haben.

    4. Januar 2016: Die USA verklagen VW, Audi und Porsche wegen des Einsatzes von Betrugssoftware.

    6. November 2016: Es wird bekannt, dass wohl noch mehr Audi-Modelle mit einer Betrugssoftware ausgestattet worden sind. Diesmal soll der Autohersteller auch bei den CO2-Werten geschummelt haben.

    15. März 2017: Während der Jahrespressekonferenz von Audi durchsuchen mehr als 100 Polizisten die Audi-Zentrale in Ingolstadt, weitere Standorte und die Wohnungen von Mitarbeitern. Grund ist ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwalt München II gegen Unbekannt wegen des Verdachts des Betrugs und der strafbaren Werbung.

    1. Juni 2017: Das Verkehrsministerium findet heraus, dass Audi auch in Deutschland illegale Abschalteinrichtungen in Autos eingebaut hat. 24000 Fahrzeuge sind betroffen.

    2. Juni 2017: Die Staatsanwaltschaft München II weitet ihr Ermittlungsverfahren gegen Audi aus. Nun geht es auch um Fahrzeugverkäufe in Deutschland und Europa

    7. Juli 2017: Bei den Ermittlungen in der Diesel-Affäre wird zum ersten Mal in Deutschland ein Beschuldigter festgenommen. Dem Ex-Audi-Manager aus Neckarsulm werden Betrug und unlautere Werbung vorgeworfen.

    4. August 2017: Die Münchner Staatsanwaltschaft leitet im Zusammenhang mit der Diesel-Affäre ein Bußgeldverfahren gegen mehrere Audi-Vorstände ein. Wegen möglicher Verletzung von Aufsichtspflichten laufe ein solches Verfahren gegen noch unbekannte Vorstände des Autobauers, teilt die Behörde mit.

    28. September 2017: Im Zusammenhang mit der Abgasaffäre gibt zwei weitere Durchsuchungen. Ein weiterer Audi-Mitarbeiter kommt in Untersuchungshaft.

    2. November 2017: Audi ruft weitere 5000 Diesel-Autos mit unzulässiger Abschalteinrichtung zurück.

    21. Januar 2018: Das Kraftfahrtbundesamt ordnet einen weiteren Zwangsrückruf an. Diesmal müssen 130 000 Audis zurück in die Werkstätten.

    6. Februar 2018: Die Staatsanwaltschaft München II durchsucht Geschäftsräume in der Audi-Zentrale in Ingolstadt und im Werk in Neckarsulm. Auch eine Privatwohnung wird durchsucht.

    8. Mai 2018: Audi stoppt die Auslieferung des A6 und A7. Bei einer Überprüfung hätte sich herausgestellt, dass eine falsche Software zur Abgasreinigung in den Wagen verbaut worden sei. Allerdings wäre dies aus Versehen geschehen und nicht zum Zweck der Manipulation, sagt der Ingolstädter Konzern.

    11. Juni 2018: Die Staatsanwaltschaft München II gibt bekannt, dass sie nun auch gegen Audi-Chef Rupert Stadler und den Beschaffungsvorstand Bernd Martens ermittelt.

    18. Juni 2018: Audi-Chef Rupert Stadler sitzt in Untersuchungshaft. Es bestehe Verdunklungsgefahr.

    Rechtsanwalt Markus Wintterle geht davon aus, dass die Aufklärung des Abgas-Skandals noch Jahre dauern wird. Der Mannheimer Jurist berät Manager zu Haftungsfällen bei Pflichtverletzungen oder Gesetzesverstößen. „Die Staatsanwaltschaft muss sich in mühevoller Kleinstarbeit vorwärts arbeiten“, erläutert er. „In Deutschland mahlen die Mühlen der Justiz sehr langsam, aber auch sehr gründlich.“ Sollten sich die Vorwürfe gegen Stadler erhärten, könnten auf den Audi-Chef nach Wintterles Einschätzung eine Geldbuße oder eine Bewährungsstrafe zukommen. Daneben könnte es für den Top-Manager unter Umständen teuer werden – dann, wenn der Audi-Aufsichtsrat Schadenersatz bei Stadler geltend machen will. Wintterle geht davon aus, dass Stadler für einen solchen Fall versichert ist. Allerdings greifen die sogenannten Directors & Officers Versicherungen nur, wenn der Fehler nicht vorsätzlich begangen wurde. „Wenn Stadler strafrechtlich ein Betrug nachgewiesen werden kann, wird es auch zivilrechtlich eng.“

    Kann ein Unternehmen es sich noch leisten, an einem Chef festzuhalten, der juristisch derart unter Beschuss steht? „Der Konzern muss sich die Frage stellen, ob er mit Herrn Stadler einen Neuanfang für machbar hält“, sagt der Jurist. Allerdings führe nicht jede Ermittlung zu einer Verurteilung. „Am Ende des Tages könnte Herr Stadler auch erhobenen Hauptes aus der ganzen Sache herausgehen.“ (mit dpa)

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