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75 Jahre Kriegsende: Krieg in Neuburg: Die „Stunde Null“ begann vor 75 Jahren

75 Jahre Kriegsende

Krieg in Neuburg: Die „Stunde Null“ begann vor 75 Jahren

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    Der Bombenabwurf im April 1943 zertrümmerte das Kolpinghaus und kostete 14 Menschen das Leben. Hier räumen Arbeiter unter Aufsicht von Wehrmachtssoldaten und SS den Schutt auf.
    Der Bombenabwurf im April 1943 zertrümmerte das Kolpinghaus und kostete 14 Menschen das Leben. Hier räumen Arbeiter unter Aufsicht von Wehrmachtssoldaten und SS den Schutt auf. Foto: Archiv Rucker

    Die „Stunde Null“ in Neuburg begann heute vor 75 Jahren mit der Sprengung der Donaubrücke. Ein Leutnant der Wehrmacht zündete am Mittwochabend des 25. April 1945 die Sprengladung am Hotel Krone: Neuburgs einziger Flussübergang versank in der Donau. Zwei Tage später war für die Bewohner der Zweite Weltkrieg vorbei. Nur zwei Tages später am Freitag, 27. April, setzte die US-Army – das 2. Bataillon des 179. Infanterieregimente – an der Schilchermühle mit Booten und Pontons über die

    Im gesamten Kriegsverlauf verlor die Stadt Neuburg 800 Menschenleben – Soldaten, Zivilisten, Zwangsarbeiter. An die Opfer des Krieges und die Sinnlosigkeit von Gewalt erinnert Oberbürgermeister Bernhard Gmehling in Zeiten der Corona-Pandemie mit einer Videobotschaft. Darin betont er die Wichtigkeit eines einigen Europas mit Freundschaft unter den Nachbarvölkern. Am Kriegerdenkmal im Hofgarten liegt zum 75. Jahrestag ein Kranz in den Stadtfarben – mehr will die Stadt wegen der Ausgangsbeschränkungen nicht machen.

    Krieg in Neuburg: US-Soldaten suchten nach wehrfähigen Männern

    Es gibt noch Zeitzeugen. Einer ist Hans Hermann (91). Zum Arbeitsdienst eingezogen, geriet er an der italienischen Grenze in amerikanische Gefangenschaft. Nach bangen Wochen mit karger Verpflegung durfte er am 6. Juni nach Hause. Ein amerikanischer Lkw-Fahrer machte sogar einen Umweg Richtung Eichstätt und ließ den jungen Zimmerergesellen am Rieder Berg aussteigen. „Dann bin mit meinem Rucksack nach Ballersdorf gelaufen“, erzählt

    Hobbyhistoriker Paul Segerer (84), zu Kriegsende ein neunjähriger Bub, sah zwei tote deutsche Soldaten in der Altstadt liegen und erlebte mit, wie ein US-Trupp vor der Bäckerei Kaindl Wehrmachtssoldaten stellte und entwaffnete. Zwei Häuser in der Nähe des Gefängnisses seien von Tieffliegern zerschossen worden, und die Bewohner riefen nach dem Angriff: „Lasst uns hier raus!“ Er werde den Moment nie vergessen, als der erste US-Soldat sein Elternhaus in der Karmelitergasse in der Altstadt betreten hatte und nach wehrfähigen Männern fragte: „Nix camerad?“.

    Die Erlebnisse des Krieges schrieben manche Neuburger ins Tagebuch

    Hildegard Bullinger führte in sauberer Schrift mit Tinte ein Tagebuch, in dem sie über die letzten Kriegstage in Neuburg schrieb.
    Hildegard Bullinger führte in sauberer Schrift mit Tinte ein Tagebuch, in dem sie über die letzten Kriegstage in Neuburg schrieb. Foto: Winfried Rein

    Auch die jüngsten Hitlerjungen wurden 1945 vielfach noch ins „letzte Aufgebot“ geholt. Matthias Schieber (1927–2001), 1997 zum Neuburger Ehrenbürger ernannt, hatte Glück, weil man wegen der gesprengten Brücke von Norden her nicht mehr in die Stadt konnte. Der 16-Jährige schrieb seine Erinnerungen in ein „Kriegstagebuch“.

    Das machte auch die heute 91-jährige Hildegard Bullinger. Als 16-jährige Schülerin des Maria-Ward-Instituts verfolgte sie mit ihren Freundinnen neugierig das historische Geschehen. Jetzt holte sie nach langer Zeit ihr Tagebuch hervor. In feiner Schrift hatte sie darin am 25. April 1945 notiert: „Bis nachmittags um zwei Uhr ist viermal Fliegeralarm (unmittelbare Feindgefahr). Erster Fliegerangriff mit Phosphorbomben, in der Hauptstraße brennen Ölwagen, die Straße von der Donau bis zur Rennbahn ist ein Flammenmeer. Die Häuser werden gerettet, nur Friseur Meier brennt aus, ebenfalls Auer. Beim Munzinger eine große Sprengbombe. In unserer Nähe brennt es sehr stark (Hennenwirt, Spanner, Fallenbacher, Simmeck, Ensinger). Das Feuer dauert die ganze Nacht durch an. Wir haben die ganzen Betten im Keller gehabt, aber nicht geschlafen, nur gebetet, dass nichts einschlägt. Ständig pfiffen Granaten vorbei.“

    Hildegard Bullinger erlebte den Bombenangriff auf Neuburg mit

    Den Einmarsch der US-Army am 27. April sieht das junge Mädchen sorgenvoll. „Oh schwarzer Tag! Die Stadt ist der feindlichen Übermacht erlegen“, notiert sie in ihr Tagebuch. Nach jenem „unglückseligen Freitag“ seien deutsche Geschäftshäuser auch von Deutschen geplündert worden, „oh Schande, ewige Schande.“ Doch bald stellte die junge Neuburgerin fest, dass die amerikanischen Besatzer Freunde waren und eine wesentliche Rolle beim Wiederaufbau spielten. Ein farbiger GI musste laut lachen, als er das Mädchen mit den blonden Zöpfen fragen hörte: „What want you?“

    Steine an der Bürgermeister-Sing-Straße erinnern an den Beschuss durch Tiefflieger im Weltkrieg.
    Steine an der Bürgermeister-Sing-Straße erinnern an den Beschuss durch Tiefflieger im Weltkrieg. Foto: Winfried Rein

    Hildegard Bullinger erlebte auch, wie am Abend des 17. April 1943 ein „gewaltiger Schlag“ die Kolpingstraße (damals Richard-Wagner-Straße) erschütterte. Ein englischer Bomberpilot hatte nach Flakbeschuss aus der Lassignykaserne seine Last ausgeklinkt. 14 Menschen, darunter ein kleines Mädchen, starben. Das Kolpinghaus und 18 Anwesen legten die vier Fliegerbomben komplett in Trümmer. Es war das einzige Mal, dass die Stadt Neuburg – im Gegensatz zu Ingolstadt und Donauwörth – systematisch bombardiert worden war.

    Neuburg wurde im Krieg nur einmal systematisch bombardiert

    Die Wifo Unterhausen mit dem großen Tanklager der Wehrmacht und den Flugplatz Zell mit einer „Messerschmitt“-Werft hatten die Alliierten dagegen von Beginn an ins Visier genommen. Die Wehrmacht ließ auch das Weicheringer Munitionslager sprengen. Boden und Häuser bebten, der massive Luftdruck deckte Dächer ab. Der

    Enkel und Urenkel des tschechischen Angestellten Stanislav Vytiska besuchten Neuburg und das Kolpinghaus, hier mit Horst Schwark.
    Enkel und Urenkel des tschechischen Angestellten Stanislav Vytiska besuchten Neuburg und das Kolpinghaus, hier mit Horst Schwark. Foto: Schwark

    Inmitten des Bomben-Schreckens gab es ein kleines „Wunder von Neuburg“. So bezeichnete der tschechische Angestellte Stanislav Vytiska (1913–1986) den glücklichen Umstand, dass er im April 1943 die Bombennacht überstanden hatte. Er hatte damals für die Darlehensbank in Neuburg gearbeitet und gedacht, „dass die Engländer keine Bomben für Neuburg haben“. Helfer holten den in Staub und Ziegeln Verschütteten dann aus den Trümmern. „Mir ist in Neuburg ein zweites Leben gespendet worden“, schrieb er nach dem Krieg in der Zeitschrift „Der Sämann“.

    Anfang dieses Jahres stand Enkel Pavel Siuda mit seiner Familie vor der Tür von Heimatforscher Horst Schwark und erzählte die Geschichte seines Großvaters. Er habe die Neuburger Bombennacht im Gedächtnis behalten und mehrfach erzählt. Sein Großvater sei sicher gewesen, dass das Weihwasser, das er am Nachmittag des 17. April aus der Heilig-Geist-Kirche geholt hatte, sein Schutz gewesen sei.

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