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Weißenhorn: Messerscharfer Beobachter und Analyst: Josef Feistle stellt neues Buch vor

Weißenhorn

Messerscharfer Beobachter und Analyst: Josef Feistle stellt neues Buch vor

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    Josef Feistle hat in Weißenhorn sein Werk "Sein und Wollen" präsentiert.
    Josef Feistle hat in Weißenhorn sein Werk "Sein und Wollen" präsentiert. Foto: Ralph Manhalter

    Nur die Fenster trennten den Saal von der turbulenten Welt draußen. Im Inneren: Entschleunigung, Zeit finden, Muße haben, sich öffnen für das gesprochene Wort, nicht für das oft sinnbefreite Sich-Prostituieren in den sogenannten sozialen Medien. Trotz sommerlicher Temperaturen und dem allenthalben Public Viewing – was pikanterweise im American English nichts weniger als „Leichenschau“ bedeutet - versammelte sich eine kleine, aber feine, sicherlich kulturell anspruchsvolle Gruppe im Trauzimmer des Weißenhorner Rathauses, um dem Referenten zu lauschen. Josef Feistle, Lehrer im Unruhestand, Reisender, Fotograf, Menschenkenner und lokaler Philosoph, las aus seinem neuesten Werk, zwischenzeitlich das zehnte seines Repertoires. „Sein und Wollen“ blicke wieder einmal tief in den Bücherschrank der abendländischen Geistesgeschichte, lobte Matthias Kunze in der Begrüßung das 60 Seiten umfassende Büchlein.

    Die Texte sind nicht geeignet zum oberflächlichen Lesen

    Und tatsächlich ruft Feistle Erich Fromm, gar Schopenhauer, Haben und Sein oder die Welt als Wille in Erinnerung. Die Gedichte entstanden in den vergangenen nahezu 20 Jahren, zahlreiche unter ihnen haben Preise gewonnen, Texte nicht geeignet zum oberflächlichen Lesen. Nur wenige Worte, stattdessen tag- oder nachtfüllende Gedanken im Angesicht der umrahmenden Fotografien. Feistle leitet an zum Weiterdenken, zur Diskussion, zum Abgleich mit eigenen Erfahrungen. Zeitkritischen Themen wie der Atommüllproblematik wird der Kontrapunkt durch die Beschreibung der Auskunftsmädchen gesetzt. 

    Der Autor ist ein messerscharfer Beobachter, nicht nur mit dem Bleistift, sondern auch durch die Sucher seiner Fotoapparate. Denn davon gibt es zuhauf aus unterschiedlichster Provenienz und mit vollkommen diversifizierenden Biografien: Eine Leicaflex aus dem Jahr 1964 (BRD) neben einer Practica Super (1968, DDR), einer Kiev 60 (1980 UdSSR) und noch mindestens zwei Handvoll mehr. Selbstredend die Produkte alle in Schwarz-Weiß. Detailaufnahmen mit einer Geschichte dahinter und einer Interpretation in petto.

    Autor hat Fähigkeit, Banalitäten des Normalen einer kritischen Analyse zu unterziehen

    Die ausgestellten Bilder korrespondieren größtenteils mit den vorgetragenen Gedichten. Feistle, der Installationskünstler avant la lettre? Fast könnte der Eindruck entstehen, die Musik kommt noch vom Kassettenrekorder. Dazu des Autors Habitus: renoviertes Altstadthaus, Liebhaber historischer Fahrzeuge. Und doch geht von diesem vermeintlich konservativen Geist eine herrliche Frische aus, die Fähigkeit, die Banalitäten des Normalen einer kritischen Analyse zu unterziehen. Hat der Mensch durch KI nochmals eine Chance? Dabei sei er ein ungeduldiger Mensch, sagt Feistle über sich selbst, um hinzuzufügen, dass die Welt gerade schwer zu ertragen ist. 

    Andererseits persifliert der Autor sich selbst, wenn er zwischendurch den Ablauf der Lesung minutiös kommentiert. Fazit: Ein durch und durch geistreiches Gedankenbuch, das aber bitte nicht, so Feistle, an einem Abend durchgelesen werden sollte. Zwei, drei, bestenfalls vier Gedichte würden dem Literaturliebhaber zumindest keine schlaflosen Nächte bereiten. Erhältlich ist das Buch „Sein und Wollen“ zum Preis von 15 Euro direkt über den Autor. 

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