Der Steinwurf von Neu-Ulm hat bei den Grünen deutliche Spuren hinterlassen. Beim Besuch von Claudia Roth im Weißenhorner Claretiner-Kolleg am Donnerstag galt es, mehrere Kontrollstellen zu durchlaufen, vorbei an zahlreichen Ordnern und fast einem Dutzend Polizisten, welche die Wahlveranstaltung absicherten. Doch der Abend verlief unaufgeregt, die Staatsministerin für Kultur und Medien blieb bei ihrem Auftritt mit Landtagskandidatin Julia Probst und Bezirkstagskandidatin Leila Bagci unter Freunden.
Claudia Roth prangert vergiftetes Wahlkampfklima an
Unter dem Motto "woke und wehrhaft" lauschten rund 50 Gäste mucksmäuschenstill, als Claudia Roth über die letzten, rauen Wochen sprach, noch immer fassungslos. "Der Steinwurf von Neu-Ulm war ein Schreckmoment, und das weit über Bayern hinaus", sagte Roth. Auf diese Angriffe auf die Demokratie müsse geantwortet werden, es brauche spätestens nach Neu-Ulm eine Politik, die dem eine Kultur des Anstands und des Respekts entgegenstellt und nicht weiter Öl ins Feuer gießt. "Unser Land ist leicht entflammbar und auch Bayern ist leicht entflammbar", so Roth. In der Politik dürfe die politische Konkurrenz bei allen Unterschieden nicht zu Feinden erklärt werden.
So wie es schon Julia Probst bei der Podiumsdiskussion der Neu-Ulmer und Illertisser Zeitung getan hatte, attackierte Roth in diesem Zusammenhang Ministerpräsident Markus Söder (CSU), der den Grünen im Wahlkampf wiederholt das Bayern-Gen absprach. "Er pflegt sein dogmatisches Feindbild 'grün' und versucht uns de facto auszubürgern, aus seiner Idee von Bayern", sagte Roth. Eine bürgerliche Regierung wolle Söder, und meine damit eine Koalition mit Hubert Aiwangers Freien Wähler. "Wer wie Aiwanger als demokratisch gewählter Abgeordneter die sogenannte schweigende Mehrheit auffordert, sich die Demokratie zurückzuholen, ist nicht bürgerlich. Das sind die Worte eines Brandstifters", so Roth.
Stimmung in Weißenhorn lässt den rauen Wahlkampf für kurze Zeit vergessen
Im Claretiner-Kolleg war von dem vergifteten Wahlkampfklima jedoch nichts zu spüren. Die Grünenpolitikerinnen und ihre Unterstützer und Unterstützerinnen blieben unter sich. In dieser kleinen Oase der Ruhe folgte auf Roths Rede eine lockere Diskussionsrunde, in der unter anderem Leila Bagci sich selbst und die Aufgaben des Bezirkstags vorstellte, und alle auf der Bühne auf kurze, launige Fragen des Moderators Alpay Artun antworteten. Überzeugungsarbeit musste in diesem Rahmen nicht geleistet werden, vielmehr schienen die Grünen der Region diesen Abend zur Selbstheilung nach den stürmischen letzten Wochen nutzen zu wollen.
Zum Abschluss gab Julia Probst den Zuschauerinnen und Zuschauern dann noch einen kleinen, unterhaltsamen Grundkurs in Gebärdensprache. So erfuhren die Gäste, dass Gehörlose in ihrer Namensgebung in sehr direkter Weise, äußerliche oder charakterliche Eigenschaften aufgreifen. Helmut Kohl wurde beispielsweise über sein Doppelkinn beschrieben, Gerhard Schröder, aufgrund seiner oft wechselnder Meinung, als buchstäbliches Fähnchen im Wind. Die Merkel-Raute für die Altkanzlerin dürften wohl auch Menschen verstehen, die keine Gebärdensprache sprechen. Aber nur in Deutschland, denn in den USA ist es das Symbol für Vagina, wie Julia Probst lachend erklärte.