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Ulm: So schlägt sich die 63-jährige Domina aus Ulm durch die Corona-Krise

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So schlägt sich die 63-jährige Domina aus Ulm durch die Corona-Krise

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    Die Ulmer Domina Andrea Dorijal sieht die Zukunft für ihre Branche rabenschwarz. Jetzt lebt sie erst mal von Hartz IV.
    Die Ulmer Domina Andrea Dorijal sieht die Zukunft für ihre Branche rabenschwarz. Jetzt lebt sie erst mal von Hartz IV. Foto: Alexander Kaya

    Normalerweise macht Andrea Dorijal die Ansagen, und wenn der Betreffende nicht spurt, greift sie zur Peitsche. Das gehört sich so für eine Domina, die bei ihren Kunden einem ganz speziellen Erziehungsauftrag nachgeht. Doch seit ziemlich genau einem Jahr stehen auch sie und ihre Branche unter der Knute des Coronavirus. Es verdammt das gesamte Gewerbe zum Nichtstun, das Rotlicht ist erloschen. Vielleicht geht es hierzulande auch nie mehr offiziell an. Das zumindest fürchtet Andrea Dorijal und blickt in eine sehr finstere Zukunft: "Es kommen doch nur noch Verbote, das macht keinen Spaß mehr." Ein Besuch bei einer sehr frustrierten starken Frau.

    Die Ulmer Domina möchte nicht den ganzen Tag putzen

    Sie ist sehr schmal geworden, noch deutlich schmaler als sie vor einem Jahr war. Damals hatte unsere Redaktion sie in ihrem Studio in Ulm für eine große Reportage besucht. Andrea Dorijal war zwar schon immer der eher drahtige Typ, was der manchmal etwas kraftintensive Job ja auch erfordert. Aber in den vergangenen Monaten verlor sie rapide an Gewicht. Die Umstände zerren an ihren Nerven, machen die Frau mürbe, die eigentlich von Berufs wegen stets Stärke und Souveränität ausstrahlen muss. "Ein Gefühl der Freude, das gibt es nicht mehr", sagt sie, "ich denke, es geht alles den Bach runter." Meist ist der Vormittag schon weit vorangeschritten, wenn sie aus dem Bett steigt, denn das mit dem Schlafen klappt nicht mehr so gut, wenn die Gedanken kreisen. "Und dann frag ich mich schon manchmal, warum soll ich jeden Morgen aufstehen?" Sie tut es dann doch, obwohl die Aussicht nicht prickelnd ist, wieder mal viel Zeit totschlagen zu müssen, egal ob mit Gymnastik, Spazierengehen oder Aufräumen. "Man kann nicht den ganzen Tag putzen, denn irgendwann ist ja fertig geputzt." Sie will viel lieber in dem Beruf arbeiten, den sie liebt: als Domina.

    Andrea Dorijal betreibt ein kleines Bordell in Ulm, vermietet die Zimmer an Prostituierte, die zuletzt vornehmlich aus Osteuropa kamen. Im Keller hat sie ihr SM-Studio eingerichtet, in dem sie eine harte Hand walten lässt und Herren erzieht, die sich genau so etwas wünschen und sich das einiges kosten lassen. Sie lieben es, sich auf Zeit einer Frau völlig auszuliefern. Nun ist sie selbst ausgeliefert, denn mit Beginn des ersten Lockdowns musste sie zusperren. Seither hat sie nicht mehr aufgemacht.

    Corona-Berichte verunsichern die Kunden der Prostituierten

    Die ersten Wochen, erzählt sie, gab es noch einiges zu tun. So musste sie sich etwa um eine Dame aus Tschechien kümmern, die nun plötzlich nicht mehr nach Hause kam und monatelang in ihrem Bordellzimmer ausharrte. Sie brauchte für den Frühling und Sommer leichtere Kleidung und um das Essen kümmerte sich eine Organisation aus Berlin, die für gestrandete Prostituierte Geld sammelte. Andere Mieterinnen waren schon rechtzeitig abgereist, denn die Geschäfte liefen nicht mehr so richtig. All die Berichte über die heraufziehende Pandemie hatten die Männer verunsichert, die sich gerne mal die schnelle Zuneigung erkaufen gehen. In den ersten vier Lockdown-Wochen war Andrea Dorijal "mit Anträgen beschäftigt". Die erste Unterstützung floss denn auch recht schnell, allerdings deckte sie ja nur die "Betriebskosten", also die Miete für das Haus. Für den sonstigen Lebensunterhalt verkaufte Andrea Dorijal vieles, das gerade nicht benötigt wurde, "man braucht ja auch was zu essen".

    Im Sommer schien es für kurze Zeit, als könnte die rote Lampe mal wieder angehen. Andrea Dorijal entwarf Hygienekonzepte, baute um, damit die Auflagen erfüllt wurden - und gab dann schließlich doch auf: Neue Mieterinnen waren nicht in Sicht, denn die kamen aus dem Ausland, fürchteten die Quarantäne und hatten Angst, im Ernstfall nicht mehr heimzukommen. Außerdem: "Es wäre wahrscheinlich eh keiner gekommen, denn wer hätte schon den Fragebogen ausgefüllt, mit Namen und kompletter Adresse? Ich hätte die Gäste verstanden."

    Ulmer Domina: Die Prostitution geht illegal weiter

    Doch mit dem Lockdown ist die Prostitution nicht ausgestorben, sie ging und geht weiter, eben in Privatwohnungen oder, als das noch möglich war, auch in Hotels. Das sei ja wie bei so manchen Friseuren, die bis vor Kurzem eben schwarzarbeiteten, um über die Runden zu kommen. Das ärgert Andrea Dorijal, weil sie sich, wie sie betont, an die Regeln hält - und nun von Hartz IV leben muss. Sie habe sich sehr geschämt, als sie den Antrag stellte. Mittlerweile schäme sie sich nicht mehr. Die Zukunftsaussichten? Sind bescheiden: "Ich schaue der Insolvenz entgegen", sagt die Frau, die einst so stark wirkte. Sie ärgert sich sehr darüber, denn sie habe Zeit ihres Lebens gearbeitet. "Ich habe mit 40 noch einmal neu angefangen, mit zehn Mark in der Tasche."

    Damals hatte sich ihr Ehemann, Vorstandsmitglied bei einer regionalen Bank auf der Alb, als Schwindler entpuppt, der Kundengelder veruntreute, um seine in den Sand gesetzten Finanzspekulationen zu finanzieren. Nachdem diese Lebenskatastrophe ausgestanden war, führte für sie kein Weg zurück in die heile Welt, die ohnehin nur ein Schein war. Andrea Dorijal kam nach Ulm, versuchte vergeblich, auf dem Arbeitsmarkt unterzukommen. Sie galt offenbar mit 40 schon als zu alt. Über eine Freundin kam sie in Kontakt mit der Rotlichtszene. Sie ließ sich zur Domina ausbilden und hat diesen Schritt nie bereut. Sie habe ein sehr buntes Leben gehabt, sagt sie. Wie bunt, das lässt sich in ihren beiden "Dornenhimmel"-Büchern nachlesen.

    Jetzt hofft die Domina selbst auf eine klare Ansage

    Jetzt, mit 63, dürfte sie wieder mal zu alt sein für den Arbeitsmarkt: "Wer stellt mich denn da noch ein?" Vielleicht jemand, der eine unerschrockene Führungskraft braucht, die auch mal sehr klare Ansagen machen kann. Sie selbst hofft ebenfalls auf ein deutliches Wort, nämlich von der Politik. Die solle irgendwann in absehbarer Zeit für Klarheit sorgen und sagen, ob sie ihren Betrieb wieder öffnen könne oder nicht. Ob Prostitution in Deutschland jemals wieder erlaubt wird, da ist sie sich absolut nicht sicher. "Die Ungewissheit", findet Andrea Dorijal, "die ist das größte Problem. Wenn man was weiß, dann macht das Leben wieder Spaß."

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