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Illerkirchberg-Prozess: Angeklagter will zurück in die Heimat

Ulm

Prozess um Mord in Illerkirchberg: Angeklagter will zurück in seine Heimat

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    Im Fall der Messerattacke von Illerkirchberg sind am vierten Prozesstag die Plädoyers verlesen worden. Verteidigerin Corinna Nagel sieht keine besondere Schwere der Schuld.
    Im Fall der Messerattacke von Illerkirchberg sind am vierten Prozesstag die Plädoyers verlesen worden. Verteidigerin Corinna Nagel sieht keine besondere Schwere der Schuld. Foto: Alexander Kaya

    Lange schwieg der 27-jährige Asylbewerber aus Eritrea vor Gericht. Die meiste Zeit des Prozesses um die tödliche Messerattacke von Illerkirchberg blickte er nur auf den Tisch oder den Boden vor sich. An diesem Dienstag, dem vierten Tag der Verhandlung, wandte er sich in seinen "letzten Worten" dann doch noch an die Opfer und ihre Familien. Trotzdem dürfte er kommende Woche zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt werden. Seine Verteidigerin aber scheint schon an die Zeit danach zu denken. 

    Nicht auf Deutsch, sondern in seiner Muttersprache machte Michael Okba B. zunächst Angaben zu seiner Person. Nicht aber zur Tat. Am 30. August 2008 habe er mit damals zwölf Jahren seine Heimat verlassen. Erste Station: Äthiopien. Zwei Jahre verbrachte er dort mit seinem Bruder, der dann in die USA weiterzog. B. musste bleiben. Familienangehörige hat er seither nicht mehr getroffen. Insgesamt sechs Jahre verbrachte er in einem Flüchtlingscamp. Dort habe er auch eine Freundin gehabt. Jeden Tag habe er sich nach Papieren erkundigt, um ins Ausland zu kommen. Sein Ziel: England. Sein großer Traum:

    Mord an Ece in Illerkirchberg: Mit zwölf Jahren hat der Angeklagte die Heimat verlassen

    Über den Sudan und Libyen, wo er aus einem Gefängnis floh, kam er nach Italien. Über Österreich nach Deutschland und Illerkirchberg. 1600 Euro habe ihn die Überfahrt im Schlauchboot am 5. September 2015 gekostet. Knapp einen Monat vor seinem 20. Geburtstag. Probleme habe es keine gegeben, sagt er. Es sei sogar schnell gegangen. Bezahlt habe die Fahrt nicht er, sondern Leute, die mit ihm unterwegs waren. "Nett von denen", kommentiert das der Vorsitzende Richter Wolfgang Tresenreiter. Schulden, sagt seine Verteidigerin Corinna Nagel, habe er nicht mehr. Bis zu 2000 Euro netto habe er zuletzt im Monat verdient. Er soll seiner Familie auch Geld geschickt haben. 

    Nagel legte dem Gericht Dokumente vor, die belegen sollen, dass ihr Mandant, sobald es ihm möglich ist, Deutschland verlassen möchte. Darunter Lagepläne vom Heimatort sowie Namen von Angehörigen. Sein Status zum subsidiären Schutz sei ihm in der Zwischenzeit aberkannt worden. Er gelte nun als ausreisepflichtig. Ganz bewusst sei dagegen nicht geklagt worden. Eine Abschiebung sei nicht notwendig. Er wolle freiwillig zurück. Zu den Beweggründen heißt es vom Angeklagten: "Alles, was ich haben wollte, habe ich nicht bekommen." Und: "Gefängnisse gibt es hier, aber auch in Eritrea." Ein Afrikaexperte, insbesondere für Eritrea, berichtete unserer Redaktion: Die Regierung dort nehme nur Menschen wieder auf, die freiwillig zurückwollen.

    Prozess um Illerkirchberg-Mord: Liegt eine besondere Schwere der Schuld vor oder nicht?

    Doch darf er überhaupt irgendwann wieder zurück? In ihren Plädoyers waren sich fast alle weitestgehend einig. Alle forderten lebenslange Haft. Keiner hat einen Zweifel daran, dass der Angeklagte am 5. Dezember 2022 die 14-jährige Ece auf dem Weg zur Schule getötet und ihre 13-jährige Schulfreundin schwer verletzt hat. Aus Heimtücke. Und um eine andere Straftat realisieren zu können. Nämlich im Landratsamt auf den Mitarbeiter einstechen zu können, der ihm seiner Ansicht nach einen Pass verweigert hat.

    Einen wesentlichen Unterschied aber gibt es. Und auf den könnte es ankommen, wenn es darum geht, wann und ob überhaupt der Mann wieder in seine Heimat darf: Liegt eine besondere Schwere der Schuld vor oder nicht? Würde das Gericht diese feststellen, ist in der Regel eine vorzeitige Entlassung aus dem Gefängnis nach 15 Jahren nahezu ausgeschlossen. Staatsanwältin Nadine Schmelzer und die beiden Nebenklagevertreter bejahen das. Zwei Opfer. Beides Kinder. Die "Zusammenhangslosigkeit" des Angriffs auf die beiden Mädchen würden es schwer zu fassen machen, "was passiert, wenn er wieder etwas nicht bekommt, was er meint, dass ihm zusteht". Süleyman Pozan, der Anwalt von Eces Eltern, nannte den Mann in seinem teils unter Tränen vorgetragenen Plädoyer einen "kaltblütigen Mörder", der zu keiner Zeit des Verfahrens Reue gezeigt habe. Es gehe ihm ausschließlich um sich, nicht um das Leid, das er den Menschen angetan habe. Der 27-Jährige sei "eine Gefahr für die Öffentlichkeit". 

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    Ein 27-jähriger Asylbewerber aus Eritrea steht ab heute wegen der tödlichen Messerattacke in Illerkirchberg vor dem Landgericht Ulm. Die Bilder vom Prozessauftakt.

    Illerkirchberg-Prozess: Verteidigerin fordert lebenslang, aber keine besondere Schwere der Schuld

    Rechtsanwältin Nagel sieht das anders und eine besondere Schwere als nicht gegeben an. Fehlende Reue dürfe sich nicht strafschärfend auswirken. Der 27-Jährige habe sich gegenüber der Polizei entschuldigt. Sie selbst habe viele Gefühlsregungen ihres Mandanten wahrgenommen. Auch habe der psychiatrische Gutachter Peter Winckler eine Wiederholungsgefahr nicht erwähnt. 

    Emotional wurde es, als Rechtsanwältin und Nebenklage-Vertreterin Beate Merkt-Buchele in ihrem Plädoyer "letzte Gedanken" der 13-jährigen Überlebenden im Beisein ihrer Eltern verlas. "Ich verstehe nicht, wie manche Menschen anderen wehtun können oder das Leben nehmen. (...) Egal, aus welchem Land oder welche Hauptfarbe man hat, man muss sich an Regeln halten. Wenn man jemand einem so wehtut, sollte man die schlimmste Strafe bekommen. (...) Ece war ein so toller Mensch, hat immer gelacht und hat jeden zum Lachen gebracht. Ich bin so dankbar, dass sie meine allerbeste Freundin war."

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    Rund 300 Menschen stellen am Sonntag brennende Kerzen auf, wo Ece S. getötet wurde. Eine Gruppe von Familienvätern hat die Aktion organisiert.

    "Ich bin über die Tat schockiert, mein Beileid gilt der Familie. Ich bereue es sehr. Ich will mich bei der Familie entschuldigen", sagte der Angeklagte am Ende des mutmaßlich vorletzten Prozesstages. Kommenden Dienstag wird voraussichtlich das Urteil fallen. 

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