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Ulm: "Preis, den wir bezahlen müssen, ist enorm": Ukrainer feiern in Ulm Unabhängigkeitstag

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"Preis, den wir bezahlen müssen, ist enorm": Ukrainer feiern in Ulm Unabhängigkeitstag

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    Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann bekommt in der Teutonia von Varvara (Mitte) und Karyna ukrainische Freundschaftsbändchen umgebunden.
    Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann bekommt in der Teutonia von Varvara (Mitte) und Karyna ukrainische Freundschaftsbändchen umgebunden. Foto: Stefan Puchner, dpa

    Als der Mann mit der zerschossenen Lunge an diesem Nachmittag das erste Mal singt, zücken die Frauen ihre Handys und filmen. Ein paar singen mit, ein Mann wischt sich Tränen aus dem Augenwinkel. Als er zum zweiten Mal auf der Bühne steht, erheben sich alle. Kein Handy ist mehr zu sehen, die Hände liegen auf den Herzen und viele Stimmen singen die ukrainische Nationalhymne. Zwischen all den Menschen steht Winfried Kretschmann. Er sagt, es sei für ihn vollkommen klar gewesen, an diesem Tag nach Ulm zu kommen.

    An diesem Tag, an dem die Ukraine ihren Unabhängigkeitstag feiert. An diesem Tag, an dem der Krieg seit sechs Monaten andauert. "Der Krieg ist noch nicht vorbei, die Gräuel sind noch nicht vorbei, die Menschen leiden weiter", sagt Grünenpolitiker Kretschmann. Er verneige sich vor dem ukrainischen Volk, das Frieden und Freiheitswerte verteidige. Baden-Württembergs Ministerpräsident dankt auch denen, die hier helfen. Die leichten Momente, die es trotz allem immer wieder gebe, seien dem Einsatz der Ehrenamtlichen zu verdanken. Allein in Ulm und dem Alb-Donau-Kreis lebten mehr als 3000 Geflüchtete aus der Ukraine, sagt Kretschmann. Die Hälfte von ihnen sei privat untergekommen, berichtet Ulms Erster Bürgermeister Martin Bendel.

    In der Teutonia treffen sich seit Monaten Einheimische und Geflüchtete

    Vor allem Frauen und Kinder sind nach Deutschland geflohen und an diesem Mittwochnachmittag sind vor allem Frauen und Kinder in die Teutonia in der Friedrichsau gekommen. CDU-Stadtrat Thomas Kienle und Gastronom Stefan Beilhardt haben dort schon vor Monaten regelmäßige Treffen eingeführt: Einheimische und Geflohene sollen im Biergarten in der Au zusammenfinden.

    Violeta Matichyn vom Verein Open ist eine derjenigen, die hilft. Der Unabhängigkeitstag sei ein besonderer Tag für sie und ihre ukrainischen Landsleute, aber zum Feiern sei keinem zumute. Schon allein wegen der Angst, Russland könne das Land mit noch mehr Härte und noch mehr Raketen angreifen. "Wir wollen heute demonstrieren, was uns Demokratie und Freiheit kosten", sagt Matichyn. Ähnliche Worte wird später auch ein offizieller Vertreter ihres Landes finden. Matichyn lobt den Einsatz der Bevölkerung in Ulm und Neu-

    Opernsänger Serhii Ivanchuk auf der Bühne im Ulmer Biergarten Teutonia.
    Opernsänger Serhii Ivanchuk auf der Bühne im Ulmer Biergarten Teutonia. Foto: Sebastian Mayr

    Gedenkfeier zum ukrainischen Unabhängigkeitstag in Ulm

    Shevchenko ist seit fast sechs Jahren ukrainischer Konsul in München, von der Bühne spricht er seinen Dank aus: dem Bund, den Ländern, den Kommunen. Ja, die Zeit für den Westen sei schwierig und der Winter könne noch schwieriger werden, sagt er. Aber für die Ukraine sei die Lage ungleich schwieriger: "Der Preis, den wir für unsere Unabhängigkeit bezahlen müssen, ist enorm."

    Auf der Bühne stehen an diesem Tag nicht nur Politiker. Sinaida Khydenko, Anna Ilnytska und Alla Karlenko haben sich in Ulm kennengelernt, jetzt machen sie gemeinsam Musik. In der Teutonia treten sie mit "Stefania" auf, jenem Lied, mit dem Kalush Orchestra beim Eurovision Song Contest den Sieg für die Ukraine geholt haben. Auf den Biertischen stehen gelbe Sonnenblumen und Europafahnen, aus den Augen der Ukrainerinnen fließen die ersten Tränen. Und dann kommt Sergey Ivanchuk. Der 29-jährige Opernsänger holte schon kurz nach Kriegsbeginn Menschen aus der Ostukraine, bis sein Auto beschossen wurde. Ivanchuk erlitt einen Lungendurchschuss und Verletzungen der Leber, Schusswunden in beiden Beinen, und an seiner linken Hand wurde ein Finger weggeschossen, ein weiterer hing nur noch an einem Stück Haut. Der Musiker wurde erst in der Ukraine und dann in Ulm versorgt. Beim Auftakt des Donaufests stand er auf der Bühne und an diesem Tag tut er es wieder. Erst mit dem Volkslied "Dva kolʹory", zwei Farben. Und später mit der Nationalhymne seines Landes.

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