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Ulm: Polizeisprecher Jürgens geht in Ruhestand: Was war Ihr schlimmster Fall?

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Polizeisprecher Jürgens geht in Ruhestand: Was war Ihr schlimmster Fall?

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    Wolfgang Jürgens war 30 Jahre lang Pressesprecher der Ulmer Polizei. Zum 1. April geht er in Ruhestand.
    Wolfgang Jürgens war 30 Jahre lang Pressesprecher der Ulmer Polizei. Zum 1. April geht er in Ruhestand. Foto: Michael Kroha

    Herr Jürgens, 30 Jahre lang haben Sie die Öffentlichkeitsarbeit der Ulmer Polizei betreut. Wissen Sie überhaupt noch, wie es auf der Straße zugeht?
    WOLFGANG JÜRGENS: Ja. Ich war zuvor zehn Jahre im Streifendienst. Da erlebt man die Polizei sehr intensiv. Im Büro wird es anders, aber nicht ruhiger. Durch die vielen Einsätze, Messen und anderen Termine hat man weiterhin viel Bürgerkontakt. Und wir lesen jeden Tag, was die Kollegen draußen arbeiten. 

    Aber was ist das Spannende am Pressesprecher-Dasein? Ja nicht, dass wir immer anrufen?
    JÜRGENS: Sie sind vor allem in den großen Ermittlungsverfahren immer mit dabei. Sie erleben, wie gut die Kollegen vor Ort arbeiten. Krimi gucken, das ist ok. Aber im richtigen Leben ist das anders. Bei einer Soko ist es faszinierend, wie alles ineinanderläuft. 

    Wolfgang Jürgens beantwortet nach einem SEK-Einsatz in Ulm im Jahr 2012 Fragen von Journalisten.
    Wolfgang Jürgens beantwortet nach einem SEK-Einsatz in Ulm im Jahr 2012 Fragen von Journalisten. Foto: Alexander Kaya (Archivbild)

    Warum haben Sie das dann nicht selber gemacht? 
    JÜRGENS: Wir sind Teil einer Soko. Wir schauen jeden Tag in die Zeitung, hören ins Radio und schauen Fernsehen und verfolgen, was dort für Informationen kommen, die unsere Kollegen brauchen. Die müssen wissen, was in der Öffentlichkeit über den Fall gesprochen wird. Um Vernehmungen richtig führen zu können. Ein Zeuge kann die Informationen ja auch aus den Medien haben. 

    Wie hat sich die Öffentlichkeitsarbeit der Polizei verändert? Als Sie anfingen, gab es noch kein Twitter.
    JÜRGENS: Die Ansprüche sind massiv gestiegen, vor allem mit Blick auf die Geschwindigkeit. Als ich begonnen habe, haben wir die Tagesberichte der Reviere in Papierform bekommen. Mit Blaupapier geschriebene Durchschläge. Verschickt wurden sie per Kurier. Wir waren also schon Stunden im Verzug, bis wir die Infos bekommen haben. Heute können wir gleich eine Meldung verfassen, wenn ein Kollege seinen Bericht online geschrieben hat. Und mit einem Klick kann sie jeder im Netz lesen. So haben sich auch Ansprüche entwickelt. Aber es gibt limitierende Faktoren: Zeit und Personal. 

    Ist die Pressestelle der Ulmer Polizei angesichts heutiger Herausforderungen unterbesetzt?
    JÜRGENS: Die Polizei hat insgesamt zu wenig Personal. Am Ende muss der Chef entscheiden, wo er Personal wegnehmen kann, wenn er es der Pressestelle gibt. Aber es ist überall zu wenig. 

    Es gab in Ihrer Zeit auch Kritik, erst spät oder auch zu spät die Öffentlichkeit informiert zu haben. So zum Beispiel bei einem Einbruch mit einer Vergewaltigung in Blaubeuren, wo der Täter immer noch nicht gefasst ist. Auch bei der Messerattacke in Illerkirchberg hieß es, die Pressemitteilung sei spät gekommen.
    JÜRGENS: Im Nachhinein die Vorgänge zu betrachten, ist immer sehr schwierig. Der Fall in Blaubeuren war nicht geeignet, um zu kommunizieren. Es gibt viele Faktoren, die zu berücksichtigen sind. So zum Beispiel den Opferschutz. Aber eben auch ermittlungstaktische Gründe. Wir suchen immer die Lösung, die in der Situation die beste ist. In Illerkirchberg war ich eine bis zwei Stunden nach der Tat vor Ort. Wir haben schnell kommuniziert. Eine Pressemitteilung, die Polizei und Staatsanwaltschaft herausgeben, muss stimmen. Da sind Prozesse auch mal länger. Und wenn wir bestimmte Infos noch nicht haben, dann muss man warten. 

    Ihre Antworten fielen oftmals wenig gehaltvoll aus. "Die Ermittlungen dauern an", hieß es häufig. 
    JÜRGENS: Wir sind in solchen herausragenden Fällen an das gebunden, was die Staatsanwaltschaft uns freigibt. Darüber hinaus gibt es nichts. Mehr können wir nicht sagen. 

    30 Jahre lang war Wolfgang Jürgens Pressesprecher der Ulmer Polizei.
    30 Jahre lang war Wolfgang Jürgens Pressesprecher der Ulmer Polizei. Foto: Alexander Kaya (Archivbild)

    Die Pressesprecher-Kollegen vom Präsidium in Kempten sind etwas freizügiger. Da gibt es auch mal einen Kontakt zu Betroffenen, was in Ulm kategorisch ausgeschlossen wird. Warum?
    JÜRGENS: Weil wir sehr schlechte Erfahrungen gemacht haben. In mehreren Fällen haben Betroffene gesagt: Wie könnt ihr bloß? Dann war die Zusammenarbeit mit der Polizei dahin. Aber wir brauchen die Menschen noch fürs Ermittlungsverfahren. Das können wir unseren Ermittlern nicht antun.

    Was haben Sie bei Medienvertretern erlebt, das gar nicht geht? 
    JÜRGENS: Manche versuchen die Unerfahrenheit von jungen Pressesprechern auszunutzen. Das ist mir auch widerfahren, aber ich konnte es vermeiden. Einer wollte, dass ich vor der Kamera einen bestimmten Satz sage. Er hat mir dreimal die gleiche Frage gestellt. Aber ich habe ihm dreimal die Frage nicht so beantwortet, wie er es haben wollte. Weil es nicht richtig gewesen wäre. Und das kann nur einer, der ein gewisses Standing hat. Wir haben hier im Raum Ulm zum Glück Journalisten, die natürlich im Wettbewerb zueinander stehen. Aber sie wissen, worauf es ankommt. Nachfragen, nachbohren - und auch mal den Finger in Wunde legen. 

    Gibt es einen Fall, wo Sie sagen, Sie haben einen Fehler gemacht? 
    JÜRGENS: Von Fehler will ich nicht reden. Aber ex post betrachtet, gibt es Dinge, wo man sagt: Das hätte man auch anders machen können. 

    Was war Ihr schlimmster Fall? 
    JÜRGENS: Es war kein Fall, es war ein Auftrag. Wir mussten die Angehörigen nach dem Flugzeugunglück in Überlingen betreuen. Da kam ein Flugzeug an, in dem nur Angehörige von getöteten Kindern drin sind. Die einen Tag zu betreuen, war ein sehr anspruchsvoller Auftrag, bei dem man sich wünscht, man hätte die Ausbildung dazu gehabt. So groß die Trauer aber am Morgen war, so groß war die Freude über das gute Miteinander am Abend. Als die Angehörigen wieder in den Flieger sind, haben sie gelächelt, uns zugewunken und sind abgeflogen. Das werde ich nie vergessen. 

    Bei Eces Beerdigung auf dem Friedhof in Illerkirchberg wurden Sie von jemanden angesprochen, der sagte: "Sie waren doch im Fernsehen zu sehen". Wie oft werden Sie wiedererkannt?
    JÜRGENS: Unzählige Male. Wenn man über so lange Jahre das Gesicht der Polizei ist, auch in gravierenden Fällen, dann kennt einen gefühlt jeder. 

    Wurden Sie auch angefeindet?
    JÜRGENS: Nein, das gab es nie.

    Was macht dieser leichte "Promi-Status" mit Ihnen? 
    JÜRGENS: Man muss damit leben. Sie können nicht irgendwo die Sau rauslassen. Sie müssen sich im Klaren sein, dass man immer die Polizei repräsentiert. Aber so geht es eigentlich jedem Polizeibeamten. Man hat immer eine Vorbildfunktion. Als Pressesprecher geht die über den Bekanntenkreis hinaus. Meine Frau sagt immer: Dich kennt man auch überall.

    Wie ist Wolfgang Jürgens privat? Merkt man den Polizisten? 
    JÜRGENS: Natürlich. Weil mir klar ist, dass mich jeder als Polizist betrachtet. Es gibt nur wenige, die mich als Wolfgang Jürgens betrachten. Aber die sind mir unheimlich wichtig. Das sind die, mit denen man auch mal unbedarft über Dinge reden kann, über die man sonst nicht sprechen könnte, weil es immer heißen würde: Du bist doch Polizist. 

    Was macht Wolfgang Jürgens, wenn er im Ruhestand ist? 
    JÜRGENS: Ich habe mich jetzt erst einmal ganz langsam eingeführt in das gemeinsame Zusammensein mit meiner Frau zu Hause. Das muss zusammenwachsen. Denn es ist schon etwas anderes, wenn man sonst immer jeden Tag bei der Arbeit war. Aber wir arbeiten daran. 

    Die Polizei musste noch nicht kommen? 
    JÜRGENS: Nein, so schlimm ist es nicht. (lacht)

    Was sind jetzt Ihre Ziele? 
    JÜRGENS: Ich will Dinge nachholen, die zu kurz kamen. Um das Haus gibt es viel Arbeit. Ich bin in mehreren Vereinen aktiv. Ich tanze, mache Gymnastik und spiele Volleyball. Im Musikverein bin ich Kassenprüfer. Erste Anfragen gibt es schon, ob ich noch weitere Ämter übernehme. Aber da habe ich noch nicht zugesagt. Ich habe ja auch noch Familie und die ist auch zu kurz gekommen. Das möchte ich jetzt ändern. 

    Und was ist Ihr Wunsch an die Menschen? 
    WOLFGANG JÜRGENS: Dass man der Objektivität mehr Freiraum lässt. Nicht immer alles mit dem Bauch betrachtet. Bevor man ein Urteil fällt, sollte man die Fakten auf den Tisch legen, sie analysieren und hinterfragen. Nicht immer gleich das glauben, was im Netz steht. Wir müssen noch lernen, mit den Neuen Medien umzugehen. Wir wurden von dieser Technik überrollt. Die Menschwerdung ging über Jahrtausende, aber dieser Prozess hat sich in einem Jahrzehnt entwickelt. Bislang lernten wir immer von Generation zu Generation. Das ist hier gar nicht möglich. 

    Zur Person

    Wolfgang Jürgens, 60, war 41 Jahre lang bei der Polizei in Baden-Württemberg. 1981 startete er in Biberach. 1985 kam er nach Ulm, zunächst in den Streifendienst. 1993 wechselte er zur Öffentlichkeitsarbeit. Mit der Polizeistrukturreform im Jahr 2014 wurde er stellvertretender Leiter der Stabsstelle Öffentlichkeitsarbeit beim Polizeipräsidium Ulm. Ab 2018 leitete er sie. Zum 1. April geht er in Ruhestand. Jürgens lebt in Blaubeuren, hat drei Kinder und zwei Enkelkinder. 

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