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Ulm/Neu-Ulm/Toronto: Vor 50 Jahren feierten Ulmer und Neu-Ulmer Karneval in Kanada

Ulm/Neu-Ulm/Toronto

Vor 50 Jahren feierten Ulmer und Neu-Ulmer Karneval in Kanada

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    Das Ulmer Prinzenpaar im September 1971 bei der Fahrt durch Torontos Häuserschluchten.
    Das Ulmer Prinzenpaar im September 1971 bei der Fahrt durch Torontos Häuserschluchten. Foto: Horst Hörger

    Am Ende war ein Ulmer Indianerhäuptling ehrenhalber und ein Indianerhäuptling war Ehrensenator der Großen Karnevalsgesellschaft Ulm/Neu-Ulm, die beiden Männer tauschten Narrenkappe gegen Kopfschmuck. Vor 50 Jahren trug sich die vermutlich verrückteste Faschingsgeschichte der Doppelstadt zu, 6500 Kilometer und zehn Flugstunden entfernt. Nicht zur eigentlichen Karnevalssaison, sondern im September und Oktober 1971. Auf Einladung kanadischer Vereine reisten die Ulmer und Neu-Ulmer Faschingsfreunde mit einem DC8-Düsenclipper der Air Canada von Stuttgart nach Toronto. Manche Mitreisenden, so erinnert sich die Ulmer Stadträtin Helga Malischewski, hatten dafür sogar einen Kredit aufgenommen, den die Neu-Ulmer Sparkasse eigens zu diesem Zweck angeboten hatte.

    Ihr Ehemann Joe Malischewski war Präsident der Karnevalsgesellschaft und nach der Reise Häuptling Gara Inga Awa, das bedeutet Jedermannfreund. Ein Foto zeigt ihn, wie er die Friedenspfeife der Mohawk-Indianer raucht. Ein Foto, das Horst Hörger aufgenommen hat - damals mit dabei und noch heute als Fotograf für die Neu-Ulmer Zeitung im Einsatz. Er begleitete die Reise über den großen Teich, lieferte die Bilder für zwei Sonderseiten in der NUZ, schrieb die Texte dazu und wurde in Toronto vom deutschsprachigen kanadischen Radiosender CHIN interviewt. Er und andere deutsche Journalisten sollten von ihren Eindrücken in Kanada berichten. CHIN strahlt noch heute aus, sonntagmorgens von 7 bis 8 Uhr "Morgenstund hat Gold im Mund" mit Moderator Ulli Jeschke.

    Karneval in Kanada: Ständchen und Verlobung in 13.000 Metern Höhe

    Begonnen, so geht es aus unserem Zeitungsbericht vom 8. Oktober 1971 hervor, hatte die Reise etwas umständlich: Die Kiste mit dem "Artistengepäck" der Karnevalisten passte nicht in den Flieger, sie war einen Zentimeter zu lang. Die Reisenden mussten umpacken, zwei Stunden Verzögerungen wegen Nebels kamen dazu. Die ersten Höhepunkte gab es schon unterwegs: Die Blaskapelle Beer aus Oberelchingen spielte dem Piloten ein Ständchen. Und Franz Sonnenberger und Gisela Küpper verlobte sich - in 13.000 Metern Höhe. Auch angestoßen wurde, und das nicht zu knapp: Als der Flieger in Toronto landete, waren nur noch zwei Flaschen Pfefferminzlikör übrig. "Alles andere war weg", erzählt Helga Malischewski.

    Die kanadischen Medien berichteten ausführlich über die Gäste aus Ulm und Neu-Ulm.
    Die kanadischen Medien berichteten ausführlich über die Gäste aus Ulm und Neu-Ulm. Foto: Horst Hörger

    Mitreisende haben die Eckdaten der Tournee noch heute, fast 50 Jahre später, aus dem Stegreif parat. "Die, die damals dabei waren, sprechen heute noch davon", sagt Helga Malischewski. Sie und ihre Mann hatten im Jahr davor die Stuttgarter Gesellschaft Zigeunerinsel auf deren Tournee durch Kanada begleitet. "Auf dem Heimflug habe ich schon gemerkt, wie es in meinem Mann arbeitet", erinnert sich die Ulmer Stadträtin. Joe Malischewski knüpfte Kontakte und flog zur Organisation noch zwei Mal nach Nordamerika. Die Kosten dafür trug die Fluggesellschaft Air Canada, bei der die Ulmer und Neu-Ulmer schließlich die Maschine für ihre Karnevalsreise charterten. Wer mitfliegen wollte, musste 1.100 Mark bezahlen. Das war viel Geld, aber alles war eingeschlossen: Flug, Unterkunft, Verpflegung. 120 Aktive und 30 Begleitpersonen kamen mit. Ein Franziskanerpater aus dem Klösterle in der Ulmer Weststadt segnete die Reisebusse am Münsterplatz, dann ging es los zum Stuttgarter Flughafen.

    Radio- und TV-Berichte über die Große Karnevalsgesellschaft Ulm/Neu-Ulm

    Sechs Auftritte legten die GKGU hin, wie die Karnevalsgesellschaft abgekürzt wurde. Die Organisation übernahm immer ein gastgebender Verein. In der Industriestadt Hamilton beispielsweise traten die Ulmer und Neu-Ulmer vor 3.200 Gästen auf. "Die Stimmung schäumte beim Einzug der GKGU so über, daß das Münchner Oktoberfest verblaßte", notierte Horst Hörger. Die Stadt feierte ihr 125-jähriges Bestehen, die Ehrengäste zum in Kanada seinerzeit angesagten Oktoberfest kamen von der Donau.

    Die Ulmer Gardemädchen beim Marsch durch die Industriestadt Hamilton.
    Die Ulmer Gardemädchen beim Marsch durch die Industriestadt Hamilton. Foto: Horst Hörger

    Weitere Auftritte gab es unter anderem in Toronto und in Scarborough, damals noch eine eigene Stadt und inzwischen in Toronto eingemeindet. Funk und Fernsehen begleiteten die Auftritte der Großen Karnevalsgesellschaft nahezu täglich, berichtete die Neu-Ulmer Zeitung. In Kanada, so erinnert sich Helga Malischewski, gab es viele Deutschstämmige und viele Karnevalsbegeisterte. Der Spielmannszug in Stadtsoldatenuniformen sei besonders gut angekommen: "Das waren die großen Stars dort." Lob und Begeisterung der Kanadier waren überschäumend, das zeigen auch nordamerikanische Zeitungsberichte von damals.

    "Fun and Gemütlichkeit all day" versprach das erste Scarborough Oktoberfest überhaupt. "Wir Karnevalisten, im Volksmund Narren genannt, sind ueber den grossen Ocean gekommen um Menschen zu erfreuen und die Alltagssorgen den Menschen vergessen zu lassen", stand auf einer von Joe Malischewski gezeichneten Einladung. Und: "Drum rufen wir vom Ocean, Donau, Iller und blau, zu Euch Freunde ein kraeftiges ULAU". Auf dem Programm standen Waltz to "Kiss Me Kate", The Weisse Rössel, The Beer Band with real German singing music und vieles mehr.

    Der damalige Ulmer Karnevalspräsident Joe Malischewski lud zum Programm in Scarborough.
    Der damalige Ulmer Karnevalspräsident Joe Malischewski lud zum Programm in Scarborough. Foto: Horst Hörger

    Kanada-Tournee: Auftritte und Ausflüge gehörten zum Programm

    Zur Reise gehörten aber nicht nur Auftritte, sondern auch Ausflüge. Zum Beispiel in ein Indianerreservat auf einer Insel in der Georgia Bay und zu den Niagarafälle. Die schwamm Karnevalspräsident Joe Malischewski in einem Fass hinunter - "zum Gaudium aller". Unterwegs wurden Zinnteller, Tischfähnchen, ganze Fässer Ulmer Bier und andere Erinnerungsstücke ausgetauscht. Auch ein eigener Karnevalsorden wurde geprägt: Mit dem Münster, den Stadtwappen von Ulm und Neu-Ulm und der Toronto City Hall darauf. Die Stadt Ulm hatte sogar einen Vertreter mit nach Kanada geschickt: den Hauptamtsleiter Gerhard Alllgöwer.

    Die Große Karnevalsgesellschaft Ulm/Neu-Ulm gibt es noch immer, aber sie ist bei Weitem nicht mehr so groß wie damals: Die Narrenzunft Donauhexen gehört dem Verein an.

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