Ulm/Neu-Ulm
11.02.2022

"Spaziergänger" gehen Polizisten in Neu-Ulm an

Von Selina Ehrenfeld, Ronald Hinzpeter, Stefan Kümmritz, Sebastian Mayr

Wieder gehen Tausende gegen die Corona-Maßnahmen auf die Straße. Es bleibt weitgehend friedlich, doch einzelne werden aggressiv. Die Polizei denkt über Konsequenzen nach. Dutzende Anzeigen gibt es schon jetzt.

Wieder waren am Freitagabend einige Tausend "Spaziergänger" erst in der Ulmer City und dann quer durch die Neu-Ulmer Mitte unterwegs, um ihren Unmut gegen die Corona-Einschränkungen seitens der Politik zu zeigen. Es müssen Hundertschaften der Polizei gewesen sein, die achtgaben, dass nicht über die Stränge geschlagen wurde. Doch das gelang nicht überall. In der Augsburger Straße in Neu-Ulm wurden zwei Polizisten bei einer Rangelei nach Provokationen durch "Spaziergänger" leicht verletzt. Die Ulmer Polizei berichtet indes von mehr als 120 Anzeigen.

Vereinzelt sprachen Beamte auf dem Münsterplatz, wo der Demonstrationszug startete, Menschen an, die auf eine Gesichtsmaske verzichteten. Die entsprechende Anweisung wurde mehrfach lautstark über Lautsprecher gegeben, jeder konnte sie hören, später auch auf der Insel in Neu-Ulm. Hatten die Demonstrantinnen und Demonstranten anfangs größtenteils eine Maske aufgesetzt, so wurden diese später von geschätzt mindestens 90 Prozent eingesteckt. Man lief ohne Bedeckung weiter. Abstandhalten war illusorisch. So war das auch schon am Montag, als die Maskenpflicht in der Ulmer Innenstadt zum ersten Mal galt. Das Landratsamt Neu-Ulm verzichtet bislang auf eine entsprechende Allgemeinverfügung.

Rings um den Münsterplatz standen Mannschaftswagen der Polizei in rauen Mengen. Ein kleiner Teil am südlichen Münsterplatz war für eine Gegendemonstration mit etwa 250 Teilnehmerinnen und Teilnehmern abgesperrt und von Einsatzkräften gesichert. Auch dort kam es zu einem Zwischenfall: Ein Mann stürmte schimpfend die Bühne und wurde von der Polizei abgeführt.

Die Organisatoren der Gegendemonstration zeigten sich dennoch zufrieden. Man habe die eigene Position klar darstellen können und wolle weiter gegen Verschwörungsideologien und Wissenschaftsfeindlichkeit auf die Straße gehen. Als Redner meldete sich der Kulturmanager Peter Langer zu Wort, der bereits die Menschenkette gegen Hetze organisiert hatte.

Derweil zogen die "Spaziergänger" mit Rufen wie "Friede" oder "Freiheit" und lautem Trillerpfeifengetöse erst durch die Hirschstraße, dann durch die Pfauengasse, die Walfischgasse und dann hoch zur Olgastraße, am Bahnhof vorbei zur Neuen Straße, diese entlang bis zur Donaustraße und nach Neu-Ulm rüber. Durch die Augsburger Straße ging es bis zur Gänstorbrücke und dann wieder Richtung Neue Mitte. Insgesamt wurde der Straßenverkehr, insbesondere auch Busse, massiv behindert. Die Polizei nahm das hin.

In Neu-Ulm kam es zu Rangeleien zwischen der Polizei und einzelnen Teilnehmenden am Anfang des Protestzugs. Die Polizei hatte die Augsburger Straße mit einem Großaufgebot so abgesperrt, dass die Menschenmasse sich nicht plötzlich einen anderen Weg über die Seitenstraßen bahnen konnte. Auf Höhe der Maximilianstraße kam der Protestzug dann aber plötzlich zum Stehen, einzelne Teilnehmende machten deutlich, dass sie trotz Polizeibarrikade Richtung Glacis-Galerie marschieren wollten. Dann gab es Rangeleien.

Der kommissarische Leiter der Polizeiinspektion Neu-Ulm, Thomas Merk, sieht hinter dieser Provokation eine gezielte Aktion. "Seit Ende Dezember begleiten wir die Versammlung regelmäßig. Wir schützen die Teilnehmer, indem wir Verkehrsmaßnahmen treffen, wie etwa Straßen abzusperren", berichtet Merk. Bisher seien die Versammlungsteilnehmerinnen und -teilnehmer dankbar über diese Unterstützung vonseiten der Polizei gewesen. "Einmal haben die Leute sogar Süßigkeiten unter den Beamten verteilt", berichtet Merk.

Die Atmosphäre jedenfalls sei stets entspannt gewesen – bis zu diesem Freitag. "Der Aufzug war zum Stehen gekommen, aber nicht durch die Polizei. Da war eine Gruppierung in dem Aufzug vertreten, die hier geplant zusammengearbeitet und versucht hat, die anderen Leute zu manipulieren. Sie sind aggressiv gegen die Polizei dort vorgegangen, sie haben von sich aus die Provokation mit der Polizei gesucht", schildert Merk die Szene im Nachhinein. Enttäuscht sei er von den anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmern gewesen. Die Masse habe sich nicht gegen die Ärger suchende Gruppierung gestellt, sondern die Stimmung sogar noch angeheizt. "Dann kam es zu einem Schieben und Schubsen, bei dem zwei Kollegen leicht verletzt wurden, eine Person wurde festgenommen", berichtet Thomas Merk. Das Verhalten der einzelnen Teilnehmer bezeichnet er als feige. "Das sind Kriminelle, die da mitlaufen und auf Krawall gebürstet sind. Die Teilnehmer sollten schauen, mit wem sie da unterwegs sind." Wer mitgehe, müsse sich überlegen, ob er oder sie so ein Verhalten wirklich tolerieren könne.

"Da fordert man Freiheit und Demokratie und tritt das Ganze selbst mit Füßen. Dass nicht mehr differenziert betrachtet wird, welches Verhalten okay ist, ist nicht hinnehmbar. Wir ermöglichen den Teilnehmern einen kilometerlangen Aufzug und dann dankt man das einem mit solchen Provokationen. Wie soll das denn weitergehen? Plündern wir morgen Geschäfte?“, fragt sich der kommissarische Dienststellenleiter verärgert über das ganze Geschehen, das sicherlich Konsequenzen haben werde. "Wir werden das Ganze jetzt noch einmal im Nachhinein analysieren und Schlussfolgerungen daraus ziehen. Was das für den nächsten Aufzug bedeutet, lasse ich jetzt noch offen", so Merk.

Der "Spaziergang" wird unabhängig von diesen Schlussfolgerungen für etliche Beteiligte Folgen haben: Gegen sie ermittelt die Ulmer Polizei wegen eines Verstoßes gegen die Maskenpflicht – und gegen manche noch aus anderen Gründen. Auch die bayerische Polizei ermittelt. Genaue Angaben waren beim Präsidium in Kempten am Sonntag nicht zu erfahren. Ansprechpersonen seien nicht im Haus, erst am Montag seien Auskünfte zu erwarten.

In Ulm nahm die Polizei die Personalien von vier Personen auf, die im Verdacht stehen, die Leiter der nicht angemeldeten Versammlung gewesen zu sein. Gegen sie werden Strafanzeigen gestellt. Gegen zwei Personen wird ermittelt, weil sie gegen "polizeiliche Maßnahmen" Widerstand leisteten, wie es in einer Mitteilung vom späten Freitagabend heißt, gegen drei weitere wegen Beleidigungen und gegen eine Person wegen eines Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz. Darüber hinaus ermittelt die Polizei gegen mehr als 120 Frauen und Männer, weil sie gegen die Maskenpflicht verstoßen haben.

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