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Ulm: Menschen am Münster: Jessica Gläser ist Steinmetzin in der Bauhütte

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Menschen am Münster: Jessica Gläser ist Steinmetzin in der Bauhütte

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    "Für mich schlägt das Herz des Münsters tatsächlich außerhalb des Kirchengebäudes, in der Bauhütte", sagt Jessica Gläser.
    "Für mich schlägt das Herz des Münsters tatsächlich außerhalb des Kirchengebäudes, in der Bauhütte", sagt Jessica Gläser. Foto: Dagmar Hub

    Das Ulmer Münster ist für viele Menschen in der Region identitätsstiftende Mitte der Stadt. Für manchen Kritiker ist es auch Stein des Anstoßes, Ausdruck eines angeblich überhöhten Selbstbewusstseins Ulms. Jedenfalls scheint der Hauptturm des Ulmer Münsters noch länger höchster Kirchturm der Welt zu bleiben, denn in Spanien gilt zunächst bis 2024 ein Baustopp an der Kirche Sagrada Familia in Barcelona. Deren Jesus-Turm, der Ulm den Rekord des höchsten Kirchturms abnehmen soll, soll nun erst zwischen 2030 und 2040 fertig werden. Rekorde einerseits – aber wo schlägt das Herz des Ulmer Münsters eigentlich? Die NUZ machte sich auf die Suche und bekam ganz unterschiedliche Antworten. Den Auftakt dieser Serie macht Jessica Gläser, Gesellin in der

    Für Jessica Gläser schlägt das Herz des Münsters in der Bauhütte

    "Für mich schlägt das Herz des Münsters tatsächlich außerhalb des Kirchengebäudes, in der Bauhütte. Dort, wo Menschen seit dem 14. Jahrhundert diese Kirche gebaut haben und sie erhalten. Ohne dieses Herz gäbe es das Münster nicht", sagt die 25-Jährige. In Wiblingen aufgewachsen, war für Jessica Gläser das Münster während ihrer gesamten Jugend immer sehr präsent, als imposanter Kirchenbau, der dem Menschen das Gefühl vermittelt, klein zu sein, erzählt sie. Nach dem Abitur hat sich Gläser gegen ein Studium entschieden und sich – nach einem Praktikum in einem Steinmetzbetrieb – an der Münsterbauhütte beworben. Und 2020 hat sie ihre Gesellenprüfung mit einem Wolfs-Steinbild aus Rorschacher Sandstein abgelegt, mit dem sie sogar Kammersiegerin wurde.

    Mit diesem Herz, der Bauhütte, hat ganz viel zu tun, was Jessica Gläser am Münster fasziniert: Es sind die Menschen all der Jahrhunderte, die ihre Lebenszeit und bisweilen auch ihr Leben dafür gaben, dass der gotische Sakralbau geschaffen werden konnte. Man sehe Fingerabdrücke der Bauzeit in den alten Backsteinen der Besserer-Kapelle, man spüre auch den Witz jener Steinmetze, die beispielsweise bei einer früheren Sanierung am Westpfeiler Süd des Hauptturms kleine Figuren der drei Affen eingebaut haben, die nicht sehen, nicht hören und nichts sagen. Vielleicht im Gedanken an die ursprüngliche Bedeutung der drei Figuren, die ein "über Schlechtes weise hinwegsehen" war?

    Die Arbeit in der Ulmer Münsterbauhütte ist unendlich

    Jessica Gläser ist froh über die Arbeitssicherheit, über Ausrüstung wie Steinstaubabsauganlagen, die für die Gesundheit der Steinmetze wichtig sind. Die Steinmetze vergangener Jahrhunderte hatten eine niedrige Lebenserwartung, die bei etwa 36 bis 38 Jahren lag; die Staublunge war die häufigste Todesursache jener Männer, und viele Lehrlinge starben bei Abstürzen vom Baugerüst. Frauen arbeiten erst seit relativ kurzer Zeit als Steinmetzinnen. Jessica Gläser sieht ihren Beruf – sie ist Steinmetzin und Steinbildhauerin – im Grunde als Privileg und als Berufung.

    Wenn man am Münster arbeitet, muss man damit klar kommen, dass man nie fertig werden wird, erzählt sie. "Wir haben einen Haufen Arbeit." Aber andererseits sei dieses "nie fertig werden" auch eine wunderbare Zukunftsperspektive – die der Fortdauer. "Es ist ein Beruf fürs Leben!" – und auch sie selbst möchte langfristig am Münster tätig sein. Freilich, dass die Fingernägel im Weihnachtsurlaub richtig schön gewachsen sind, und dass der Nagellack jetzt wieder Kratzer hat: "Ich wollte auch 'mal schöne Nägel haben, aber darauf kommt es wirklich nicht an."

    Das Ulmer Münster

    Das Ulmer Münster bietet mehr als den mit über 161 Metern höchsten Kirchturm der Welt. In dem Sakralbau von 1377 trifft das Christentum auf Vorchristliches und Weltliches.

    Im Chorgestühl von Jörg Syrlin dem Älteren begegnen biblische Gestalten wie die Königin von Saba griechischen und römischen Philosophen und Wissenschaftlern wie Vergil und Pythagoras.

    Das Chorgestühl aus dunkler Eiche überlebte 1530 den Bildersturm. Als Ulm protestantisch wurde, entfernten die Menschen rund 50 Altäre aus der Stadtkirche. dpa

    Am Ulmer Münster zu bauen, bedeutet harte körperliche Arbeit

    Viel wichtiger ist die Sinnhaftigkeit der Arbeit, die Leidenschaft für den Umgang mit den im Münster verbauten Gesteinsarten – eine Arbeit, die sie als die schönste empfindet, die sie tun könnte. "Obwohl es körperlich natürlich schon auch hart sein kann." Und manchmal weist die Arbeit in der Bauhütte auch über das Münster hinaus: Dem verstorbenen Münsterbaumeister Michael Hilbert haben die Steinmetze eine Fiale fürs Grab gefertigt, eine identische, wie sie in der Bauhütte fürs Münster gefertigt werden.

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