Als radikaler Klimaaktivist machte Henning Jeschke im vergangen September bundesweit Schlagzeilen, als er sich in Berlin in den Hungerstreik begab, um Olaf Scholz, damals noch Kanzlerkandidat, zu einem öffentlichen Gespräch über den Klimanotstand zu bewegen. Jetzt sprach der 21-Jährige über seine Beweggründe in Ulm.
Zusammen mit der Klimaaktivistin Lea Bonasera und der Gruppe "Letzte Generation" stellte die Gruppe der Bundesregierung das Ultimatum: Die Protestierer würden im kommenden Jahr Deutschland mit Autobahn-Blockaden stilllegen, wenn diese nicht dazu bereit sei, bis dahin ein Gesetz gegen die Lebensmittelverschwendung im Handel zu beschließen. Auch wenn sich nur eine Handvoll Zuhörer in den Vortragsraum im Fort Oberer Kuhberg eingefunden hatte, ließ sich Jeschke nicht entmutigen. Mit dem einstigen Klischee der langhaarigen Ökos in Wollpullovern und Ledersandalen hatte Jeschke freilich nichts zu tun. Der Student der Politikwissenschaft könnte, äußerlich gesehen, auch in einer trendigen Werbeagentur sitzen oder als IT-Spezialist in einem schicken Büro arbeiten. Die kurze Frisur lässig gegelt, steht er in Stoffhose und Kapuzenpullover an einem Flipchart und spricht von der Dringlichkeit des Klimaschutzes.
Pariser Klimaziel nicht mehr zu erreichen?
An das gesteckte Ziel der Pariser Klimakonferenz, die globale menschengemachte Erderwärmung auf eineinhalb Grad Celsius zu beschränken, will Jeschke nicht mehr glauben. Dieser Wert stütze sich nur auf beschönigende Behauptungen der Politiker. Eben noch sachlich und besonnen auf Daten und Fakten konzentriert, redet sich Jeschke darauf in Rage: "Unserer Generation wird die Lebensgrundlage genommen, während wir uns von älteren, gut situierten Herren als Wissenschaftler belügen lassen müssen." Als Vorboten dieser Entwicklung nennt der Klimaaktivist die Flutkatastrophe, die in diesem Jahr in Deutschland fast 200 Menschenleben gefordert hätte. "Wenn die globalen Winde stillstehen, werden sich die Wetterextreme mit Dürren und Regenfluten in Zukunft häufen."
Der Wald und der Klimawandel
Dem Wald wird im Kampf gegen den Klimawandel eine bedeutende Rolle eingeräumt. Wie die gesamte Vegetation sind Bäume nämlich in der Lage, CO2 aus der Luft in ihren Stämmen zu speichern. Man sagt, dass in einem Kubikmeter Holz etwa eine Tonne CO2 gebunden ist.
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler betonen, dass es mit der Speicherung allein nicht getan ist. Es geht auch darum, wie das Holz genutzt wird, wenn es einmal geerntet ist. Wird es zum Beispiel verheizt, wird das CO2 sofort wieder freigesetzt. Wird es dagegen als Bauholz genutzt, dann bleibt es länger gespeichert.
Ebenfalls betont wird, dass der Wald im Kampf gegen den Klimawandel lediglich ein Baustein sein kann. 2019 betrug der gesamtdeutsche CO2-Ausstoß knapp 900 Millionen Tonnen. Zum Vergleich: Im gleichen Jahr speicherten die deutschen Wälder nur rund 30 Millionen Tonnen CO2 zusätzlich. (mahei)
Während derzeit etwa 0,8 Prozent der weltweiten Landflächen klimatisch als nicht bewohnbar gelten, könnte sich dieser Wert bis 2070 auf rund 20 Prozent steigern. Auch die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Weltklimarates IPCC bestätigen diese Annahme. Damit würde ein Krieg um Wasser und Brot entflammen, von dem die Menschen in den ärmsten Ländern betroffen seien, prophezeit Jeschke und erklärt weiter, dass sich aus diesen Todeszonen Milliarden Menschen auf den Weg nach Europa machen würden, um nicht zu sterben: "Angesichts dieser Entwicklung wird die Frage, ob ich einmal meine Rente pünktlich bekomme, eine Nebensächlichkeit sein."
Verbraucher müssen ihr Konsumverhalten ändern
Jeschke beschreibt damit den Klimawandel nicht als ein abstraktes Rechenmodell, sondern als eine dramatische Entwicklung, die vor unseren Augen stattfindet und rechtfertigt damit seine radikale Haltung. "Wenn heute jemand nach Ulm kommt, um dir deine Sicherheit und Zukunft zu nehmen, wie würdest du dann reagieren?", stellt er die Frage an die Zuhörer und mahnt, dass noch drei oder vier Jahre blieben um die Entwicklung zu bremsen. Auch wenn der einzelne Verbraucher sein Konsumverhalten ändern würde, sei dies nicht ausreichend, sagt der Klimaaktivist und erklärt, dass alleine der politische Weg die drohende Katastrophe abwende.
Die globalen Folgen des übermäßigen Fleischkonsums
Flächenverbrauch: Die Massentierhaltung sorgt für einen hohen Verbrauch von Weiden- und Ackerflächen für die Tiere. Über 40 Prozent der Getreideernte werden verfüttert. Um ein Kilogramm Fleisch von einem Mastschwein zu gewinnen, werden drei Kilogramm Futter benötigt. Bei Rindern liegt der Anteil noch höher.
Wasserverbrauch: Pro Kilogramm Rindfleisch werden knapp 15 500 Liter Wasser beansprucht. Wenn das Rind geschlachtet wird, hat es im Schnitt 1300 Kilo Getreide und 7200 Kilo Raufutter, zum Beispiel Heu, gefressen. Dieses Futter braucht Wasser.
CO2-Belastung: Ein Rind gibt 200 Liter Methangas täglich an die Atmosphäre ab. Es ist damit in etwa so klimaschädlich wie ein Kleinwagen mit 18 000 Kilometer Jahresfahrstrecke. Das Rind hat im Vergleich zum Schwein beim CO2-Ausstoß eine dreimal schlechtere Klimabilanz. Das liegt auch daran, dass diese viel Kraftfutter bekommen.
Fazit: Würden die Deutschen weniger Fleisch essen, würde die Umwelt von bis zu 67 Mio.Tonnen CO2-Äquivalenten an Treibhausgasen entlastet. Das entspricht etwa der Schadstoffmenge von Österreich oder von über 5,5 Mio. Neuwagen mit einer Fahrleistung von 100 000 km. (dav)\u0009Quelle: WWF-Studie „Klimawandel auf dem Teller“
Klimaaktivisten setzen Hoffnung auf neue Bundesregierung
Ein Gesetz gegen die Verschwendung von Lebensmitteln und eine Agrarwende sollen die tiefe Kluft zwischen politischen Klimazielen und physikalischer Realität füllen. Einen 13-seitigen Gesetzentwurf hat die Gruppe "Letzte Generation" dafür zusammengestellt. Um ihre Ziele durchzusetzen, seien die Aktivisten bereit, auch zivilen Widerstand zu leisten, sagt Jeschke und setzt gleichzeitig seine Hoffnung auf die neue Bundesregierung: "Wir hoffen, dass die regierende Ökopartei keine Menschen wegsperren lässt, die sich gegen den Klimawandel einsetzen."