Hätte der Schneider von Ulm bei seinem Flugversuch doch nur auf besseren Wind gewartet – dann wäre er nicht als Bruchpilot in die Geschichte eingegangen. Und auch heute, 250 Jahre später, spielt der Wind wieder eine Rolle, wenn es um das Erbe und das Image des Berblingers geht. Ulm hat dem Erfinder und Flugpionier in seinem Jubiläumsjahr ein Denkmal gesetzt. Ein Turm steht seit wenigen Tagen am Donauufer, an Berblingers Absprungstelle – und dieser Bau wurde zuvor gründlich geprüft. Steht er stabil? Hält der rot-weiße Turm den Windverhältnissen stand? Gegenwind spürte das Bauprojekt jedenfalls schon länger – und zwar nicht nur in Kommentarspalten, in den Sozialen Medien. Drei Politiker aus dem Ulmer Gemeinderat kritisieren das Projekt seit Monaten. Jetzt schildern sie, mit welchen gemischten Gefühlen sie heute auf das neue Ulmer Wahrzeichen blicken. Sie sind sich einig: Schön sieht der Turm aus – aber die Kosten hätten nicht in die Höhe steigen dürfen.
Die Kosten für den Ulmer Berblinger-Turm stiegen
Das Münchner Künstlerduo „Brunner und Ritz“ setzte sich 2019 gegen sieben Mitbewerber durch. Reinhard Kuntz (FWG-Fraktion) saß im Kulturausschuss, als die Entscheidung für den Entwurf eines Berblinger-Turms fiel. 500000 Euro sollte das Gesamtpaket kosten, mit Bau, Statik und Künstlerhonorar. „Das hat mir gefallen“, erinnert sich Kuntz. „Für mich war klar, das trage ich mit.“ Doch im Februar 2020 stimmte er, als einer der wenigen im Gemeinderat, gegen den Plan. Der Grund: Die Kosten stiegen auf 750000 Euro. Der Untergrund am Ufer hielt nicht, was er versprach, archäologische Untersuchungen wurden nötig, die Kosten sprangen um 50 Prozent in die Höhe. „Ich dachte mir, ich muss die Reißleine ziehen. Ich habe mich wahnsinnig geärgert“, sagt Kuntz. Und heute? „Wir wissen immer noch nicht, wie die Endabrechnung aussehen wird.“
Kuntz’ Kritik richtet sich gegen die ursprüngliche Planung und die Ausschreibung des Projekts. Notwendige archäologische Untersuchungen, die Stabilität des Untergrunds – „vieles hätte man vorab klären müssen“, findet der Politiker. Und gerade in heutigen Zeiten müsse man solche großen Kostensprünge den Bürgern offen und transparent erklären können. Den fertigen Turm hat Kuntz noch nicht von Nahem betrachtet. „Ich werde ihn mir diese Woche einmal ansehen. Ein schönes Objekt ist es auf jeden Fall – aber ob es das Geld wert ist?“ Die Kostenfrage ist nicht die einzige, die Kuntz beschäftigt. Funktioniert die geplante Schranke, die nur 30 Besucher auf den Turm lassen soll? Wie geht man mit Vandalismus um? Wie steht es um die Sicherheit der Turmgäste? Und: „Wie lange hält das Ding?“
Drohen weitere Kosten für den Berblinger-Turm in Ulm?
Die Kostenrechnung, die in diesem Projekt steckt, kritisiert auch Winfried Walter. Der Gemeinderat (CDU/UfA-Fraktion) hat grundsätzlich nichts gegen den Turmbau einzuwenden. Auch er sei dafür, den Schneider von Ulm zu feiern, mit Festen und einem Denkmal. Die Erinnerung an die Geschichte sei wichtig und der Turm auch sehr schön und beeindruckend. „Kleinkariert darf man da auch nicht sein. Aber ich bin gespannt, ob die Rechnung so bleibt.“ Walter hofft, dass die Stadt aus diesem Kostensprung lernt: Für künftige Projekte fordert er gründliche Ausschreibungen, die Baufirmen, Künstlern und Auftragnehmern einen klaren Rahmen vorgeben. „Es ist wichtig, dass man genauer analysiert, was die Ausschreibung alles beinhaltet.“ Er spricht von einer etwas schlampigen Bestandsaufnahme. Der Turm soll frei begehbar sein, zugänglich für jedermann. Doch der Bau und das Konzept müssen sich erst beweisen. Walter sagt: „Wenn man nun auch noch Sicherheitspersonal anstellen müsste, dann wären das die nächsten Folgekosten. Dann geht es zu weit.“
Gemeinderat fordert mehr Innovation und Nachhaltigkeit im Berblinger-Jahr
Aus einem anderen Blickwinkel kritisiert Günter Zloch den Schraubenbau am Donauufer. Für den UfA-Gemeinderat steckt in diesem Denkmal zu wenig Berblinger-Geist – zu wenig Innovation. Ginge es nach ihm, sollte Ulm stattdessen lieber auf Nachhaltigkeit und Stadtplanung setzen: „Es geht mir dabei um die Priorisierung. Wir sollten in Infrastruktur investieren, in den Erhalt und Neubau von Brücken, in innovative Stadtentwicklung.“ Das bedeutet für den hauptberuflichen Lehrer, der früher bei Greenpeace aktiv war: mehr Grün in der Stadt, Mittel für Schulsanierungen, umweltfreundliche Energien, Förderung von Fotovoltaikanlagen. Seine Befürchtung: Sollte sich die Corona-Krise weiter zuspitzen, könnten Mittel an diesen Ecken und Enden bald fehlen. „Die Frage ist für mich: Wollen wir in einzelne, wunderbare Leuchtturmprojekte wie diese investieren oder aber eine gesamte Stadt innovativ entwickeln?“ Aus seiner Sicht ist der Bau des Denkmals zwar ein „Nice to have“ – aber mit anderen Worten: keine dringliche Notwendigkeit. Auch die beschränkte Benutzung des Turms, mögliche Unfallrisiken oder Folgekosten kritisiert er. Aber in einem ist sich Zloch mit Kuntz und Walter einig: „Der Turm ist ein interessantes Kunstobjekt. Das würde ich nie bezweifeln.“
Lesen Sie auch:
Der Berblinger-Turm an der Adlerbastei steht
Hier wächst der Berblinger-Turm
Kunst an der Haltestelle: Am Ehinger Tor eröffnet eine Galerie
- Der Berblinger-Turm an der Adlerbastei steht
- Hier wächst der Berblinger-Turm
- Kunst an der Haltestelle: Am Ehinger Tor eröffnet eine Galerie