So richtig überraschen wird es vermutlich kaum jemand, dass sich hinter Till Reiners neuestem Programm "Mein Italien" kein ausführlicher Reisebericht über der Deutschen liebstes Urlaubsland verbirgt. Stattdessen seziert der Comedian, der sich auf der Bühne selbst als politisch links bezeichnet, seine unwahrscheinlich Freundschaft mit Christian Lindner.
Wie können der Mann, der für Aussagen bekannt ist wie "Probleme sind auch nur dornige Chancen" oder "Das 9-Euro-Ticket begünstigt die Gratismentalität" und Comedian mit starkem Linksdrall überhaupt miteinander auskommen? Dass sie es trotz allem schaffen, ist die gute Botschaft der ersten Hälfte. Pathetisch ausgedrückt: Freundschaft kann viele Grenzen überwinden. Trotz Uneinigkeit bei vielen Themen sollte zumindest ein freundlich-zivilisierter Umgang kein Problem sein. Diese Herangehensweise würde unserer Gesellschaft jedenfalls guttun.
Comedy-Gold mit Christian Lindner
Dass Christian Lindner eigentlich der große Antagonist ist, setzt Reiners bei seinem Publikum voraus. Auch er hatte ja Vorbehalte, einem Treffen zuzustimmen. "Ich bin ja nur hingegangen, weil ich dachte, das ist Comedy-Gold." Eine Vorahnung, die sich als richtig entpuppt hat.
Allerdings würden die Ulmer Zuschauerinnen und Zuschauer an manchen Stellen im Programm doch etwas anders reagieren als die in Berlin, wie Reiners feststellt. Dort gäbe es für Kumpel Daniel, überzeugter Kommunist, der schon bei der Erwähnung der FDP gern einen Molotowcocktail aus der Tasche ziehen würde, Szenenapplaus, meint Reiners. "Bei euch ist eher ne Stimmung wie in München." Lieber mal nicht lachen, könnte auch mein Mercedes sein.
Neben Christian Lindner macht Till Reiners unter anderem auch seinen Manager, seine ADHS-Diagnose und Angela Merkels Sparzwang zum Thema. Angeblich fliege die ehemalige Bundeskanzlerin ja immer nur Economy - ohne Priority Boarding! Das lasse sich doch nur mit ausgeprägtem Geiz erklären, meint Reiners, der auch aus verschiedenen Fernsehformaten bekannt ist. Als Gast ist er etwa in "Die Anstalt" und bei der "Heute-Show" zu sehen. 2022 übernahm er das Format "Puffpaffs Happy Hour" bei 3sat.
Manchmal ist bei ihm die Pointe schon lange vor dem Ende der Geschichte zu erahnen. Das macht aber gar nichts, wenn die Story auf so unterhaltsame Weise erzählt wird, wie Till Reiners es vermag. Probleme mit dem Ton führen zu irritierenden Momenten in der ersten Hälfte, können aber schnell gelöst.
Kennen sich Lindner und Reiners wirklich?
Am Ende bleibt die große Frage des Abends offen: Kennen sich Till und Chris ("Ja, ich nenne ihn Chris. Kommt drüber hinweg!") wirklich? Wie viel Wahrheit steckt in "Mein Italien"? Till Reiners schafft es, das Publikum bei dieser ungleichen Freundschaft mitfiebern zu lassen. Es wäre fast ein bisschen traurig, hätte Reiners das alles komplett erfunden.
Wie Reiners sich an Christian Lindner abarbeitet, hat etwas von Feel good-Comedy. Er tut es nämlich, ohne dass es verbissen wirkt. Politische Inhalte lässt Reiners dafür jedoch weitgehend außen vor. So kommt Lindner bisweilen sogar fast sympathisch daher. Witzig, schlagfertig. Wenn der einen "anmögt", "mögt" man automatisch zurück, wie es Till Reiners formuliert. Auch wenn es einem manchmal etwas peinlich ist, mit ihm auf der Straße gesehen zu werden.
Kurz vor Schluss gibt es von Reiners außerdem noch ein großes Lob für das Roxy, wo er vor rund 15 Jahren, zu seiner Anfangszeit als Poetry Slammer, bereits aufgetreten ist. "In Ulm wars immer voll. Das war für mich damals das Größte. Ich hätte nie zu träumen gewagt, hier mal solo zu stehen." Jetzt steht Till Reiners hier allein auf der Bühne, ohne Schnickschnack, nur mit einem Mikrofon in der Hand. Wieder vor ausverkauftem Haus.