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Applaus will verdient sein: Warum Christoph Sieber in Ulm ausgebuht wird

Ulm

Applaus will verdient sein: Warum Christoph Sieber in Ulm ausgebuht wird

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    Christoph Sieber war mit seinem neuen Programm "Weitermachen!" im Ulmer Zelt zu Gast.
    Christoph Sieber war mit seinem neuen Programm "Weitermachen!" im Ulmer Zelt zu Gast. Foto: Michael Vogt

    Im Fernsehen tingelt Kabarettist Christoph Sieber durch verschiedene Sendungen. In der "Anstalt" war er genauso zu Gast wie bei der "Heute Show", "TV total" und vielen anderen. Im Studio bekommt Sieber meist Applaus, im Ulmer Zelt begrüßte ihn das Publikum mit Buhrufen und der laut dazwischen gebrüllten Frage "Wie lang dauert das hier überhaupt?". Gelacht wurde aber auch viel.

    Es ist natürlich nicht so, dass das hiesige Publikum seine gute Kinderstube vergessen hat. Man hat auch keinen Skandal verpasst - Sieber ist nicht etwa gecancelt wegen einer unbedachten Aussage zu Klimaklebern oder dem Gendern. Aber zu gute Stimmung, vor allem direkt am Anfang, ist dem Kabarettisten etwas suspekt. Er möchte sich den Applaus verdienen, erklärt er. Ein Wunsch, dem ihm die Zuschauerinnen und Zuschauer im Zelt nur zu gern erfüllten. Es kann ja auch ganz befreiend sein, seinem Unmut - so ganz generell und nicht unbedingt auf den Mann auf der Bühne bezogen - durch lautes Brüllen Luft zu machen. Gründe für Unmut gibt es dieser Tage ja genug, was auch Sieber in seinem Auftritt zeigt. 

    Christoph Sieber gastiert mit neuem Programm "Weitermachen!" in Ulm

    "Weitermachen!" lautet der Titel. So deprimierend gerade alles scheint, nicht zuletzt nach den Ergebnissen der jüngsten Wahl, sei aufgeben keine Option, findet Sieber, der dann doch recht lang darüber spricht, was alles eben nicht so gut läuft in der Bundesrepublik. Fehlgeleitete Bildungspolitik, ein völlig ausgehöhlter Sozialstaat, ein Leistungsprinzip, an das längst niemand mehr ernsthaft glauben kann, das Internet mit all den Pöblern in den Kommentarspalten und nicht zuletzt der Rechtsruck im Land und in ganz Europa. "Seit 25 Jahren stehe ich jetzt auf der Bühne, so ratlos war ich noch nie", gesteht Sieber in einem der ernsteren Momente des Abends. Den Spruch "Nie wieder Faschismus" habe man für billigen Gesinnungsapplaus rausgehauen. "Jetzt ist der plötzlich wieder relevant." 

    Während Sieber dennoch um Optimismus bemüht ist - die Fußballeuphorie nach dem zwar recht deutlichen Sieg gegen Angstgegner Schottland zum Auftakt, hält er für etwas verfrüht und sowieso wenig hilfreich, wenn es um das große Ganze geht. "Was glauben Sie denn, was passiert, wenn wir Europameister werden? Dass dann alles anders wird? Dass die Ampel plötzlich Zustimmungswerte von 80 Prozent kriegt und die Leute auf die Straße gehen und 'Wärmepumpe, Wärmepumpe!' skandieren?" Sieber, der selbst, das merkt man ihm schon an, doch eher dem linkeren Spektrum zugetan ist, macht Ampelpolitiker genauso zum Ziel seines Spotts wie Vertreter von Union und Freien Wählern. 

    Sieber lässt auch musikalisches und schauspielerisches Talent durchblicken

    Christoph Sieber zeigt bei seinem Auftritt im Ulmer Zelt zudem, dass er eben nicht nur Kabarettist ist, der anderthalb Stunden lang auf der Bühne monologisiert, die aktuelle Politik aufs Korn nimmt und Spitzen gegen deren Personal austeilt. Mit der Gitarre um den Hals wird es gelegentlich musikalisch-albern. Auch schauspielerisches Talent lässt Sieber erkennen, etwa wenn er in die Rolle des Bäckermeisters Häberle schlüpft, der als Inhaber der gleichnamigen Bäckerei Digitalisierung ins schwäbische Outback bringen will - ohne dabei auf Fax und Rohrpost zu verzichten. Als sein eigener Bruder plauderte Sieber ungeniert aus dem Nähkästchen und verrät endlich die Wahrheit über diesen so sympathisch wirkenden Mann, der seine über 80-jährigen Eltern hinter der Bühne fegen lässt und der im

    Studiert hat der gebürtige Schwabe - Sieber stammt aus Balingen - Pantomime an der Essener Folkwang-Hochschule. Dieses Studium blitzte dann auch bei einer Nummer ganz am Anfang des Programms auf, bei der er nur mit einem Tablett bewaffnet verschiedenste Redner an einem Pult mimte. Simpel, aber das entlockte dem Publikum einige Lacher. Auf seiner Website verrät Sieber übrigens, warum es mit der Karriere als Pantomime dann doch nichts wurde: Das mit dem Schweigen haben er nie gekonnt. Gut, dass er es sein ließ. Ein schweigender Sieber hätte dem Ulmer Zelt wohl einen wesentlich weniger vergnüglichen Abend bereitet.

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