Er hat als Kind immer davon geträumt, eines Tages gegen den großen FC Bayern München im Tor zu stehen. Am Freitagabend wurde dieser Traum von einer Sekunde auf die andere Wirklichkeit. Als Christian Ortag, Torhüter des SSV Ulm 1846 Fußball, nach etwas mehr als einer halben Stunde nach einem Zusammenprall benommen vom Platz musste, nahm Marvin Seybold den Platz zwischen den Pfosten ein. „Ja, es war definitiv das Spiel meines Lebens“, sagt er rückblickend. Das Trikot von Nationaltorwart Manuel Neuer wird ihn wohl immer daran erinnern. Das hat sich der 22-Jährige nach dem Schlusspfiff gesichert. „Wir haben kurz abgeklatscht, ich habe ihm zum Sieg gratuliert und wir haben uns gegenseitig viel Erfolg für die Saison gewünscht. Das war schon ein großartiger Moment“, erzählt Seybold.
Man merkt ihm im Gespräch an, dass ihn das Pokalspiel gegen den Rekordmeister noch immer beschäftigt und emotional mitnimmt. „Ich hatte vor meiner Einwechslung gar keine Zeit, mir großartig Gedanken zu machen. Ich habe Chris Ortag auf dem Boden liegen gesehen, bin auch nicht direkt vom Schlimmsten ausgegangen. Es war ja nicht das erste Mal, dass er auf dem Platz behandelt werden musste“, erzählt Seybold. Dann ging alles ganz schnell. Ein paar Dehnübungen, den einen oder anderen Schuss von Torwarttrainer Holger Betz zum Aufwärmen, Trikot überziehen – und rauf auf den Rasen. „Ich kann über diese Minuten gar nicht mehr viel erzählen. Ich habe versucht, mich zu fokussieren und war voll im Tunnel“, sagt der Spatzen-Schlussmann.
Zwei Treffer von Kingsley Coman und Harry Kane kassierte Marvin Seybold
Bei den Ulmern ist er normalerweise Ersatzmann, plötzlich standen ihm millionenschwere Profis wie Jamal Musiala, Joshua Kimmich, Serge Gnabry oder Harry Kane gegenüber. Doch für Nervosität war an diesem Abend kein Platz. Seybold erzählt: „Ich habe versucht, anfangs die einfachen Sachen zu machen. Keine Harakiri-Aktionen, das Risiko so gering wie möglich zu halten und sicher von hinten rauszuspielen.“ Doch der 22-Jährige stand wider Erwarten nicht unter Dauerbeschuss, musste sich erst knapp 40 Minuten später zum ersten Mal richtig lang machen, um einen Fernschuss mit den Fingerspitzen noch zur Ecke zu klären. „Dass es so läuft, hätte ich vorher nicht gedacht. Wir haben es als Mannschaft sehr, sehr gut verteidigt, den Bayern wenig klare Torchancen gegeben. Das hat es mir einfacher gemacht, gut ins Spiel zu kommen und Sicherheit zu gewinnen“, sagt er. Am Ende kassierte er beim 0:4 doch noch zwei Treffer. Einen von Kingsley Coman, einen von Torjäger Kane.
Schon seit 2018 spielt Marvin Seybold beim SSV Ulm 1846 Fußball
Seybold spielt schon seit 2018 für den SSV Ulm 1846 Fußball. Zwei Jahre stand er im Tor der U19, im Sommer 2020 rückte er in den Profikader auf. Die Entwicklung des Vereins in den vergangenen Jahren fasziniert ihn jeden Tag aufs Neue. Mitunter gibt es in manchen Momenten auch noch eine Gänsehaut. Dann zum Beispiel, wenn er vor den Heimspielen im Donaustadion zusammen mit Kollege Christian Ortag und Torwarttrainer Holger Betz zum Aufwärmen das Spielfeld betritt. „Ich freue mich vor jedem Spiel darauf, die Fans jubeln zu hören. Diese Atmosphäre schon eine Stunde vor Anpfiff ist besonders“, sagt er. Als Ersatzkeeper bereitet sich Seybold im Übrigen auf jede Partie so vor, als würde er von Anfang an spielen. „Für mich macht das in meinem Spieltags-Ritual keinen Unterschied, ob ich auf der Bank sitze oder in der Anfangsformation stehe. Ich glaube, das ist auch ganz wichtig. Ich muss immer bereit sein, der Mannschaft maximal helfen zu können“, meint der 22-Jährige. So wie das am Freitagabend der Fall war.
Mit Christian Ortag hatte er mittlerweile schon Kontakt gehabt. „Wir haben ein gutes Verhältnis und ich habe ihm geschrieben, wie es ihm geht“, erzählt Seybold. Der Verein hat sich offiziell zur Verletzung des Keepers geäußert. Demnach hat sich Ortag eine Gehirnerschütterung zugezogen, befinde sich aber auf dem Weg der Besserung. Schritt für Schritt soll er wieder ins Mannschaftstraining einsteigen, ob er am Sonntag gegen Fortuna Düsseldorf spielen kann, ist allerdings offen.
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