Eine Saison ohne Titel liegt hinter Timo Boll und Borussia Düsseldorf, in der laufenden Spielzeit soll es wieder klappen mit den Trophäen – möglichst schon beim Pokal-Finale. Vor dem Final-Four-Turnier am 4. Januar in der Neu-Ulmer Ratiopharm-Arenahaben wir mit dem 38-Jährigen über den ersten Saison-Höhepunkt, den Tischtennis-Sport allgemein und das Karriereende gesprochen.
Herr Boll, im Halbfinale des Pokals treffen Sie mit Borussia Düsseldorf ausgerechnet auf die TTF Ochsenhausen – jene Mannschaft also, gegen die es zuletzt drei Niederlagen in Folge gab. Mit welchem Gefühl blicken Sie auf das Duell mit dem Titelverteidiger?
Timo Boll: Es ist gleich zum Jahresauftakt eine richtige Herausforderung. Da müssen wir als Team hellwach sein. Auch wenn es fünf Euro fürs Phrasenschwein kostet: Wer Titel gewinnen will, muss eh jeden schlagen. Und die beiden anderen Halbfinalisten sind ja auch alles andere als Laufkundschaft.
Generell scheint die Vormacht der Borussia gebrochen. Neben Ochsenhausen ist Düsseldorf mit dem FC Saarbrücken TT ein weiterer Titelkonkurrent erwachsen. War es jemals schwerer, die nationalen Mannschaftstrophäen zu holen?
Boll: Daran bin ich ja nicht ganz unschuldig … Wer die Gegner selbst stark macht, ist auch selbst daran schuld. Patrick Franziska ist ja einer meiner jungen Freunde und beliebtesten Trainingspartner in meiner Höchster Trainingshalle. Leider hat er sich langsam etwas viel von mir abgeschaut… (lacht). Ich glaube, es wird in Neu-Ulm ein ganz offenes Rennen um den Titel.
Die Saison 2018/19 war die erste ohne Düsseldorfer Titel seit 2006. Welches Gefühl hat das in der Mannschaft hinterlassen?
Boll: Natürlich kein Hochgefühl. Das sind wir nicht gewohnt. Entsprechend ehrgeizig sind unsere Ziele für die laufende Saison. Und wir hoffen, beim Pokal mit der Umsetzung unserer Ziele gleich beginnen zu können.
Wie wichtig wäre denn vor diesem Hintergrund der Gewinn des Pokals für den weiteren Saisonverlauf?
Boll: Erfolge schaden nie. Aber es sind in der Herangehensweise zwei völlig unterschiedliche Wettbewerbe. Im Pokal muss man am Tag des Final-Four topfit und bereit sein. Die Bundesliga hingegen ist ein Langstreckenlauf, für den man sich die Kräfte gut einteilen muss.
Seit mehr als 20 Jahren begleiten Sie den Tischtennis-Sport in Deutschland und weltweit. Wie hat sich der Sport in dieser Zeit verändert?
Boll: Er ist viel schneller und viel athletischer geworden. Physisch und psychisch ist es eine extrem hohe Dauerbelastung, da wir praktisch keine Pause haben.
Der Wettkampfkalender ist immer wieder ein Thema, DTTB-Sportdirektor Richard Prause etwa forderte jüngst eine Entschlackung. Wie blicken Sie als Spieler auf den Kalender?
Boll: Da bin ich ganz einer Meinung mit Richard Prause. Ich finde, das Rad ist überdreht, die Anforderungen sind von uns Sportlern kaum noch zu bewältigen.
Mit nun 38 Jahren häufen sich die Fragen zu Ihrem Karriereende, auch wir kommen nicht ganz darum herum. Im Magazin der „Zeit“ haben Sie jüngst eingeräumt, der Gedanke an das Karriereende ängstige Sie, und ergänzt: „Ich habe keine Vorstellung davon, wie ein Leben ohne Tischtennis aussehen kann.“ Gibt es eine Möglichkeit, sich auf diesen Moment und diese Zeit vorzubereiten? Haben Sie das Gespräch zu anderen Sportikonen Ihrer Generation gesucht, etwa zu Dirk Nowitzki, der im Frühjahr seine Karriere beendet hat?
Boll: Nein, vorbereiten kann man sich auf diesen Tag sicher nicht, weil man ja auch nicht genau weiß, wann es so weit ist. Ich bin in der glücklichen Lage, mir nicht schon während der aktiven Karriere zu viele Gedanken um das Danach machen zu müssen. Wenn es denn mal so weit ist, werde ich mir die entsprechende Ruhe nehmen. Aber noch ist es nicht so weit. Ob Verein oder persönliche Sponsoren: Ich habe noch Verträge, und aus diesen sind die Klauseln der automatischen Verlängerung nicht gestrichen … (lacht).
Mit dem „Timo Boll Webcoach“ haben Sie bereits begonnen, Ihr Wissen weiterzugeben. Erklären Sie uns bitte die Idee dahinter.
Boll: Ja, das ist sicherlich ein Projekt für die Zukunft, für das ich natürlich in meiner aktiven Zeit gut die Werbetrommel rühren kann. Da man mich später – so viel ist sicher – eher nicht als Trainer täglich in der Halle sehen wird, ist der Webcoach die Möglichkeit der Kommunikation mit der Szene und des Weitergebens von Wissen, Technik und Taktik.
Wie sehen Sie den Tischtennis-Sport in Deutschland in Zukunft aufgestellt? Braucht es einen neuen Timo Boll?
Boll: Es gab keinen neuen Franz Beckenbauer oder Markus Wasmeier, es gibt keinen neuen Dirk Nowitzki und es wird auch keinen neuen Timo Boll geben. Der Sport muss immer wieder neue Talente entwickeln, die zu Vorbildern heranreifen. Ich denke, wir sind in Deutschland mit Dimitrij Ovtcharov, Patrick Franziska und einigen jüngeren Spielern, die ich durch Nennung gar nicht unter Druck setzen möchte, gut aufgestellt. Richard Prause und Jörg Rosskopf sollen auch mal noch ein bisschen weiterackern. Dann wird das schon. Ich bin da optimistisch..
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