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Senden: Unterwegs in der AfD-Hochburg im Kreis Neu-Ulm: Was treibt die Menschen um?

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Unterwegs in der AfD-Hochburg im Kreis Neu-Ulm: Was treibt die Menschen um?

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    Im Stimmbezirk "Grundschule Senden III", dazu gehört die Hochhaussiedlung entlang der Borsigstraße, haben 43,6 Prozent für die AfD gewählt. Die CSU kam auf 29,6 Prozent.
    Im Stimmbezirk "Grundschule Senden III", dazu gehört die Hochhaussiedlung entlang der Borsigstraße, haben 43,6 Prozent für die AfD gewählt. Die CSU kam auf 29,6 Prozent. Foto: Alexander Kaya

    Die AfD hat bei der Landtagswahl nicht nur bayernweit, sondern auch im Landkreis Neu-Ulm Erfolge eingefahren. Ihr hiesiger Direktkandidat, Franz Schmid, schaffte über die Liste den Einzug ins Gremium. So mancher reagierte mit Entsetzen, andere freute es. Was bewegt diese Menschen, was treibt sie um? Erste Antworten darauf liefert ein Spaziergang durch jenen Bezirk, in dem die AfD mit 43,6 Stimmen besser als die CSU und damit das beste Ergebnis im gesamten Stimmkreis Neu-Ulm erzielt hat. 

    Senden nahe Bahnhof an diesem Mittwoch. Es ist wieder ein so schöner Oktoberabend in diesem Jahr, den man an der frischen Luft genießen kann - auch in jener Siedlung zwischen Bahnhof- und Borsigstraße mit seinen insgesamt zwölf Hochhäusern und einem längeren Mehrfamilienhauskomplex sowie den mehr als 100 überirdischen Garagen. Es wirkt wie eine Stadt in der Stadt. Eine Kirche gibt es nicht, dafür eine Moschee der Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş (IGMG). Direkt neben ein Pub. Davor parkt ein weißer Mercedes mit einer türkischen Flagge am Seitenspiegel. 

    Ein AfD-Wähler aus Senden: "Nächstes Jahr ist Deutschland kaputt"

    Man muss hier nicht lange suchen, um auf Menschen zu stoßen, die am Sonntag ihr Kreuzchen bei der AfD gemacht haben. So zum Beispiel ein Mann und eine Frau, die mit etwas Gebäck und Gemüse in der Hand an der Moschee vorbeilaufen. Auf die Frage nach dem Warum, zeigt der Mann in Lederjacke auf einen Schutthaufen neben der Moschee und sagt: "Was will ich mit diesem Dreck." Was er meint? Den Haufen oder das Gotteshaus? "Ja die Moschee. Die sitzen hier und machen nichts." Bald würden sie alle hier Burka tragen, meint er. Der Zorn gegenüber Flüchtlingen und anderen Einwanderern ist groß. Dabei sind die beiden selbst nicht hier geboren, das verrät ihr russischer Akzent. "Aber ich arbeite und zahle meine Steuern. Die machen nichts und bekommen alles", sagt der Mann. "Nächstes Jahr ist Deutschland kaputt", meint er und sie laufen weiter.

    Gute Stimmung bei der CSU- Wahlparty im Blue Lagoon in Vöhringen.
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    Warten auf das Ergebnis: Impressionen vom Wahlabend bei den Wahlpartys der Parteien und aus dem Landratsamt.

    Nächstes Paar, etwas älter. Doch auch ihr Akzent deutet auf russische Wurzeln hin. Sie hätten nicht gewählt, hätten keine Zeit gehabt. Aber wenn, dann nur AfD. Das Warum bleibt unklar, auch sie müssen weiter. AfD-Stimmen vor allem von Migranten aus Russland? Ein ähnliches Phänomen hatte es 2017 bei der Bundestagswahl in Ulm-Wiblingen gegeben. Laut Roman Pfeifle ist die Erklärung nun aber nicht mehr ganz so einfach. Er wohnt im Neu-Ulmer Vorfeld, stammt aus

    AfD-Hochburg im Kreis Neu-Ulm: Wahlbeteiligung bei 27,2 Prozent in Sendener Stimmkreis

    Doch auch Menschen aus anderen Ländern, nicht nur aus Russland seien momentan unzufrieden. Es gehe nicht nur um Flüchtlingspolitik. Auch Wohnungsmangel sei ein Thema. Aber es werde immer ein Schuldiger gesucht. "Schnell sind es die Flüchtlinge", sagt er. Der Zorn richte sich nicht nur gegen Menschen aus arabischen Ländern. "Alle schimpfen über die Ukrainer." Und weil die AfD offen zu Putin halte, wecke auch das Begehrlichkeiten. 

    Zwischen den Hochhäusern mit bis zu elf Stockwerken finden sich in Senden neben etwas Grün und ein paar Bäumen auch Spielplätze. Zwei Frauen, die dort auf Plastikstühlen sitzen, wollen über die Wahl nicht reden. Sie seien die falschen Ansprechpartner, gewählt hätten sie nicht. Im besagten Stimmkreis 7 - auch genannt "Grundschule Senden III" - lag die Wahlbeteiligung, unter Berücksichtigung der Briefwahl, bei 27,2 Prozent. Von 1020 Wahlberechtigten gaben laut Landratsamt-Statistik 277 eine Stimme ab.

    Warum schafft Deutschland nicht das, was andere Länder wie Dänemark schaffen?

    Nächster Spielplatz, wieder zwei Frauen. Beide hätten ebenfalls nicht gewählt, sie hätten keinen deutschen Pass. Aber AfD? "Das würden wir nie wählen", sagt die eine und fügt auf Nachfrage hinzu: "Weil die ja schon ein bisschen rechts sind." Doch den Ärger über Flüchtlinge könne sie verstehen, sagt die Frau, die zwar in Deutschland geboren, aber serbische Wurzeln und einen serbischen Pass hat. Als ihre Eltern wegen des Kosovo-Krieges geflüchtet seien, hätten sie in einem Aufnahmelager nahe München als Reinigungskraft gearbeitet. So hätten sie sich Wohnung, Strom und mehr leisten können. Sie fragt: Warum machen das Flüchtlinge heute nicht auch? Die würden doch nur hierher wollen, weil sie wüssten, dass sie hier mit Nichts viel bekommen. Warum schafft Deutschland nicht das, was andere Länder wie Dänemark schaffen? Warum werden Menschen, die Straftaten begehen, nicht sofort abgeschoben? 

    Etwas weiter wieder ein Mann, der nicht gewählt hat, weil er nicht darf. Er ist Grieche. Von der AfD halte er nichts. Deren Konzept ergebe keinen Sinn. Deutschen nur den

    Bislang immer SPD, jetzt AfD: Mann mit zwei Hunden ärgert sich über Flüchtlinge

    Der letzte Gesprächspartner beim Spaziergang ist ein Mann mit zwei Hunden. Auch er sei kurz vor der Rente und habe AfD gewählt. Er komme aus der Möbelbranche, erklärt der Mann ohne Migrationshintergrund. Ein Flüchtling habe bei ihm ein Bett gekauft und ein Geldbündel auf den Tisch gelegt. "Ja wo sind wir denn?", fragt er. Seine Frau sei ein Pflegefall. "Sie bekommt Pflegegeld und was noch? Nichts." Er habe bislang immer SPD gewählt, nun zum ersten Mal AfD. Und er hofft, dass noch mehr Menschen AfD wählen, damit die Politik endlich einen Denkzettel kassiert. Und von wegen Kriegsflüchtlingen helfen und Solidarität: "Warum kommen denn nur junge Männer, die eigentlich an der Front sein sollten? Das kann es doch nicht sein."

    Und was sagen die, die Politik auf den unterschiedlichen Ebenen machen? Sendens Bürgermeisterin Claudia Schäfer-Rudolf war schon am Wahlabend entsetzt über das Ergebnis. Tage später sagte die CSU-Politikerin, sie habe das noch mehr beschäftigt als der Erfolg ihrer Partei. Denn auch im Stadtteil Hittistetten schnitt die AfD (32,6 Prozent) überdurchschnittlich gut ab. "Man muss mit den Menschen reden, muss es verstehen." Man dürfe nicht borniert sein und sagen: "Wie könnt ihr bloß?" Die eine "Patentlösung" scheint es aber nicht zu geben. Fest steht für sie jedoch: Ohne Zuzug sind die Herausforderungen der (bevorstehenden) Zeit aufgrund der Demografie nicht lösbar. Doch die Art und Weise der Einwanderung stelle die Politik seit Jahren vor ein "wirkliches Problem". Sie warnt vor Wahlen rein aus Protest. "Denn irgendwann schafft ein Denkzettel auch Fakten." 

    Auch im Illertisser Stadtteil Tiefenbach erreichte die AfD in einem von zwei Stimmkreisen mit 32,4 Prozent ein Ergebnis weit über dem Durchschnitt, wurde anders als in Senden aber nicht stärkste Kraft. Bürgermeister Jürgen Eisen (CSU) warnt vor einer falschen Bewertung dieser Zahlen, weil die Ergebnisse zumindest im Fall

    Thorsten Freudenberger, Landrat, Wahlsieger und künftiger CSU-Landtagsabgeordneter, hält sich mit einer Analyse der Ergebnisse ebenfalls noch zurück. Detaillierte Daten lägen dazu bislang nicht vor. Die Ortsverbände sollen sich die Bezirke anschauen und bewerten. Dass in der Bevölkerung viel Frustration und viel Unzufriedenheit herrsche, stellte Freudenberger schon am Wahlabend fest. Mit guter und schnellerer Politik könne man Menschen aber wieder zurückgewinnen, meint er. "Wir müssen auch herausarbeiten, dass hinter der smarten Fassade der Protestpartei natürlich schon rechtsextreme Kreise und Funktionäre stecken. Da muss man noch mehr Aufklärungsarbeit leisten."

    AfD-Politiker Franz Schmid ist "überrascht" vom Erfolg in Senden

    Gemeint sein könnte damit unter anderem Franz Schmid von der AfD, der sich offen zusammen mit der rechtsextremen Identitären Bewegung zeigt. Vom Ergebnis in Senden ist der künftige Landtagsabgeordnete "überrascht", habe es bislang nicht zu den "Kerngebieten" seiner Partei gehört. Eine Einordnung dessen stehe noch aus. Im besagten Stimmbezirk "Grundschule Senden III" hätten sie aber Parteimitglieder, sagt der 23-Jährige aus Babenhausen. 

    Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Ekin Deligöz kennt die Hochhaussiedlung, "das Ghetto, wo die Raps entstehen", sehr gut. In einem davon, in der Borsigstraße 4, verbrachte sie ihre Kindheit bis ungefähr zur 8. Klasse. Damals, in den 80er-Jahren sei es "für ein Migrantenkind eher ein sozialer Aufstieg" gewesen, dort zu wohnen. Ihr größtes Highlight war es, als eine Wippe auf dem Spielplatz aufgestellt wurde. Seither habe sich nicht viel verändert. Kontakt zu Menschen dort habe sie eigentlich keinen mehr. "Wer es sich leisten konnte, ist weggezogen." Sie machte dort ihre ersten politischen Erfahrungen: Kinder hätten nicht auf den Rasenflächen zwischen den Hochhäusern spielen dürfen. Also zogen sie von Tür zu Tür, um Unterschriften zu sammeln. 

    "Eine einfache Lösung gibt es in der globalen Gesellschaft nicht"

    Und was entgegnet sie jetzt jenen Menschen in ihrem "Ghetto", die auf Flüchtlinge schimpfen und aus Protest AfD wählen? "Ich appelliere an die Solidarität", sagt sie. Denn auch Russland-Deutsche hätten zum Beispiel damals Unterstützung bekommen. Deutschland sei schon immer ein starker Sozialstaat gewesen und sei es auch jetzt. Die Menschen, die jetzt kommen, brauche das Land. "Erziehung, Handwerk - überall fehlen sie uns", sagt sie. Doch warum kommt das bei den Menschen ganz offensichtlich nicht an? "Das weiß ich nicht", sagt sie. Ihr falle es inzwischen schwer, sich in jene hineinzuversetzen. Oftmals sei eine Debatte gar nicht gewollt. Und gleichzeitig seien bestimmte Konflikte wie Kriege in Israel und Ukraine auch für die Regierung nicht zu lösen. "Eine einfache Lösung gibt es in der globalen Gesellschaft nicht." Doch sie kämpfe jeden Tag dafür, den Staat besser zu machen. Und das brauche Zeit.

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