Startseite
Icon Pfeil nach unten
Neu-Ulm
Icon Pfeil nach unten

Rot: Neue Ausstellung in der Villa Rot: Begegnungen zwischen Messer und Gabel

Rot

Neue Ausstellung in der Villa Rot: Begegnungen zwischen Messer und Gabel

    • |
    • |
    In der Kunsthalle der Villa Rot bewegen Geisterhände Tassen, Teller und Gläser auf einem Tisch - eine Arbeit von Anja Luithle.
    In der Kunsthalle der Villa Rot bewegen Geisterhände Tassen, Teller und Gläser auf einem Tisch - eine Arbeit von Anja Luithle. Foto: Florian L. Arnold

    Begegnungen am (Ess-)Tisch sind in der Kunstgeschichte seit Jahrtausenden bekannt, wobei natürlich die Darstellung von Jesus letzter Versammlung mit seinen Jüngern in Leonardo da Vincis „Das letzte Abendmahl“ am deutlichsten ins kollektive Gedächtnis eingeschrieben ist. In Gesellschaft essen, genießen, Gemeinschaft erleben ist ein beliebtes Motiv, von Manets „Frühstück im Freien“ bis zu van Goghs „Kartoffelessern“. Wie aber geht die Kunst des 20. Jahrhunderts mit diesen Geschichten rund um den Tisch um. Das zeigt nun, in einer prägnanten Auswahl, die Ausstellung „Bitte zu Tisch!“ in der Villa Rot.

    Da Vincis‘ Abendmahl in einer Interpretation von Ben Willikens

    Auch Da Vincis Abendmahl ist dort in gewisser Weise vertreten - durch die Interpretation von Ben Willikens. Dessen „Raum 788“ (Black Last Room with Blue Light) von 2012 entkleidet da Vincis Gemälde nicht nur von aller menschlichen Präsenz, sondern setzt den Raum in Dunkelheit, mit kalt-blauem Licht aus dem Hintergrund. Statt kassettierter Decken sind es Rauhputzwände, der Boden ist mit schwarzen Kacheln belegt. Hier verarbeitetet Willikens nicht nur biographische Sprengsel, sondern zeigt das Wichtigste des „Letzten Abendmahls“ - die Gemeinschaft und das Miteinander - durch Abwesenheit.

    Ähnlich verfährt direkt vis-a-vis Daniel Spoerri mit der Arbeit „Er hat die Weißheit mit Löffeln gefressen“ von 1973. Ja, Weißheit im Sinne der Farbe Weiß, die hier zusammen mit Löffeln, Essensresten, Teilen von Bebissen und Schneckenhäusern zu einem explosiven Blick auf die Reste eines Essens komponiert wurde: Dieses Bild aus der Serie der „Fallenbilder“ weist unmissverständlich auf die Endlichkeit jedes Genusses hin, ebenso auf Dekadenz und das Groteske mancher Essrituale. Bei Hartmut Kiewerts figürlichen Malereien fällt diese Kritik an menschlichen Ernährungstraditionen mitunter auch humorvoll aus: Da sitzen Mensch und Tier einträchtig beim Picknick vereint in der Natur. Ein ambivalentes Idyll: Im Hintergrund sieht man die Ruinen zerstörter Fabriken von bekannten Lebensmittelherstellern. Diese Picknickbilder, von denen Kuratorin Sabine Heilig mehrere in ihrer Schau zeigt, sind keine „utopische Blaupause“, wie der Künstler selbst sagt. Vielmehr sollen sie verstanden werden als „Denkanstoß“, als „positive Zukunftsperspektive“ auf eine Menschheit, die gelernt hat, nicht vom Tier, sondern mit dem Tier zu leben.

    Immer wieder stellt die Ausstellung die Frage, wie unsere künftige Ernährung aussehen kann – oder was mit der gegenwärtigen Nahrungskultur falsch läuft. Rund um den Esstisch arrangiert in der Kunsthalle Anke Eilergerhard einen Reigen von Gestalten aus barock angehauchtem Porzellan in Cremefarben. Die Teile von klassischen Geschirren sind eingefärbten Silikonformen zusammengefügt und tragen Namen wie „Annastasia“ oder „Annalota“. Der Betrachter denkt unwillkürlich an ältere Kaffeetanten, die sich zu einem Stelldichein bei Kaffee und Kuchen getroffen haben. Letzteren gibt’s auch, allerdings nur in Schwarz – Eilergerhard fotografierte „137 Torten“, allerdings sind die Abzüge im Negativ gezeigt, also pechschwarz. Der Kuchenappetit bleibt da aus.

    Das Zentrum der Kunsthalle bestimmt ein großer Tisch, auf dem sich Tassen und Teller bewegen. Dabei bilden sie nicht die erwartbaren Bewegungsmuster einer Teegesellschaft nach, sondern eher eine Art Ballett, in dem sich die Porzellangefäße nach einer Choreographie umeinander bewegen, gelegentliches Anstoßen inklusive. Eine gewitzte kinetische Arbeit von Anja Luithle, die an anderen Stellen in der Kunsthalle auch Sektgläser miteinander anstoßen oder Essstäbchen und Gabel auf einem leeren Teller klappern lässt. Geisterklänge. Während bei Luithle die Teller leer bleiben, sind sie bei der Malerin Gabriele Langendorf gefüllt. Exquisite Aquarelle formieren Lebensmittel zu Gesichtern – so werden etwa zwei Blutwurstscheiben mit einem Spritzgebäck zu einem staunenden Gesicht. Das ist so realistisch gemalt, dass man zweimal hinschauen muss. Eine tolle Idee derselben Künstlerin: Eine große weiße Decke auf einem Tisch, in die mit rotem faden alle Mahlzeiten eines Jahres tagebuchartig eingestickt sind. Da wird nicht nur die enorme kreative Leistung der Köchin sichtbar, ebenso ist dieses Exponat ein Abbild heutiger Ernährungsmuster.

    Villa Rot zeig Kaffeetischentwurf von HfG-Ikone Max Bill

    Im Obergeschoss treffen nicht nur weitere Arbeiten von Willikens und Spoerri aufeinander, dort sieht man neben Ikonen der Ulmer HfG – etwa einem Kaffeetischentwurf von Max Bill – auch junge Kunst. Mado Nullans bittet zu einem experimentellen Essen zu Tisch. Allerdings ist der Tisch eine Projektion aus dem Beamer und das Besteck ist maximal transformiert – Gabeln und Löffel sind zu neuen Formen verschmolzen, Zinken verbogen oder Griffe ins Groteske verlängert. Da wird die Ernährung zum Vabanquespiel.

    Und gefährlich wird es mit Erwin Wurm: Eine ins Gigantische vergrößerte Gurke wächst durch einen kleinen 50er-Jahre-Nierentisch. Zwar laden Gläser zum Trinken ein, aber die übermannsgroße schwarze Gurke als Trinkgeselle ist unheimlich. Indem er Wegwerfprodukte der Coffee-to-go-Kultur minutiös ins Gigantische vergrößert, zeigt Bildhauer Eckhart Steinhauser sowohl die Ästhetik von Gebrauchsgeschirr, aber auch die Absurdität gewisser Tisch(un)sitten. „Bitte zu Tisch!“ gefällt mit witzigen, tiefgründigen, originellen Exponaten. Widersprüche werden ohne erhobenen Zeigefinger, aber doch in unvergesslicher Weise vorgeführt – sehenswert!

    Info: Die Ausstellung ist bis 6. Oktober zu sehen.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare

    Um kommentieren zu können, müssen Sie angemeldet sein.

    Registrieren sie sich

    Sie haben ein Konto? Hier anmelden