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Roggenburg-Biberach: Neuer Erinnerungswald: Bäume zum Erinnern, Begreifen und Bewahren

Roggenburg-Biberach

Neuer Erinnerungswald: Bäume zum Erinnern, Begreifen und Bewahren

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    Noch wenige Handgriffe, dann steht der erste Erinnerungswald im Landkreis Neu-Ulm. Anna-Maria Böswald vom Verein Sterneneltern Schwaben (links) erklärt den Gedanken dahinter.
    Noch wenige Handgriffe, dann steht der erste Erinnerungswald im Landkreis Neu-Ulm. Anna-Maria Böswald vom Verein Sterneneltern Schwaben (links) erklärt den Gedanken dahinter. Foto: Regina Langhans

    Der Landkreis Neu-Ulm hat seinen ersten Erinnerungswald. Und zugleich eine weitere Streuobstwiese mit alten Sorten, die den Ruf als Standort mit den meisten Streuobstflächen Schwabens untermauert. Wie berichtet, ist das Besondere diesmal die gelungene Verquickung zweier Anliegen: heimischen Baumbestand zu bewahren, aber auch Eltern von Sternenkindern – also von kurz vor oder nach der Geburt gestorbenen Babys – einen Erinnerungsort zu geben. Mittwoch wurde gepflanzt, Freitag waren Kreisgartenfachberater Rudolf Siehler sowie Anna-Maria und Bernd Böswald vom Verein Sterneneltern Schwaben zur Inaugenscheinnahme gekommen. Der Erinnerungswald liegt nördlich der Staatsstraße 2019 zwischen Roggenburg-Biberach und Weißenhorn

    Der Blick führt über hügeliges Gelände mit jungen Hochstämmen, von denen vergangene Saison 46 und aktuell 77 gepflanzt wurden sowie in 2024/25 noch 23 dazukommen sollen. Damit ist die Ausgleichsfläche des staatlichen Bauamts Krumbach voll. Und interessierte Sterneneltern können sich einen der Apfel- oder Birnenbäume heraussuchen und dafür eine ideelle Patenschaft übernehmen. Bis auf zwei Exemplare der Weißenhorner Birne – in Reminiszenz an die Nachbarstadt – sind in dem künftigen Erinnerungswald alle Baumsorten nur einmal vertreten, informiert Kreisgartenfachberater Siehler. 

    Westlich von Roggenburg-Biberach gibt es jetzt 123 Erinnerungsbäume

    Anna-Maria Böswald, die aus Tapfheim (Landkreis Donau-Ries) mit ihrem Mann und dem kleinen Jorin angereist ist, findet interessant, dass es sich um erhaltenswerte Sorten handelt, die im Erinnerungswald je nur einmal gepflanzt wurden. "Wie auch jedes Kind einzigartig und individuell ist", sagt die Vorsitzende des 2020 gegründeten Vereins. Sie freut sich, dass beides – Streuobstwiese und Erinnerungswald – zusammen fertig geworden sind. Wie füreinander gedacht. 

    Denn als in ihrem heimatlichen Landkreis der Erinnerungswald ausgebucht war, wurde ihr bei der Suche nach einem neuen Standort vom Landratsamt Neu-Ulm Hoffnung gemacht: Eine große Streuobstwiese sei in Planung. Inzwischen stehen 123 Erinnerungsbäume für Sterneneltern bereit, die sich einen für ihr gestorbenes Kind aussuchen können. Um ihn sinnbildlich durch die Jahreszeiten zu begleiten – stellvertretend für das Kind, dem das Aufwachsen nicht möglich war. 

    Mit den Erinnerungsbäumen würde den Sternenkindern eine Stimme gegeben. Und den Eltern ein Rückzugsort für ihre Trauer, welche sie hier mit anderen Sterneneltern teilen könnten. "Es sind Orte zum Anfassen und Begreifen, was eigentlich nicht zu begreifen ist", sagt Böswald mit wissendem Unterton in der Stimme. Mehrfach hat sie all das selbst erlebt: "Ich war fünfmal schwanger, meine beiden Kinder sind zwölf und zweieinviertel Jahre alt, dazwischen hatte ich Fehlgeburten." Sie spricht ohne Pause und Innehalten, die Worte kommen wie von selbst. "Einmal hatte ich in der neunten, dann in der 13. Woche eine Fehlgeburt und unsere Zwillinge starben kurz nach der Geburt, mein Mann und ich hielten jeweils eines im Arm, bis sie nicht mehr atmeten." 

    Der Erinnerungswald soll ein Rückzugsort für trauernde Eltern sein

    Mit dem kleinen Jorin kam dann ihr "Regenbogenkind" zur Welt, wie das nach Fehlgeburten eintreffende Geschwisterchen genannt wird. Auch wenn die Freude darüber riesengroß war, den Verlust seiner Geschwister könne Jorin nicht vergessen machen, sagt die Mutter. Sie weiß, dass sie mit ihrer Trauer nicht die einzige ist. Fehlgeburten seien ein in der Gesellschaft tief verwurzeltes Tabuthema, mit hässlichen Begleiterscheinungen und stets auf Kosten der betroffenen Frauen. 

    Es beginne damit, dass Müttern ihre toten Kinder oft vorenthalten wurden oder statt einer persönlichen Beerdigung nur Sammelbestattungen üblich waren. Daher wurden die kleinen Leichname auf ungewisse Zeit in Kühlräumen gelagert, "eine unerträgliche Situation für trauernde Mamas", so die Sternenelternvorsitzende. Die Erinnerungsbäume, welche nicht mit Grabstätten zu verwechseln seien, könnten die Sterneneltern ganz nach ihrer jeweiligen Verfassung schmücken, mit Teddybären, Spielzeug und natürlich dem Namen des Sternenkindes. 

    An sinnbildlichen, tröstlichen Ideen mangelt es der Vorsitzenden nicht: "Es könnte im Erinnerungswald auch einen zentralen Baum geben mit Namensschildchen und daran befestigten Federn, die im Wind einen gemeinsamen Reigen aufführen, wie im Kindergarten", sagt sie verträumt. Trauerbewältigung im Einklang mit dem Naturschutz, nennt es Böswald. Aber auch in der Gemeinsamkeit, indem sich Anwesende austauschen oder Vorbeikommende beteiligen könnten. Damit sieht die Initiatorin das Tabuthema Fehlgeburten in die Öffentlichkeit gerückt.

    Mehr Informationen gibt es unter www.sterneneltern-schwaben.de und www.erinnerungswald.eu oder beim Landratsamt Neu-Ulm. 

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