Es zeugt von einigem Selbstbewusstsein von Accept, dass die Band Phil Campbell als Vorgruppe bucht. Denn der Waliser spielte immerhin von 1983 bis zum Tod des Frontmanns Lemmy Kilmister im jahr 2015 Gitarre bei Motörhead, einer der stilprägenden und bedeutendsten Hardrock-Bands auf Erden. Jetzt geht er mit seinen Söhnen, die er als Band „Bastard Sons“ nennt, auf Tour und machte Station in Neu-Ulm.
Der 63-jährige Campbell und sein leiblicher Nachwuchs Todd, Tyla und Dane stehen in der Neu-Ulmer Ratiopharm-Arena nur auf der Bühne, weil in der Band eines anderen Ex-Motörhead-Mitglieds ein Missgeschick passierte. Denn eigentlich waren Phil Campbell and the Bastard Sons als Support der Scorpions gebucht, hier sitzt Mikkey Dee an den Drums, muss aber pausieren, weil Scorpions Gitarrist Matthias Jabs sich von einem Unfall erholt.
Ein wenig Motörhead in Neu-Ulm
Es war also purer Zufall, dass Phil Campbell in Neu-Ulm rockte. Der Stimmung in Neu-Ulm kam das zugute, denn die Arena war deutlich besser besucht als beim Accept-Konzert im Februar vergangenen Jahres, was auch Ratiopharm-Manager Richard King bestätigt: „Es wurden deutlich mehr Karten verkauft“. Die genaue Zahl könne er noch nicht sagen, doch es seien mehr als die knapp 2000 Leute damals gewesen, als die Halle noch verkleinert wurde.
Das heißt: Phil Campbell zieht in Neu-Ulm. Vor allem wegen seiner Vergangenheit: Die eigenen Songs sind zwar mehr als nur solide Rocker, wie der Opener We‘re The Bastards. Doch die Stimmung kocht erst so richtig hoch, wenn die Campbells die ikonischen Songs von Motörhead spielen.
Und das sind mit Going To Brazil, Born To Raise Hell, Ace Of Spades und Killed By Death die Hälfe der kurzen Neu-Ulmer Setlist, die partiell dennoch von den Socken haut. Das Rock-Urgetier spielt die kantigen Rhythmen ohne Firlefanz und Rocker-Posen. Und wenn dazu das einzige Nicht-Familienmitglied der Band, Leadsänger Joel Peters, intoniert, scheint es, als sei Motörhead samt Lemmy wieder auferstanden. Das will die Masse in Neu-Ulm hören. Als ein ziemlich gequält wirkender Versuch von Peters, das Publikum per „Sing-Along“ einzubeziehen, nicht so recht zünden will, kommentiert das Campbell-Senior knapp und trocken: „Freitagnacht hat seine eigenen Gesetze.“ Und setzt zu unnachahmlichen Midtempo-Riffs von Killed By Death an, der durch Mark und Bein geht. Fantastisch.
Dann ist Schluss für Phil Campbell und seine Söhne, die mehr als Coversongs lieferten; sie sind ein authentisches Stück der Motörhead-Legende. Auch wenn der Gig im Vergleich zu den legendär lauten Motörhead-Konzerten etwas zu leise war. Das Publikum ist dennoch begeistert und fragt sich, was da noch von Accept kommen kann.
So war Accept in der Arena in Neu-Ulm
Zumal bei der ursprünglich aus Solingen stammenden Band, die in den 1980er Jahren neben den Scorpions zu den international bekanntesten Gruppen der deutschen Rock-Szene zählte, vom Original auch nicht mehr viel übrig ist: Der Sänger heißt schon lange nicht mehr Udo Dirkschneider, von der Originalbesetzung steht nur noch Gitarrist Wolf Hoffmann auf der Bühne. Außer ihm ist Sänger Mark Tornillo am längsten dabei. Und das auch erst seit Ende des ersten Jahrzehnts des neuen Jahrtausends. Der US-Amerikaner erinnert optisch an den längst verstorbenen Wirt der Kultkneipe „Capos Größenwahn“. Das fällt in Neu-Ulm nicht nur vereinzelt auf: Eine ganze Gruppe von Männern in der Arena huldigt dieser Ähnlichkeit mit Capo-T-Shirts.
Accept liefert an diesem Abend 90 Minuten mit aller Wucht ab. Eine professionelle 80er-Jahre-Heavy-Show inklusive Männern, die in ärmellosen Lederwesten und Nietenoutfits mit Flying-V-Gitarren Formationen bilden. Der Sound ist satt, das Bühnenbild samt drehenden Zahnrädern aufwendig. 80er-Metal, wie er sein muss, voller Energie und Kraft: krachende Riffs, Refrains, eingängige Parolen und etwas Pathos. Ohne Zweifel, die Männer um Ur-Mitglied Wolf Hoffmann, sind Meister ihres manchmal etwas aus der Zeit gefallen wirkenden Fachs.
Irgendwann rennt Tornillo mit einer Accept-Fahne über die Bühne und scheint die eigene Legende zu beschwören. Und die von AC/DC. Mit Songs wie dem Rocker Straight Up Jack verneigt sich Accept nicht nur stimmlich vor den Australiern. Die Songs des neuen Albums Humanoid reihen sich (fast) nahtlos in die Klassiker ein. Doch an die Accept-Hymen der Zugaben kommen sie nicht hin: Aus 2000 Kehlen tönen zum Schluss die Knaller, die eigentlich jeder kennt: Balls To The Wall und I‘m A Rebel.
.
Um kommentieren zu können, müssen Sie angemeldet sein.
Registrieren sie sichSie haben ein Konto? Hier anmelden