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Nobelpreisträger: Ulm rollt roten Teppich für seinen berühmtesten Sohn Albert Einstein aus

Nobelpreisträger

Ulm rollt roten Teppich für seinen berühmtesten Sohn Albert Einstein aus

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    Einstein mit Zunge raus: Das wohl bekannteste Bild des Wissenschaftlers ist auch in diesem Brunnen am Zeughaus in Ulm verewigt.
    Einstein mit Zunge raus: Das wohl bekannteste Bild des Wissenschaftlers ist auch in diesem Brunnen am Zeughaus in Ulm verewigt. Foto: Horst Hörger

    Nancy Hecker-Denschlag hat sich schwer gewundert, als sie im Oktober 2009 nach Ulm kam. Die amerikanische Physikerin fragte sich: „Hallo? Wir sind hier in Albert Einsteins Geburtsstadt, warum findet man nichts zu ihm?“

    Das Thema ließ sie nicht los. Hecker-Denschlag wurde zur Initiatorin eines äußerst ambitionierten Projekts: das Einstein Discovery Center. Nach dem Vorbild des Technorama in Winterthur soll es seinen Besucherinnen und Besuchern den weltberühmten Wissenschaftler und dessen Erkenntnisse näherbringen. Bauen wird es Stararchitekt Daniel Libeskind. Geplante Eröffnung: zu Albert Einsteins 150. Geburtstag, also 2029.

    Als Albert Einstein 15 Monate alt war, zog die Familie nach München

    Der Mann, der zu einem der bedeutendsten, wenn nicht gar zu dem bedeutendsten Wissenschaftler des vergangenen Jahrhunderts werden sollte, kam am 14. März 1879 zur Welt – eben in Ulm, wo der Vater Hermann Einstein Mitinhaber einer Bettfedernfabrik war. Schon ein Jahr später – der kleine Albert war gerade einmal 15 Monate alt – zog die Familie nach München. Albert Einsteins weiterer Lebensweg führte bekanntermaßen über die Schweiz, wo er sein Abitur nachholte und studierte, und über Berlin nach Princeton in die USA. 1905 wurde zum „annus mirabilis“, dem Wunderjahr, in dem Einstein im Alter von gerade einmal 26 Jahren mehrere bahnbrechende Aufsätze veröffentlichte, 1921 folgte schließlich der Nobelpreis.

    Ein paar Spuren des Wissenschaftlers sind in der Stadt seiner Geburt ja vorhanden. Am Ulmer Amtsgericht etwa windet sich Albert Einstein aus einem Schneckenhaus und streckt seine Zunge Richtung Eingangstür. Die einen finden die Bronzeskulptur recht witzig, andere halten den Geschmack des Künstlers für eher fragwürdig. Aber Einstein zieht: Immer wieder sieht man fotografierende Touristengrüppchen vor der Statue. Zu Ehren des Mannes trägt zudem so manches in Ulm – unter anderem eine Straßenbahn, das Zentralgebäude der Volkshochschule und ein Marathonlauf – seinen Namen. 

    Die Physikerin Dr. Nancy Hecker-Denschlag will Albert Einstein in seiner Geburtsstadt Ulm ein Denkmal setzen. Mit ihren Mitstreitern plant sie das Einstein Discovery Center.
    Die Physikerin Dr. Nancy Hecker-Denschlag will Albert Einstein in seiner Geburtsstadt Ulm ein Denkmal setzen. Mit ihren Mitstreitern plant sie das Einstein Discovery Center. Foto: Horst Hörger

    Doch es gibt auch die anderen Einstein-Spuren. Aufmerksame Besucherinnen und Besucher der Bar „Herr Berger“, ganz in der Nähe des Rathauses, stolpern vielleicht über den Namen „Einstein“ auf dem golden glänzenden Stein, der vor dem Lokal in das Kopfsteinpflaster eingelassen ist. Dieser Stolperstein erinnert an Lina Einstein, eine Cousine des Physikers, die 1942 im Alter von 67 Jahren im Konzentrationslager Treblinka ermordet wurde. Angesichts dessen scheint klar, warum die Verbindungen Einsteins zu seiner Geburtsstadt nicht besonders innig gewesen sein können – ein Grund, warum es bisher kein Einstein-Museum gab?

    Ein Einstein-Museum soll schon im kommenden Jahr eröffnen

    Ulms Kulturbürgermeisterin Iris Mann sagt: „Einsteins Verhältnis zu seiner Geburtsstadt und umgekehrt war aufgrund der NS-Zeit kein einfaches, und genau das möchten wir aufarbeiten.“ Ganz so schlecht wie lange angenommen sollen die Beziehungen zwischen dem Wissenschaftler und Ulm aber nicht gewesen sein, obwohl er 1949 die ihm angebotene Ehrenbürgerwürde rigoros abgelehnt hatte, und zwar „im Blick auf die unter dem Nationalsozialismus in Deutschland begangenen Verbrechen an seinen Glaubensgenossen“. Dass diese Absage nicht öffentlich geschah, sondern in einem privaten Brief an den damals amtierenden Oberbürgermeister, interpretiert man in Ulm heute als Zeichen von Einsteins Respekt für seine Geburtsstadt, über die er einst auch sagte, sie hänge dem Leben als etwas ebenso Einzigartiges an wie die Herkunft von der leiblichen Mutter. Abgesehen von all dem gab es mehrere freundlichere Briefwechsel zwischen dem Ulmer Rathaus und Albert Einstein, weiß Historikerin Sabine Presuhn. Schon Robert Scholl, Ulms erster gewählter Oberbürgermeister nach Kriegsende und Vater der Widerstandskämpfer Hans und Sophie Scholl, bemühte sich um eine Annäherung.

    Und etwa zur selben Zeit, aber ganz unabhängig von der Discovery Center-Initiative, fing man dann auch bei der Stadt Ulm an, über ein Museum zu Albert Einstein nachzudenken. Als sich die Gelegenheit bot, das Haus von Einsteins Großeltern dafür zu verwenden, wollte man diese nicht ungenutzt verstreichen lassen. Kulturbürgermeisterin Mann sagt: „Albert Einstein ist der wohl mit Abstand berühmteste Ulmer, und es ist höchste Zeit, dass dies auch vor Ort sichtbarer wird.“ Er sei eine wichtige Identifikationsfigur und Vorbild gerade auch für junge Menschen in naturwissenschaftlicher, aber auch in gesellschaftspolitischer Hinsicht. Die Stadt plant allerdings einige Nummern kleiner als Hecker-Denschlag und ihre Mitstreiter. Dieses Museum wird schon im kommenden Jahr eröffnen. 

    „Der Holocaust muss hier einen großen Raum einnehmen“, sagt Sabine Presuhn über das städtische Museum, das sie leiten wird und mit dessen Aufbau sie gerade beschäftigt ist. Obwohl Religion für Einstein persönlich nie besonders wichtig war, hat auch er Antisemitismus erfahren. „Einerseits wurden ihm große Ehrungen zuteil, andererseits gab es Stimmen, die seine Erkenntnisse allein aufgrund seiner jüdischen Abstammung infrage stellten“, sagt Presuhn. 

    Die Historikerin Dr. Sabine Presuhn wird das städtische Museum „Die Einsteins“ leiten. Dort wird die Geschichte der Familie mit vielen Bezügen zur Stadt Ulm erzählt.
    Die Historikerin Dr. Sabine Presuhn wird das städtische Museum „Die Einsteins“ leiten. Dort wird die Geschichte der Familie mit vielen Bezügen zur Stadt Ulm erzählt. Foto: Horst Hörger

    In ihrem Büro ist die promovierte Historikerin umgeben von Albert Einstein – eine kleine Büste, ein originalgetreuer Lego-Nachbau des Geburtshauses, stapelweise Bücher und Dokumente, die sich mit dem weltberühmten Physiker befassen. Sabine Presuhn hat den Job als designierte Museumsleiterin erst im Herbst von Ingo Bergmann (der in Laupheim zum Bürgermeister gewählt wurde) übernommen, kann aber schon viel erzählen über Einsteins Familie hier in Ulm – über tragische Schicksale wie das von Lina Einstein, über Albert Einsteins Versuche, seine Verwandten und Freunde aus Deutschland herauszuholen. Einigen konnte er mit seinen Bürgschaften die Einreise in die USA ermöglichen und sie so retten. „Er stellte allerdings so viele Bürgschaften für deutsche Flüchtlinge aus, dass die amerikanische Regierung sie irgendwann nicht mehr anerkannte“, erzählt Presuhn. Einstein setzte schließlich auch seinen guten Ruf und seine Beziehungen ein, um andere Bürgen zu gewinnen. 

    Das kleine Museum soll den Namen „Die Einsteins“ tragen

    Um all das soll es dann auch in dem neuen Museum gehen. „Wir legen den Fokus nicht auf Einsteins wissenschaftliche Erfolge. Die werden im Discovery Center ihren Platz finden. Wir erzählen Einsteins Geschichte, eingebettet in die Geschichte seiner Familie“, beschreibt Presuhn das Konzept, von dem sie glaubt, dass auch der Physiker selbst damit einverstanden gewesen wäre. „Einstein hätte es nicht gutgeheißen, wenn man sich mit ihm brüstet, ohne dass etwas dahintersteckt.“ Der reine Kult um seine Person sei ihm immer unangenehm gewesen.

    Passend zu seinem Inhalt soll das kleine Museum dann auch den Namen „Die Einsteins“ tragen. Untergebracht ist es im Haus von Einsteins Großeltern, in dem auch die bereits erwähnte Bettfedernfabrik des Vaters betrieben worden war. Man könne getrost davon ausgehen, dass Einstein sich in diesem Haus auch persönlich aufgehalten habe, meint Sabine Presuhn. 

    Außer diesem Gebäude am Weinhof gibt es nur noch ein einziges Bauwerk in Ulm, von dem Historikerinnen und Historiker sicher sagen können, dass Einstein dort einmal gewesen ist: das Münster. Den Blick vom höchsten Kirchturm der Welt wollte sich Einstein bei einem Ulm-Besuch im Erwachsenenalter nicht entgehen lassen, er berichtete sogar in Briefen davon. Damals dürfte er kaum geahnt haben, dass er für Tourismusbeauftragte irgendwann in einer ähnlichen Liga spielen wird wie das berühmte Kirchengebäude. Und vielleicht überholt Einstein das

    Dem Verein gelang es, Daniel Libeskind für das Projekt zu gewinnen

    Weniger geschichtsträchtig als Münster und Sagrada Familia ist die alte Lagerhalle direkt neben dem Ulmer Hauptbahnhof, in der Physikerin Nancy Hecker-Denschlag nun steht. Noch flattern Tauben um die Fenster, noch liegen riesige Kabeltrommeln und anderes Baumaterial auf dem Boden. „Think big“, sagt die Physikerin, wenn sie über ihre Pläne für das Einstein Discovery Center spricht. Wie groß sie wirklich denkt, wird aber erst richtig klar, wenn man auf diesem riesigen Gelände steht.

    Auf drei Säulen fußt das Konzept für das neue Museum: der Mensch Albert Einstein, der Einfluss seiner Entdeckungen auf unsere Welt heute, und schließlich soll ein Science Center die Gelegenheit für eigene Experimente bieten. Ob das Discovery Center in die Halle integriert wird oder ob es einen Neubau geben soll, steht noch nicht fest. „Das soll der Architekt entscheiden“, sagt Hecker-Denschlag. Der Architekt – von einem Coup zu sprechen ist an dieser Stelle keine Übertreibung. Dem Verein ist es tatsächlich gelungen, Daniel Libeskind für das Projekt zu gewinnen. „Das war nicht super einfach.“ Ein bisschen Stolz schwingt in der Stimme Hecker-Denschlags mit. 

    Libeskind zeichnet unter anderem für das Jüdische Museum in Berlin verantwortlich und er entwirft gerade das neue Einstein-Haus der Hebrew University in Jerusalem, die bis heute den Nachlass des Nobelpreisträgers verwaltet. Einstein in

    Der Verein, der sich für das Einstein Discovery Center einsetzt, ist seit seiner Gründung 2016 von zehn auf mehr als 1000 Mitglieder angewachsen. Rund 600.000 Euro haben sie bislang gesammelt – von Firmen, Privatleuten und durch den Verkauf kleiner Steinwürfel aus den Grundmauern von Einsteins Geburtshaus. Bis zum fertigen Einstein Discovery Center, für das es wohl einen zweistelligen Millionenbetrag braucht, ist es noch ein weiter Weg. Doch Nancy Hecker-Denschlag, voll amerikanischem Optimismus, ist überzeugt, es mit Daniel Libeskinds Hilfe zu schaffen.

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