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Neu-Ulm: Unterwegs mit AfD-Aufsteiger Franz Schmid: Der Wolf, der den Schafspelz nicht braucht

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Unterwegs mit AfD-Aufsteiger Franz Schmid: Der Wolf, der den Schafspelz nicht braucht

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    Franz Schmid bei der Podiumsdiskussion der Neu-Ulmer und Illertisser Zeitung.
    Franz Schmid bei der Podiumsdiskussion der Neu-Ulmer und Illertisser Zeitung. Foto: Alexander Kaya

    Blaues Sakko, beige Hose, braune Schuhe – Franz Schmid trägt diese Kombination bei fast jedem Termin. Nach zwei oder drei Begegnungen erkennt man ihn schon von Weitem, es scheint so etwas wie seine Parteiuniform zu sein. Darin gekleidet, steht er am Wahlabend in der Kegelgaststätte „Gut Holz“ vor einer kleinen Leinwand und sieht dabei zu, wie die Säulendiagramme der Hochrechnungen über seine Zukunft entscheiden. Die blaue Säule bleibt bei 16 Prozent stehen, Franz Schmid klatscht in die Hände und grinst. Er weiß noch nicht, dass die AfD am Ende bei 14,6 Prozent landen wird, und er um seinen Einzug in den Landtag bangen muss. Dass dies ein guter Abend für die AfD ist, dagegen schon

    AfD-Mann Franz Schmid erlebt den Höhepunkt seiner Karriere

    Weil er in der Liste noch drei Plätze nach vorne rutscht, zieht Schmid ins Maximilianeum ein. Es ist der vorläufige Höhepunkt einer steilen Parteikarriere. Obwohl er viel älter wirkt, ist Schmid erst 23 Jahre alt. Vor fünf Jahren trat er der AfD bei, heute ist er der Kreisvorsitzende für Neu-Ulm, stellvertretender Vorsitzender der Jungen Alternative in Bayern und Schatzmeister der Jugendorganisation auf Bundesebene. Er habe die Partei in Neu-Ulm versöhnt, die verschiedenen Strömungen zusammengeführt, sagen seine Vertrauten im Kreisverband. Selbst im Beruf diente er der Partei, als persönlicher Referent des Landtagsabgeordneten Christoph Maier, seinem neuen Kollegen. 

    Er ist aber nicht nur ein engagierter Emporkömmling, sondern auch einer der wenigen mit einem Anhängerführerschein, und so fuhr er während des Wahlkampfs den Spitzenkandidaten seiner Partei die Bühne für ihre Auftritte hinterher. Schmid macht für seine Partei, was gerade nötig ist. Er hat Wahlhelfer bei sich beherbergt, zigtausende Flyer verteilt, Plakate geklebt und Infostände aufgebaut. 

    An einem kühlen Mittwochmorgen, knapp zwei Wochen vor der Wahl, stehen Schmid und sein Kreisverbandsschatzmeister, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, an einem dieser Infostände auf dem Neu-Ulmer Petrusplatz. Ein paar Meter weiter haben sich die Grünen mit ihrem Stand niedergelassen, die beiden Grüppchen würdigen einander keines Blickes. Die meist älteren Menschen, die an Schmid herantreten, wünschen ihm viel Glück oder klopfen ihm anerkennend auf die Schulter. „Weiter so!“, sagen viele. „Vor zwei Jahren beim Bundestagswahlkampf war das noch anders. Wir wurden beschimpft, Leute haben vor uns auf den Boden gespuckt“, erzählt Schmid. Nun spuckt und beleidigt niemand, die AfD genießt Rückenwind.

    Buntes Treiben beim Infostand der AfD auf dem Neu-Ulmer Petrusplatz

    Einmal verwickelt ein Kosovare, der sich unverblümt ein paar AfD-Gummibärchen geschnappt hat, den Schatzmeister in ein Gespräch über Steuererhöhungen. Der Schatzmeister bleibt äußerlich ruhig, doch das Unbehagen ist ihm ins Gesicht geschrieben. „Der will die Steuern erhöhen, weil er wohl selbst von Steuergeldern lebt“, sagt der Schatzmeister, während sich der Mann bereits am Stand der Grünen eine Gratisbreze genommen hat und dort weiterdiskutiert. Zeitgleich unterhält sich Schmid freundschaftlich mit einem Mann, dessen Sohn gelangweilt im Fahrradanhänger sitzt und eine Russland-Kappe trägt. Am Kinderwagen baumelt eine Flagge, auf der Hammer, Sichel und Mohnblume an den Tag des Sieges im Zweiten Weltkrieg erinnern. „Der ist ein Vollblutkommunist. Der würde wohl die Wagenknecht-Partei wählen, wenn es sie schon gäbe“, scherzt Schmid als der Mann mit seinem Sohn weitergefahren ist. Gleich darauf läuft der Direktkandidat der SPD, Daniel Fürst, mit einem „FCK AfD“ T-Shirt vorbei. „Unglaublich“, raunt Schmid und schüttelt den Kopf. 

    Kurz bevor Schmid und der Schatzmeister zusammenpacken wollen, kommt eine ältere, freundlich wirkende Dame an den Stand. „Ich habe ja nichts gegen Asylanten“, sagt sie. „Aber wissen Sie, da hinten gibt es ein paar Wohnblöcke, na ja, fast schon Abschaum, der da wohnt.“ Die schwarzen Kinder seien ja ganz nett, aber die Eltern sehe man nur Alkohol und Tabak kaufen. „Jetzt kommt auch noch die Kindergrundsicherung. Noch mehr Nägelmachen, noch mehr Zöpfe knöpfen, noch mehr saufen und noch mehr rammeln“, sagt sie verächtlich. Schmid hört zu, nickt und widerspricht nicht. Gegen Ende huscht ihm ein Lächeln über die Lippen, von dem nicht klar ist, ob es ein peinlich-berührtes oder ein belustigtes ist. „Manche kommen auch hierher, um sich einfach mal auszukotzen“, sagt er schulterzuckend, während er dem Schatzmeister hilft, das Wahlkampfmaterial in Kartons zu packen. „Man ist halt auch Kümmerer.“ 

    Franz Schmid will sich von rechtsextremen Organisation nicht distanzieren

    Schmid hat keinerlei Berührungsängste nach Rechtsaußen. Im vergangenen Jahr setzte er sich für die rechtsextreme Identitäre Bewegung (IB) in Ulm ein, als sie von einem Hauseigentümer vor die Tür gesetzt wurde. Auch an der berüchtigten AfD-Feier im Maximilianeum hat Schmid teilgenommen. Sein Chef hatte eingeladen, gemeinsam mit Landtagskollege Ferdinand Mang. Die Identitäre Bewegung trieb dort genauso ihr Unwesen wie die als rechtsextrem eingestufte „Burschenschaft Danubia München“. Bei der Veranstaltung zeigten Burschenschafter das White-Power-Symbol, ein Journalist wurde von den Gästen angegangen. 

    "Ich sehe keinen Grund, mich von der IB zu distanzieren. Jeder Partei braucht ein Vorfeld und bis auf Kleinigkeiten hat die IB die gleichen politischen Positionen wie wir. Solange sie das friedlich machen, stehe ich hinter denen", sagt der 23-Jährige. Überhaupt schert es ihn wenig, mit Rechtsextremen in Verbindung gebracht zu werden. "Es ist eine Frage der Perspektive, ob ,rechts sein' allein etwas Negatives ist", sagt er. Auch in Björn Höcke erkennt Schmid keinen Extremisten, vielmehr könne man ruhig auch in Bayern noch eine Spur schärfer formulieren, findet er. 

    Im politischen Auftritt ist Schmid gefasst und zurückhaltend. Er sagt wenig Originäres, beherrscht jedoch die rhetorische Klaviatur der AfD wie seine Muttersprache. Am Abend nach seinem Einsatz in der Neu-Ulmer Innenstadt sitzt Schmid in seiner Uniform auf der Bühne des Vöhringer Wolfgang-Eychmüller-Hauses. Die anderen Kandidaten und die Kandidatin ignorieren ihn, als sie sich vor Beginn der Podiumsdiskussion gegenseitig freundlich begrüßen. Schmid hat als Einziger Notizen dabei, er blickt immer wieder zu ihnen nach unten und zittert ein bisschen, wenn er nach ihnen greift. Außer zum Klimawandel sagt er inhaltlich kaum etwas, das man nicht auch in der konservativen Mitte hören würde. So wie eigentlich immer, wenn er über konkrete politische Themen spricht. "Die AfD hält, was die CSU verspricht", steht auf Wahlplakaten der AfD, genau das verkörpert er. Es ist die eine Seite der schmidschen Medaille.

    Bei der Wahlkampfveranstaltung der AfD in Kellmünz herrscht rasende Wut

    Die andere Seite zeigt er kaum 24 Stunden später im Schützenheim von Kellmünz. "Beim letzten Mal war der Saal nur halb voll, jetzt ist schon eine halbe Stunde vorher kein Platz mehr frei", frohlockt Schmid draußen auf dem Parkplatz. Im Schankraum stehen die Spätankömmlinge hinter den Stuhlreihen oder an den Wänden, rund 200 Leute dürften sich versammelt haben. Viele Männer tragen Tracht, so wie Akkordeonspieler Alois, der mit seiner Volksmusik die Wartezeiten zwischen den Rednern überbrückt. Das Bier kostet drei Euro, zu essen gibt es Currywurst mit Pommes und Käsebrote.

    Die Spitzenkandidaten der AfD, Kathrin Ebner-Steiner und Martin Böhm, stehen genauso auf der Bühne wie Franz Schmid selbst und der ehemalige FPÖ-Politiker Gerald Grosz. Es ist so heiß und stickig im Saal, das einige nach draußen gehen und das Geschehen durch gekippte Fenster verfolgen. Rund 120 Minuten erlebt das aufgepeitschte Publikum AfD-Wahlkampf pur, eine Melange aus konservativer Widerstandsrhetorik und blankem Zorn, hin und wieder wird es menschenverachtend.

    Franz Schmid, heute ausnahmsweise auch in Tracht, sagt Sätze wie: "Wir sollten Kriegsflüchtlinge aufnehmen, Menschen die Hilfe brauchen, und bekommen haben wir Messerstecher und Vergewaltiger." Er ist der mit Abstand harmloseste unter den Rednern. Wann immer an diesem Abend die Worte ‚Verbrennungsmotor‘ oder ‚Schweinebraten‘ fallen, jubelt und grölt die Menge und sie brüllt vor Lachen, als Gerald Grosz der Grünen-Vorsitzenden Ricarda Lang unterstellt, den Menschen ihr Fleisch verbieten zu wollen und dabei jeden Tag ein Spanferkel "zu fressen". Schmid klatscht und lacht im Hintergrund, pendelnd zwischen dem Ausschank und einer kleinen Bank, neben der Bühne. Nur einmal noch gehört ihm das Rampenlicht nach seiner kurzen Rede, als Grosz ihn für seinen hemdsärmeligen Einsatz hinter den Kulissen lobt und die Gäste ihm applaudieren. Schmid grinst und blickt zu Boden, so als wäre ihm die Aufmerksamkeit unangenehm.

    Ganz hinten stehen derweil zwei Frauen und applaudieren nicht. Gekleidet in fast identischem Grün, stehen sie da, in stoischem, stillem Protest. "Wir sind neugierig, wie so eine Veranstaltung abläuft. Und vielleicht stellen wir auch noch eine Frage, falls es möglich ist. Wir wollen aber auch Farbe bekennen", sagt eine von ihnen. Die Menschen im Saal scheinen nicht recht zu wissen, was sie mit den beiden Frauen anfangen sollen. Gerald Grosz weiß es schon. "Da hinten haben sich zwei Grüne versteckt", bellt er zu Beginn seiner Rede in den Raum. Die beiden Frauen sind da aber schon weg und verpassen so auch, wie am Ende des Abends alle Menschen im Saal aufstehen und zu Alois‘ Akkordeonklängen lauthals die Nationalhymne singen. Viele schwenken dabei die kleinen Deutschlandflaggen, die vorher auf den Tischen in leeren Bierkrügen steckten.

    Bei der AfD in Neu-Ulm herrscht eine fröhliche Mitmachstimmung

    So brachial wie sich die AfD häufig in der Öffentlichkeit zeigt, ist sie zumindest in Neu-Ulm hinter verschlossenen Türen nicht. Vier Wochen vor dem Wahltag trifft sich der Vorstand des Kreisverbandes im "Gut Holz" zur finalen Sitzung. In der Gaststätte geht es links die Treppen hinunter zu den Kegelbahnen und nach rechts in das Deutschland, dem die AfD so wehklagend nachtrauert. Viel helle Holzverkleidung, grau-gesprenkeltes Laminat am Boden und Ornamentglas in den Türen lassen die Gaststätte wie aus der Zeit gefallen wirken. 

    Obwohl in Neu-Ulm keine Veranstaltung der AfD gestört wurde und es auch keine Gegendemonstrationen gab, ist die Sorge vor Störern so groß, dass nur handverlesene Gäste zu solchen Abenden eingeladen werden. Um sieben Uhr treffen sie ein, einer von ihnen zeigt Schmid ein Blatt Papier. "Ich hab‘ ein Banner gemacht, das könnten wir hier draußen aufhängen und auch an anderen Stellen", sagt er mit dem erwartungsfrohen Blick eines Jungen, der dem Papa ein selbstgemaltes Bild zeigt. „Brücken sanieren statt Migranten finanzieren“ ist darauf zu lesen. "Super", antwortet Schmid. Weil es nicht viele gibt, die sich aktiv und offen für die AfD engagieren, ist die Partei auf die fröhliche Mitmachstimmung angewiesen. 

    Geladen ist auch der sächsische Landtagsabgeordnete Rolf Weigand. Er schwingt die ein oder andere Wahlkampfparole und wird dabei immer wieder von der Bedienung unterbrochen, die unentwegt mit neuen Schnitzeln durch die Tür schlendert. Vor den engsten Vertrauten der AfD in Neu-Ulm geht es aber schlussendlich nicht um Parolen, sondern um Machtperspektiven. Wo die AfD in Sachsen ist, will die AfD in Bayern hin, Weigand schlägt fast eine Spur Ehrfurcht entgegen. 

    Die AfD sieht die Brandmauer bröckeln

    Gebannt lauschen die geladenen Gäste seiner Botschaft. "Die Brandmauer ist in Sachsen längst gefallen, die ist eine Mär, die erzählt wird. Im Lokalen stimmt die CDU immer wieder mit uns, teils sind unsere Anträge dort mehrheitsfähig", erzählt er. Mit einer grünen Lokalpolitikerin arbeite er mittlerweile vertrauensvoll zusammen, die sei eigentlich nur angetreten, um ihn zu verhindern. "Wir müssen Gesicht zeigen, Präsenz zeigen, die Leute müssen sehen, dass wir ganz normale Menschen und keine Nazis sind. Wir müssen endlich raus aus den Telegrammkanälen und rauf auf die Straße", ruft Weigand. 

    Auch Schmid spricht von der bröckelnden Brandmauer. Auf der Münchner Demokratie-Meile, zu der die AfD als einzige Partei nicht eingeladen worden war, habe er sich vor Kurzem unter die Leute gemischt und Gespräche geführt. "Tja, wenn sie uns nicht wählen können, müssen sie AfD wählen, das ist die einzige Alternative zu uns", habe ihm dort eine Vertreterin der Freien Wähler geraten. "Die Parteispitze nennt uns Blinddarm, aber die Basis der Freien Wähler will eine Zusammenarbeit mit der AfD. Das merke ich immer wieder", erklärt Schmid den Gästen im "Gut Holz".

    Gemeinsam träumen sie dort vom Umsturz, davon, die CDU zu zerstören, den wahren Feind, und davon, der "Systempresse" den Garaus zu machen. Nur einmal gibt es so etwas wie eine Diskussion. Ein Mann mit Schnauzer erzählt grinsend, ein paar Tage zuvor den Auftritt von Grünen-Politiker Anton Hofreiter in Elchingen gestört zu haben. Er trägt ein T-Shirt des rechtsextremen "Compact"-Magazins, auf dem ‚Wir sind frei‘ zu lesen ist. "Das hat keinen Anstand", sagt der Schatzmeister und Schmid pflichtet ihm bei: "Wir wollen schließlich auch nicht, dass die auf unseren Veranstaltungen pöbeln und stören." Er respektiere das, antwortet der Mann, trotzdem wolle er wieder dabei sein und Stimmung machen, wenn die Spitzenkandidaten der Grünen nach Neu-Ulm kommen. Fünf Tage später wirft ein 44-Jähriger aus dem Querdenkermilieu auf eben jener Veranstaltung einen Stein in Richtung des Grünen-Spitzenduos und löst bundesweit Entsetzen über die Verrohung des Wahlkampfklimas aus. 

    Die Normalisierung der AfD ist auch im Westen weit vorangeschritten

    Gerade einmal ein knappes Dutzend Unterstützer sitzt auch am Wahlabend im "Gut Holz" und erlebt gemeinsam mit Franz Schmid, wie weit die Normalisierung der AfD auch im Westen Deutschlands schon fortgeschritten ist. Warum das so ist, zeigt sich auch an Politikern wie Franz Schmid. Sein Engagement als konservativer Kümmerer und Macher ist bei dem Kinderpfleger aus Babenhausen genauso authentisch wie seine unbestreitbare Nähe zu Rechtsextremen und deren Gedankengut. Wie seine Partei hat er sich darin gefunden, im konservativen Lager überall zu sein. Die einen mögen in Schmid das bürgerlich-konservative Lamm sehen, die anderen den rechtsextremen Wolf – ganz falsch läge dabei niemand. So könnte er auch ein Wolf im Schafspelz sein, der seine Tarnung nur noch dann trägt, wenn er sie zwingend braucht. In den nächsten fünf Jahren, jedenfalls, wird Schmid durchs Maximilianeum streifen, in seiner blau-beigen Uniform.

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