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Neu-Ulm: Treffen der Dichter: So war der erste Poetry-Slam im Roxy nach langer Pause

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Treffen der Dichter: So war der erste Poetry-Slam im Roxy nach langer Pause

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    "Warum ist mein größter Feind mein Leben?" - May Luchs stellte beim Poetry-Slam im Roxy tiefsinnige Fragen. Mit so viel Offenheit erntete sie den stärksten Applaus.
    "Warum ist mein größter Feind mein Leben?" - May Luchs stellte beim Poetry-Slam im Roxy tiefsinnige Fragen. Mit so viel Offenheit erntete sie den stärksten Applaus. Foto: Andreas Brücken

    In der fast zehnjährigen Geschichte des Ulmer Poetenwettstreits hat sich die Veranstaltung zum größten regelmäßigen Event seiner Art im süddeutschen Raum gemausert. Nach eineinhalb Jahren Zwangspause öffnete das Roxy wieder seine Bühne für den Poetry-Slam. Der künstlerischen Freiheit der erfahrenen Dichter, Denker und aufgeregten Debütanten sind in ihrer Poesie und Prosa oder in ihrem Rap dabei keine Grenzen gesetzt. Erlaubt ist, was gefällt - doch entscheidet am Ende das Publikum durch seinen Applaus, wer als Sieger der Bühne verlässt.

    Im Ulmer Roxy treffen sich wieder Slam-Poeten wie Johannes Strobel

    Fast schon einen Heimvorteil hatte Johannes Strobel, der zum Slam über die Landesgrenze aus Neu-Ulm kam. Der Stand-up-Comedian rechnete mit Tinder und Co ab und schlug die humoristische Brücke zu den Benimmregeln im Restaurant, die zwar nicht immer logisch, aber höflich seien. Dafür, dass Männer mit Humor bei Frauen mehr Erfolg hätten, sei er ein gutes Beispiel: "Ich bin erfolgloser Comedian und komme auch nicht gut bei Frauen an."

    Ebenfalls aus der Region kommend bestieg Laura Necker die Bühne. Ihr Thema war die Parallelwelt der sozialen Medien, in der von fragwürdigen Autoren Verschwörungen auf den Bildschirmen transportiert würden, während sich im Hintergrund die Kassen der Online-Konzerne füllen. "Sie wollen uns nicht an die reale Welt verlieren, weil sie mit uns dann kein Geld mehr verdienen."

    Poetry-Slammer zerlegen im Ulmer Roxy Verschwörungsmythen

    Als ein alter Bekannter im Wettstreit der Poeten kam Stefan Unser aus Malsch bei Karlsruhe nach Ulm. Als Gewinner der Baden-Württembergischen Poetry-Slam-Meisterschaften und erfahrener Büttenredner legte er mit bissigem Humor wortgewaltig die Messlatte für seine Mitbewerber hoch an: "Jede Lüge kann zur Wahrheit werden, wenn sie geglaubt wird." Dass die Erde eine Scheibe sei, sei schließlich nur eine Frage der geometrischen Betrachtung. Köstlich gewagt war Unsers These über die menschliche Abstammung: Dass der Mann angesichts mancher testosterongesteuerten Zeitgenossen vom Affen abstamme, sei klar. Doch vermutlich stamme die Frau, mit Blick in deren überfüllten Schuhschrank, vom Tausendfüßler ab.

    Schwere Kost kam dagegen von Pauline Puhze aus Frankfurt. Mit sehr einfühlsamen Worten setzte sie ein poetisches Denkmal an alle verstorbenen Menschen und fasste den Schmerz der Hinterbliebenen wie in einem Plädoyer für das Leben in berührende Zeilen: "Ich will die Zeit anhalten, damit nicht wieder eine Stunde vergeht, in der du nicht mehr bei mir bist."

    Max Osswald und Yannik Sellmann slammen im Ulmer Roxy

    Max Osswald gilt unterdessen schon als Stammgast auf der Roxy-Bühne. Der Finalist des bayerischen Poetry-Slams 2019 begrüßte das Publikum ganz bodenständig: "Hob' die Ehre." Und als das Lachen aus den Zuschauerreihen verklungen war, schob der Münchner hinterher: "War nur Spaß, ich kann auch Hochdeutsch." Es wäre auch schade gewesen, wenn der Oberbayer im Schwabenland mit seinen Gags nicht verstanden worden wäre: "Ich bin so einsam, dass ich in München eine billige Wohnung inseriert habe, die es gar nicht gibt, nur um wieder Kontakt mit Menschen zu haben."

    Yannik Sellmann, ebenfalls aus München, ist bereits zweifacher bayerischer Meister im Poetry-Slam. Er wetterte gegen die Verweigerer des digitalen Fortschritts: "Die Zeit geht an euren Schreibtischen vorbei", sagte er und gab zu, dass auch für ihn der Tag kommen wird, an dem er sich weigert, sich einen Mikrochip implantieren zu lassen, nur um seinen eigenen Verfall zu tracken.

    Dana Hoffmann nimmt Abschied vom Poetry-Slam im Roxy

    Bemerkenswert feinfühlig trug May Luchs den Dialog mit ihrer eigenen Existenz vor: "Warum ist mein größter Feind mein Leben?", stellte die junge Poetin die tiefsinnige Frage, und die Antwort folgte: "Liebe dein Leben, dann kannst du es einem anderen geben." Mit so viel Offenheit erntete die Slammerin den stärksten Applaus, mit dem sie, neben Yannik Sellmann, im Finale des Poeten-Wettstreits stand. Hier legte die Nachwuchsmalerin noch einmal nach: "Hör auf, nicht mehr da zu sein", lautete ihr Gedicht an einen verstorbenen Menschen, mit dem sie Drachen steigen ließ oder im Regen tanzte. Auch hier fand Luchs die Antwort im Dialog: "Ich bin nicht tot, nur stumm, in den schönen Dingen um dich herum."

    Der Abend der vielfältigen Talente auf der Bühne wurde jedoch von einem Wermutstropfen getrübt: Die Initiatorin Dana Hoffmann, die an der Seite von Ko Bylanzky den Poetry-Slam seit fast zehn Jahren moderierte, gab ihren Abschied bekannt. Wer für Hoffmann als Nachfolgerin oder Nachfolger auf der Bühne beim nächsten Poetry-Slam am 13. November auf der Bühne stehen wird, wollten die Verantwortlichen noch nicht verraten.

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