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Neu-Ulm: Seit einem Jahr in Betrieb: Wie ist die Lage im Ankerzentrum in Neu-Ulm?

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Seit einem Jahr in Betrieb: Wie ist die Lage im Ankerzentrum in Neu-Ulm?

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    Alafo Nawfal (links) und Pirmos Abdolrahman Fadhli Pirmos teilen sich im Ankerzentrum in Neu-Ulm ein Zimmer. Seit einem Jahr sind in dem früheren Speicherbau Flüchtlinge untergebracht.
    Alafo Nawfal (links) und Pirmos Abdolrahman Fadhli Pirmos teilen sich im Ankerzentrum in Neu-Ulm ein Zimmer. Seit einem Jahr sind in dem früheren Speicherbau Flüchtlinge untergebracht. Foto: Kaya

    Alafo Nawfal ist glücklich hier zu sein. Er sei vor dem Krieg in seinem Heimatland Irak geflohen. Zu Fuß in die Türkei und von dort als blinder Passagier im Laderaum eines Lastwagens zusammen mit neun weiteren Personen in Richtung Deutschland. Seit Juni 2021 lebt er im Ankerzentrum in Neu-Ulm und wartet darauf, dass über seinen Asylantrag entschieden wird. So wie ihm geht es aktuell 190 anderen Bewohnern des früheren Speichergebäudes aus der NS-Zeit. Auf den Tag genau seit einem Jahr leben dort im Starkfeld Flüchtlinge, ausschließlich alleinreisende junge Männer. Wie ist die Lage in der größten Unterkunft dieser Art im Landkreis

    Nawfal hebt den Daumen. "Ich bin zufrieden. Ich lebe in Sicherheit", sagt er. Viele seiner Freunde seien durch den Krieg im Irak ums Leben gekommen. Er wolle nun eine Ausbildung zum Friseur machen. Das sei sein Traum. Und anschließend wolle er seine Familie von Deutschland aus unterstützen. Zusammen mit zwei weiteren jungen Männern haust Nawfal in einem der vielleicht 20 Quadratmeter großen Zimmer. Sie verstünden sich gut. Eine Flagge ihrer gemeinsamen Heimat Kurdistan hängt am Fenster. Der 19-Jährige ist einer von aktuell insgesamt neun Personen aus dem Ankerzentrum, die in einer Klasse an der Berufschule in Neu-Ulm unterrichtet werden. Es mache ihm Spaß. Er wolle geduldig sein und Deutsch lernen.

    Die Sprache bekommen die Flüchtlinge aber nicht nur in der Berufschule beigebracht. Auch in sogenannten "Erstorientierungskursen" ganz oben unter dem Dach des markanten Baus. "Wir sind froh, dass das wieder möglich ist", sagt Jan Berger, bei der Regierung von Schwaben für die Anker-Einrichtung in Neu-Ulm zuständig. Wie überall hat das Coronavirus auch in der Flüchtlingsunterkunft seine Spuren hinterlassen und den Alltag durcheinandergewirbelt. Gruppenveranstaltungen seien schwierig durchzuführen - und dann nur unter den bekannten 2G- oder 3G-Auflagen. Auf den Gängen und Türen zu den jeweiligen Stockwerken hängen neben den Essenszeiten auch zahlreiche Info-Zettel in den unterschiedlichsten Sprachen zur Maskenpflicht und zur Impfung. Die Quote liege bei ungefähr 40 Prozent, sagt Berger. Ein guter Wert, so der Einrichtungsleiter. Schließlich würden die Menschen im Schnitt nur acht Wochen im Ankerzentrum verbringen.

    Zu Weihnachten gab es 700 Geschenke für die Anker-Bewohner in Neu-Ulm

    Die erschwerten Bedingungen bekommen jedoch auch die ehrenamtlichen Helfer zu spüren. Seit April gibt es mit Anis Balha einen seitens der Regierung von Schwaben bezahlten hauptamtlichen Ehrenamtskoordinator. Der gebürtige Libyer kam 2018 nach Deutschland und versucht nun, etwas Abwechslung in den Alltag der Anker-Bewohner zu bringen.

    Es gibt einen Air-Hockey-Tisch und einen Tischkicker. Überwiegend kirchliche oder gemeinnützige Organisationen bieten unter anderem eine Fahrradwerkstatt, einen Lesetreff, Nachhilfen, aber auch einen Erste-Hilfe-Kurs an. Die freikirchliche Gemeinschaft "Life unlimited" veranstaltete zu Weihnachten ein Baumschmücken. "Das war großartig", sagt Susanne Zwing, eine der Organisatorinnen. Auch wurden über 700 kleinere Geschenke, gefüllt mit Tee, Plätzchen und anderen Süßigkeiten, an die Bewohner verteilt.

    An die Pandemie-bedingten Einschränkungen und Vorgaben hätten sich die Bewohner zwischenzeitlich gewöhnt, meint Berger. Doch das war nicht durchgehend so. Im vergangenen September kam es, wie berichtet, gar zu einer Art "Corona-Revolte" und einem Großeinsatz der Polizei. Um die 30 Streifen rückten an. Die Lage habe sich damals aber schnell wieder entspannt. Wohl auch deshalb, weil die Einrichtung letztmals im Oktober unter Quarantäne stand. Aktuell sei es "extrem ruhig", so Berger.

    Das Ankerzentrum in Neu-Ulm

    Mit Bussen trafen vor einem Jahr die ersten 50 Bewohner ein. Ausgelegt ist die Einrichtung für eine Kapazität von 250 Plätzen. Komplett ausgelastet sei das Ankerzentrum im Herbst schon einmal gewesen.

    Momentan (Stand Montag, 31. Januar) wohnen 191 Personen dort. Der überwiegende Teil der Menschen stammt aus dem Irak (123 Personen), Afghanistan (35) oder der Türkei (23). Die restlichen Bewohner verteilen sich auf verschiedene afrikanische Herkunftsländer. Seit der Inbetriebnahme bis Ende Dezember waren insgesamt 944 junge Männer in Neu-Ulm untergebracht.

    Bevor die jungen Männer nach Neu-Ulm kommen, werden sie in Augsburg registriert und medizinisch untersucht. Neben der verpflichtenden Masern-Impfung wird ihnen auch die Corona-Impfung angeboten. Neben den üblichen Impfmöglichkeiten in Neu-Ulm werden auch regelmäßig Sonderaktionen an der Einrichtung angeboten.

    Im Ankerzentrum in Neu-Ulm bleiben die Asylbewerber durchschnittlich acht Wochen, bis über ihren Asylantrag entschieden wurde. "Anker" steht für "Ankunft, Entscheidung, Rückführung". Die zum Teil umstrittenen Aufnahmestellen sollen für schnellere Entscheidungen in Asylverfahren sorgen.

    Diese Einschätzung teilt unter anderem auch die Polizei. Das Einsatzaufkommen im ersten Jahr wird als "geordnet und unauffällig" beschrieben. Als Grund hierfür werden die Sicherheitsvorkehrungen vor Ort genannt. 24 Security-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter sind tagsüber präsent. Wer hinein möchte, muss sich am Eingang ausweisen. Dort hängt auch eine Liste, was alles verboten ist: neben Waffen, Betäubungsmitteln und Alkohol auch andere Dinge, die womöglich gefährlich werden könnten. So zum Beispiel ein Fön oder ein Verlängerungskabel.

    Polizei muss bei Streitigkeiten im Ankerzentrum "moderierend" eingreifen

    Wie in anderen Wohnanlagen in ähnlicher Größe würden die Beamtinnen und Beamten der Polizei gelegentlich benötigt, um Streitigkeiten und Ruhestörungen zu klären. Hier müsse aber berücksichtigt werden, dass die sanitären Einrichtungen, Küchen und ähnliches durch jeweils mehrere Familien verschiedenster Herkunft genutzt werden. Es müsse also ab und zu moderierend von außen eingegriffen werden. "Oftmals zeigen sich hier lediglich die Sprachbarrieren als eigentlicher Auslöser von Streitigkeiten", teilt ein Sprecher der Polizei mit.

    Auch die Neu-Ulmer Stadtverwaltung berichtet von einer "sicheren" Lage. "Negative Erkenntnisse" würden nicht vorliegen. Es lägen keine Beschwerden seitens Bevölkerung oder Gewerbetreibender vor. Der Filialleiter des Lidl-Marktes nebenan hatte sich einst über Alkoholkonsum beschwert. Nach Angaben der Stadt sei das Problem über die Suchtberatung und durch zwei Kontrollbesuche gelöst worden. Diese hätten die trinkenden Personen angesprochen. Seither gebe es keine Beschwerden mehr.

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