Drei von fünf Männern, die nach einer Rangelei mit Einsatzkräften beim sogenannten "Corona-Spaziergang" am Freitagabend vorläufig festgenommen worden waren, gehören nach Angaben der Polizei der rechten Szene an. Schon im Vorfeld sei beobachtet worden, dass sich Personen mit Schals und Mützen vermummten. Eine Maske, die zumindest in der Ulmer Innenstadt vorgeschrieben war, wollte dagegen nahezu niemand tragen. Die Polizei spricht von einem koordinierten, gewalttätigen Vorgehen - rechnet aber damit, dass die "Spaziergänge" wieder friedlich verlaufen. Neu-Ulms Polizeichef Thomas Merk mahnt eindringlich. Gunter Czisch und Katrin Albsteiger werden deutlich.
In Neu-Ulm ermittelt die Polizei wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte, Körperverletzungsdelikten und Landfriedensbruchs, in Ulm wegen Widerstands gegen polizeiliche Maßnahmen und Beleidigungen. Doch nicht nur auf der Straße gibt es Ärger. In Gruppen im sozialen Netzwerk Telegram, wo sich Gegnerinnen und Gegner der Coronaschutz-Maßnahmen austauschen, kursieren aggressive Nachrichten. In einer ist die Rede davon, vor Privathäusern von Politikern, Lehrern und Gemeinderäten zu marschieren. In einer anderen wird ein "Fackelbesuch" bei Neu-Ulms Oberbürgermeisterin Katrin Albsteiger vorgeschlagen. Die Aufrufe sind der Polizei bekannt. Ein Sprecher des Polizeipräsidiums Schwaben Süd/West in Kempten äußert sich dazu knapp: "Wir werden auch weiterhin alles tun, um die Sicherheit in der Region zu gewährleisten. Natürlich auch die Sicherheit der auf dem Aufruf ausdrücklich genannten Personen und Institutionen." Wenn Telegram-Nachrichten strafbare Tatbestände erfüllten, gehe man dem konsequent nach.
Ulms OB Czisch: Hintermänner der "Spaziergänge" zeigen wahres Gesicht
Welches Gewalt- und Aggressionspotenzial steckt dahinter? Am Montag berichtete Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer, dass sich bereits in der vergangenen Woche etwa 20 bis 30 Menschen vor seinem Haus versammelt und unter anderem "Palmer verrecke" gerufen hätten. "Die Hintermänner und Rattenfänger zeigen ihr wahres Gesicht", kommentiert Ulms OB Czisch die Ausfälle. Die zunehmende Aggressivität und die Provokationen zeugten davon, dass sich diese Menschen gegen die Demokratie wendeten. "Es ist höchste Zeit für diejenigen, die ihr Recht auf Versammlungsfreiheit und freie Meinungsäußerung in Anspruch nehmen wollen, zu erkennen, mit wem sie sich gemein machen. Dass es sich hier nicht um ein Demo-Event handelt, bei dem man seinen Ärger und seinen Frust ablassen kann. Weder 'ich hab's nicht gewusst' noch 'ich habe mit denen nichts zu tun' gilt als Ausrede", findet Czisch.
Seine Neu-Ulmer Amtskollegin Katrin Albsteiger kennt den Beitrag, der sich um den "Fackelbesuch" dreht. Er zeige ein wachsendes Problem. Menschen, die von ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch machten, würden schamlos ausgenutzt. "Diese Menschen werden hier in etwas hineingezogen, das nicht richtig ist und mehr und mehr kriminelle Züge annimmt. Es ist inzwischen so weit gekommen, dass Polizistinnen und Polizisten angegriffen und verletzt werden, deutliche Drohungen ausgesprochen und Gewalttaten angekündigt werden", prangert die CSU-Politikerin an. Sie werde das Demonstrationsrecht auf jeden Fall schützen. "Was ich aber nicht akzeptiere ist, dass hier offensichtlich konzentriert und organisiert Menschen in einen antidemokratischen und verfassungsfeindlichen Strudel hineingezogen werden. Die Einschüchterungstaktik, die gezielt auf politische Entscheidungsträger ausgerichtet ist, ist völlig inakzeptabel."
Ermittlungen nach Gewalt gegen Polizei in Neu-Ulm
Neu-Ulms kommissarischer Polizeichef Thomas Merk kennt Berichte, dass Gruppen aus der rechten Szene schon vor dem Vorfall vom Freitag an "Corona-Spaziergängen" teilgenommen haben. Diese Berichte etwa von der Gruppe "Rechte Umtriebe Ulm" nennen Angehörige der Identitären Bewegung, rechte Hooligans und Mitglieder der AfD. Eine valide Aussage könne seine Inspektion nicht machen, sagt Merk. Bei bis zu 5000 Teilnehmern könne und wolle die Polizei nicht immer jeden und jede einzeln identifizieren. Er mahnt eindringlich: "Die Teilnehmer, die sich selbst so sehr dem bürgerlichen Lager zuordnen, sollten sich Gedanken machen: Sind sie dafür, dass so etwas passiert und dass sie mit solchen Leuten unterwegs sind?" Vorfälle wie der vom Freitagabend ließen Ziele und Botschaften der "Spaziergänge" zweifelhaft erscheinen. Merk erwartet, dass die "Spaziergänge" nun wieder friedlicher verlaufen, weil die Hinterleute der nicht genehmigten Versammlungen vermutlich stärker darauf achten würden.
Am Freitagabend gegen 20 Uhr waren zehn bis 15 Teilnehmer des Protestzugs auf Höhe des früheren Sport Sohn in Neu-Ulm auf die Polizei zugegangen und wollten in die Maximilianstraße einbiegen. Auf Videos ist zu sehen, dass Beamte mit Gesten und einer Megafon-Ansage Anweisungen gaben, zur Augsburger Straße zurückzugehen. "Spaziergänger" versuchten, die Polizeikette zu durchbrechen. Dabei wurden nach Polizeiangaben eine Beamtin und zwei Beamte leicht verletzt. Mithilfe von Unterstützungskräften aus Ulm sei die Auseinandersetzung nach wenigen Minuten beendet gewesen, meldet die Polizei. Videos zeigen Beamte mit erhobenen Einsatzstöcken - man habe deren Einsatz zeitweise angedroht und die Stöcke in Einzelfällen zur Abwehr genutzt, heißt es seitens der Polizei. Sie geht von einem koordinierten Vorgehen durch eine bestimmte Gruppe aus. Beobachtungen zufolge kam der Protestzug während der Rangelei zum Stehen, Sprechchöre waren zu hören. Menschen riefen den Ordnungskräften "Schämt euch!" zu.
Allgemeinverfügung für Neu-Ulm? Landratsamt lässt sich Möglichkeiten offen
Die Beamten identifizierten bislang fünf Verantwortliche und nahmen diese vorläufig fest. Drei davon seien der rechten Szene zuzuordnen, geht aus einer Mitteilung hervor. Sie hätten sich unter die ansonsten friedlich Teilnehmenden gemischt. Schon am Freitagabend hatte Merk angekündigt, dass die Polizei über Konsequenzen nachdenken werde. Am Montag reagierten die Einsatzkräfte mit einer noch einmal deutlich höheren Präsenz. Die Polizei kündigte auch an, abermals nur die etablierte Route freizuhalten. Bei nicht genehmigten Versammlungen dürfe man den Aufzugsweg vorgeben. Teil dieser Route ist der Anfahrtsweg zur Donauklinik. Anfahrtswege für Krankentransporte müssten gewährleistet sein, so die Polizei. Am Freitag war während des "Spaziergangs" mindestens ein Rettungsfahrzeug mit Blaulicht in der Neu-Ulmer Innenstadt unterwegs gewesen – genau dort, wo sich der Protestzug minutenlang entlangwand.
Wird es weitere Konsequenzen geben? Die Neu-Ulmer Polizei stimmt sich nach eigenen Angaben mit dem Landratsamt und dem Polizeipräsidium Ulm ab. Sollte sich die Lage nicht wieder beruhigen, steht der Erlass einer Allgemeinverfügung durch das Landratsamt Neu-Ulm im Raum. Noch in der vergangenen Woche hatte sich die Kreisverwaltung zunächst gegen einen solchen Schritt entschieden und auf den bislang friedlichen Verlauf der Proteste verwiesen. Nähere Aussagen waren am Montag im Landratsamt nicht zu erfahren.