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Neu-Ulm: Literatur unter Bäumen in Neu-Ulm: Bukowskis Draht nach Schwaben

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Literatur unter Bäumen in Neu-Ulm: Bukowskis Draht nach Schwaben

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    Sarah Käsmayr (rechts) und Susanne Neuffer am Schwal.
    Sarah Käsmayr (rechts) und Susanne Neuffer am Schwal. Foto: Guido Gerlach

    Ausgerechnet Charles Bukowski. Dieses literarische Schmuddelkind, der widerborstige Macho und hochverehrte Gossenautor aus den USA, durch dessen Storys sich die Halbwelt hurt, raucht, säuft – er war der erste Star, den einst ein kleiner Verlag aus Schwaben für sich als Autor gewinnen konnte. Dieser Verlag namens Maro bahnte ihm den Weg zum deutschsprachigen Buchmarkt. Und Bukowski blieb nicht die einzige Sensation in 50 Jahren Verlagsgeschichte. Heute stehen zwei Frauen am Donauufer von Neu-Ulm, und erzählen von diesem kleinen Verlagswunder. Die Maro-Chefin Sarah Käsmayr, die Maro-Autorin Susanne Neuffer. Gemeinsam plaudern sie mit dem Moderator Florian L. Arnold – und bestreiten den Auftakt der kleinen, aber feinen Talk-Reihe „Literatur unter Bäumen“ des „Literatursalon Donau“.

    „Beats“ lautet das Motto und im Schatten der Kastanien am Schwal beginnt der Abend zu schwingen: Ferdinand Schlichtig begleitet das Gespräch mit der Gitarre und zaubert einen Soundtrack, der nach „Route 66“ klingt, im Puls der USA der 1960er-Jahre. Als Maro das Licht der Verlagswelt erblickte, war das Jahr 68, das einer ganzen Generation seine Ziffern als raunendes Synonym aufdrückte, kaum vergangen. Sarah Käsmayr erzählt, wie einer der ersten unabhängigen Verlage der Nachkriegszeit entstand: Ihr Vater, Benno Käsmayr, arbeitete als Student in einer Augsburger Druckerei. In einer Dachkammer fand er sein Start-Inventar: „Schreibmaschine, Schneidemaschine, Adressregister.“ So tackerte er nach Feierabend Literatur-Hefte, zog Faltblätter mit Gedichten auf Matrizen ab. Bald besuchte er mit Franz Bermeitinger die „Gegenbuchmesse“ in Frankfurt. „Da entstand die Idee am Biertisch. Sie dachten: Das können wir auch“, erzählt die Tochter. 1969 gründete das Duo also Maro. Ihren Vater nennt Käsmayr einen „Büchermacher“. Er ist dem Verlag treu, bis heute.

    "Literatur unter Bäumen": Talk in Neu-Ulm dreht sich um Charles Buwkoski

    Charles Bukowski verlegen? In Deutschland? „Niemand wagte das“, sagt Sarah Käsmayr – aber Carl Weissner, ein Freund des jungen, eigensinnigen Verlags, hatte den direkten Draht zum US-Rebell. Weissner befand: „Lieber ein Buch in einem kleinen Verlag als gar kein Buch.“ Und so steht er nun seit 1974 im Maro-Programm, der Bukowski-Longseller: „Gedichte, die einer schrieb, bevor er im 8. Stockwerk aus dem Fenster sprang.“ Morbide, verlottert, abgründig, menschlich, oder in Bukowskis Worten: „Scotch, Wein, Bier“ und Frauengeschichten. Kritik erntete er jeher für seinen herben Blick auf Frauen, Drogen, Gewalt. Doch im literarischen Bierdunst und Zigarettenqualm wähnt Käsmayr Tiefe: „Bei aller Inszenierung spürt man bei ihm doch viel Wärme und Traurigkeit.“ Bukowski schrieb für jedermann, für Menschen in Lohnarbeit. Er war Maros Aushängeschild – weitere Entdeckungen folgten: Roadtrip-König Jack Kerouac, Beat-Poet Jörg Fauser.

    Mit 19 Jahren übernahm Sarah Käsmayr kurz die Regie im Familienbetrieb, „als Vertretung, für drei Wochen“, sagt sie – der Verlag ließ sie seither nie wieder los. Kurz nach dem Abitur fiel ihr dann, noch als Lektorin, ein Text in die Hände, ein Werk von Susanne Neuffer. „Bitte hundert Seiten mehr und ein anderes Ende der Story“ – solche Kämpfe mit dem Lektorat habe sie mit Maro nie ausfechten müssen, sagt Neuffer. „Ich bin dankbar für die Geduld des Verlags, meine Entwicklung von der Lyrikerin zur Erzählerin zu begleiten.“ Ihr Erzähl-Band „In diesem Jahr der letzte Gast“ führt unter anderem ins Jahr 2015. „Es gibt so viele gute Menschen in diesen Tagen“, schreibt Neuffer und skizziert dann mit unbestechlichem Blick eine Gemeinschaft von Flüchtlings-Helfern. Am Ende steht die Frage: Wer hilft hier wem – oder nur sich selbst? Neuffer seziert diese Gedanken. Fast loriothafte Szenen blitzen auf, die im nächsten Moment einen Haken schlagen und zu Abgründen führen.

    Zum 50. Geburtstag hat der Verlag ein Traditionsformat neu belebt: Die „Maro-Hefte“ bieten philosophisch-literarische Gedanken zu konkreten Themen. „Und diese Hefte sind auch durchaus politischer Natur“, sagt Käsmayr. Der Verlag folgt seinem Mut zur Rebellion: Seenotretterin Pia Klemp veröffentlicht bei Maro einen Roman über das Sterben im Mittelmeer. „Ich war zuerst schockiert“, erinnert sich die Verlegerin an die Lektüre. Aber: „Das Buch ist sehr, sehr mutig.“

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