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Neu-Ulm: Häusliche Gewalt: „Wir befürchten eine große Welle“

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Häusliche Gewalt: „Wir befürchten eine große Welle“

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    Die Fälle von häuslicher Gewalt gegen Frauen könnten aufgrund der Isolation zu Hause steigen. Es sei wichtig, dass die Frauen wissen, dass es für jede Situation eine Lösung gibt und auch für jede Betroffene eine Unterkunft, sagt die Leiterin des Frauenhauses in Neu-Ulm.
    Die Fälle von häuslicher Gewalt gegen Frauen könnten aufgrund der Isolation zu Hause steigen. Es sei wichtig, dass die Frauen wissen, dass es für jede Situation eine Lösung gibt und auch für jede Betroffene eine Unterkunft, sagt die Leiterin des Frauenhauses in Neu-Ulm.

    Seit einigen Wochen darf man nur in den dringendsten Fällen nach draußen. Da ist manch einer froh um seinen großen Garten oder die Terrasse. Doch für Familien, die in einer engen Zwei-Zimmer-Wohnung leben, kann die Ausgangssperre dramatische Folgen haben. Mit quengelnden Kindern und gestresstem Partner auf engstem Raum auskommen: Da kann es schon einmal lauter werden. Und in den schlimmsten Fällen sogar zu körperlicher Gewalt kommen. Das befürchten auch Politiker, wie kürzlich erst Familienministerin Franziska Giffey. Sie sprach ihre Sorge aus, es drohe eine Überlastung der Frauenhäuser wegen der ansteigenden Fälle von häuslicher Gewalt.

    Große Welle soll nach Kontaktsperre kommen

    Emmy Megler leitet das AWO-Frauenhaus in Neu-Ulm seit mehr als einem Jahrzehnt. Auch sie hat von diesen Befürchtungen gehört, kann sie zum jetzigen Zeitpunkt allerdings nicht bestätigen. „Erstaunlicherweise haben wir noch keinen besonders großen Zulauf in dieser Situation“, sagt Megler. „Wir befürchten allerdings, dass eine größere Welle kommt, wenn die Kontaktsperre aufgehoben wird.“

    Es gibt Gründe, warum sich derzeit nur wenige Frauen melden

    Im vergangenen Monat waren es acht Anfragen von Frauen, im Durchschnitt seien es allerdings 13 Frauen im Monat, die sich an das AWO-Frauenhaus wenden. Megler sieht verschiedene Gründe, warum sich aktuell weniger Betroffene melden. „Zum einen habe ich die Hoffnung in das humanistische Menschenbild nicht verloren und wünsche mir, dass sich die Menschen in dieser Zeit wieder auf das Wesentliche konzentrieren“, sagt Megler. Der ihrer Meinung nach jedoch viel wahrscheinlichere Grund sei, dass viele Frauen glauben, es habe ohnehin alles geschlossen und auch das Frauenhaus habe den Betrieb eingestellt. „Das ist nicht so. Wir sind für die Frauen auf jeden Fall da“, betont die Leiterin.

    Abenteuerliche Wege, um sich zu melden

    Ihre dritte These ist, dass es für manche gerade keine Gelegenheit gebe, zu telefonieren. „Die meisten melden sich nicht von zu Hause aus bei uns, sondern über Freunde oder auch mal vom Arzt aus“, weiß Megler aus Erfahrung. Es werden teilweise ganz abenteuerliche Wege auf sich genommen. „Höchstens ein Drittel der Betroffenen meldet sich aus eigener Initiative und persönlich bei uns.“ Auch Behörden wie die Polizei, das Jugendamt oder der Kindergarten vermitteln oft den Kontakt. „Dass sich im Moment weniger melden, heißt nicht automatisch, dass es weniger Fälle gibt“, sagt die Frauenhaus-Leiterin. Die Sorge sei da, dass die große Welle erst noch komme: „Wenn die Kontaktsperre aufgehoben wird, befürchten wir tatsächlich eine große Welle.“ Deswegen möchte sie betonen, dass es jetzt schon Lösungen gibt und die Mitarbeiter die Betroffenen auf jeden Fall aus ihrem Umfeld rausholen können. Um zu vermeiden, dass die Gewalttäter die Opfer aufsuchen können, werden interne Lösungen und der Ort der Unterkünfte im persönlichen Gespräch mitgeteilt. Das gelte für die Betroffenen aus Neu-Ulm und Günzburg, für Ulm wiederum ist ein anderes Frauenhaus zuständig.

    Polizei sieht keinen Anstieg der Zahlen

    Auch die Leiterin der Polizeiinspektion Neu-Ulm, Michaela Baschwitz, merkt noch keinen großen Anstieg bei den Zahlen der häuslichen Gewalt. „Es ist eher der Eindruck, dass es mehr ist, da andere Straftaten, die beispielsweise in Gaststätten passieren, wegfallen“, sagt Baschwitz. Im Schnitt seien es etwa 30 Fälle im Monat im Landkreis Neu-Ulm. Viele von diesen werden jedoch erst viel später zur Anzeige gebracht. „Die Geschädigten müssen sich meist erst überwinden, überhaupt Anzeige zu erstatten. Das ist ein langer Leidensweg“, sagt die Inspektionsleiterin. Sie erwähnt außerdem, dass auch Männer von häuslicher Gewalt betroffen sein können. Zwar viel seltener als Frauen, dennoch komme es vor.

    Das Team im Haus ist eng zusammengerückt

    Am Telefon kann Megler keine Tipps verraten, wie man sich schützen kann, da sie sonst wirkungslos wären. Allerdings kann sie von der aktuellen Lage im Frauenhaus berichten. Im Haus wohnen derzeit fünf Bewohnerinnen und neun Kinder. Auch dort gelte natürlich das Kontaktverbot nach draußen. „Wir haben die Situation sehr gut gelöst“, erzählt Megler. Dadurch, dass aktuell keine Termine wie Jobcentergespräche anstehen, sei das Team im Haus ganz eng zusammengerückt. Egal ob Ostereier bemalen, Salzteig backen oder ein Kinderkino mit Leinwand – in dieser Zeit entstehen viele tolle Sachen in der Unterkunft. „Die Betreuung ist im Moment viel intensiver als sonst. Die Mütter haben zweimal am Tag auch etwas Zeit ohne Kinder und das tut ihnen sehr gut“, sagt die Leiterin. Das Team würde derzeit intensive Integrationsarbeit leisten. Trotz der Situation sei dies eine gute Sache, die die Isolation mit sich bringe.

    Betroffene aus den Landkreisen Neu-Ulm und dem Landkreis Günzburg können sich von Montag bis Freitag zwischen 8.30 und 15 Uhr beim Frauenhaus unter Telefon 0731/71809838 melden. Das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ erreicht man unter Telefon 08000/1160616. In dringenden Fällen soll der Polizeinotruf 110 angerufen werden.

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