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Neu-Ulm: Giora Feidman vereint in Neu-Ulm mit Musik die Welt

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Giora Feidman vereint in Neu-Ulm mit Musik die Welt

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    Giora Feidman (Mitte) verband in Neu-Ulm Klezmer mit ganz anderen Klängen. Mit ihm musizierten unter anderem der in Ulm aufgewachsene Murat Coskun (links) und Andre Tsirlin.
    Giora Feidman (Mitte) verband in Neu-Ulm Klezmer mit ganz anderen Klängen. Mit ihm musizierten unter anderem der in Ulm aufgewachsene Murat Coskun (links) und Andre Tsirlin. Foto: Felix Oechsler

    Auf leisen Sohlen geht Giora Feidman durch die Reihen des Publikums, fast unhörbar sind die ersten Töne. Während er sich auf die Bühne zubewegt, steigern sich Tempo und Lautstärke langsam, sodass der „Wedding Dance“ losgehen kann, sobald der Klezmer-Meister die Bühne erreicht hat. Und dort wartet das neue Sextett der Klarinettenlegende, Gürkan Balkan (Gitarre und Oud), Muhittin Kemal Temel (türkische Zither), Murat Coskun (Trommeln), Hila Ofek (Harfe) und Andre Tsirlin (Saxofon). „Eine Hälfte Muslim, eine Hälfte Juden“ erklärt Feidman die Zusammensetzung. Das Publikum begreift sehr schnell, dass in der Musik und auf der Bühne etwas gelingen kann, was in der Politik unvereinbar scheint. Traumwandlerisch musizieren die Musiker miteinander, verbinden Klezmer mit arabischer Musik zu einem mitreißenden Ganzen, das doch niemals seine Identität aufgibt oder gar in glatt geschliffene Beliebigkeit ausartet.

    Jedes Mitglied von Giora Feidmans Sextett bringt eigene Kompositionen ein

    Es ist eine Freude zu sehen und zu hören, wie achtsam und respektvoll sich die Musiker mit ihrem jeweiligen Stil ins musikalische Gesamtwerk einfügen, wie sie sensibel aufeinander reagieren. Dass fast jedes Ensemblemitglied eigene Kompositionen einbringt, macht die an sich schon reizvolle Klangerfahrung noch reicher: von lebensfroher Munterkeit bis hin zu Schwermut, von tradierten Melodien über eine von Piazzolla geliehene Passage hin zu den klangschönen Einfällen der Musiker, etwa das unheimlich tänzerische „Bishvili“ Andre Tsirlins.

    Natürlich darf der Saxofonvirtuose hier seine ganze Kunst ausspielen und zaubert mit seinen einfallsreichen Volten und seiner stupenden Spielkunst auch dem Altmeister Feidman ein bewunderndes Lächeln ins Gesicht. Aber auch die Kompositionen des in Ulm aufgewachsenen Murat Coskun bleiben lange im Gedächtnis, etwa „The Caress“ oder auch das Solo „Aglama! (Don’t Cry!)“, worin Coskun die Klang-Möglichkeiten seiner Instrumente aufs Äußerste ausreizt – da klingt eine Trommel sogar wie ein Streichinstrument, wenn er sie mit dem Fingernagel bearbeitet. Und in passender Zurückhaltung und zarter Klangkultur begeistert das fast 2000 Jahre alte „Avinu Malkeinu“ („Unser Vater, Unser König“), das man als Gebet zu Jom Kippur singt. Ein weiterer Höhepunkt: „Asturias“ von Isaac Albéniz mit Hila Ofek als Solistin an der Harfe.

    Zum Ensemble gehören auch seine Enkeltochter und sein Schwiegersohn

    Giora Feidman lässt seinen jungen Kollegen viel Raum zur Entfaltung. Er muss nichts mehr beweisen, sondern versteht seine variierenden Ensembles auch als Sprungbrett für die nachfolgende Musikergeneration: Die ausgezeichnete Harfenistin Hila Ofek ist Feidmans Enkeltochter und Andre Tsirlin sein Schwiegersohn. Und dankbar durfte man auch sein, solche herausragenden Musiker wie Gürkan Balkan und Muhittin Kemal Temel kennenzulernen; letzterer entlockte seiner türkischen Zither eine so unglaubliche Bandbreite an Stimmungen in teilweise aberwitzigem Tempo, dass man nur staunen konnte.

    Als es den Begriff der „Weltmusik“ noch gar nicht gab, war der heute 83-jährige Feidman schon an der Verbindung des Klezmer mit anderen Stilen interessiert. In seinen Ensembles scharte er Künstler aller Religionen, Generationen und Genres um sich. Auch „Klezmer For Peace“ ist aus dem Gedanken eines ganzheitlichen Mosaiks entstanden, das verbindet und nicht trennt. Wo sich politisch und gesellschaftlich neue Gräben auftun, verbindet Feidman. Musik im Dienste von Frieden und Völkerverständigung mit Klassik- und Folk-Tupfern, mit „Nobody knows the trouble I’ve seen“ gibt es sogar einen geklezmerten Ausflug in den Spiritual.

    Ein grandioses Konzert, in jedem Augenblick ebenso kraftvoll wie mystisch, von einer einmaligen Aura.

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