Wie lässt sich so ein Jahrzehnt zusammenfassen? Zehn Jahre Kunst, Musik und Literatur in einer Stadt – also das gesamte Kulturleben? Genau darum hat sich jetzt die Kulturabteilung der Stadt Neu-Ulm bemüht. Der „Kulturbericht 2009-2019“ beschreibt das Jahrzehnt auf fast 120 Seiten. Mit dieser Bilanz blickt die Stadt in den Spiegel: Da wird sichtbar, wie sich Neu-Ulm als Kulturstandort verändert hat – und wohin die Stadtkultur in die Zukunft steuern will. Es ist ein Überblick, ein Panorama – nicht zuletzt auch für die neuen Mitglieder des Kulturausschusses. Das Gremium hat sich jetzt mit dem Bericht befasst.
Albsteiger sieht in Neu-Ulm Potenzial für Kultur jenseits des Mainstreams
„Neu-Ulm hat Potenzial für nicht alltägliche Formate“, findet Oberbürgermeisterin Katrin Albsteiger. Das bedeutet: Mut zum Experiment, zum Kleinen und Einzigartigen. Ganz ähnlich sieht das Ralph Seiffert, Kultur-Dezernent der Stadt: „Wir in Neu-Ulm leben Kunst und Kultur auch ganz gezielt in Nischen.“ Neu-Ulm müsse keine „künstliche Konkurrenz“ erzeugen, gegen die Kultur von nebenan, im großen Ulm.
Blickt man nur auf die blanken Zahlen, hat sich in zehn Jahren nicht viel verändert: 2009 hatte das Kulturbudget einen Anteil von 3,9 Prozent am gesamten Stadthaushalts. Und 2019? 3,8 Prozent. Kultur bleibt ein relativ kleiner Posten im Etat. Und: „Gerade in finanziell schwierigen Zeiten wird dieser Bereich immer gerne als einer der ersten herangezogen, wenn es um das Thema Kürzungen geht“, bemerkt Albsteiger durchaus kritisch. Für Seiffert ist „gelebte, sichtbare und vor allem erlebbare Kultur“ Grundbedürfnis und Standortfaktor einer Stadt.
Der Wiley-Park und der Schwal könnten erneuert und ausgebaut werden
Der Bericht listet sie auf, die Glanzlichter der vergangenen Jahre: Im Wiley-Park spielten die Toten Hosen, Bryan Adams und 2021 wird – nachdem er die Fans gleich zweimal vertrösten musste – wohl der Weltstar Sting auftreten. Damit solche Events weiter stattfinden können, setzt der Bericht auf die Agenda, die Infrastruktur des Wiley weiter auszubauen – als Marke für Neu-Ulm. Auch der Schwal hat wohl Zukunft: Die Donauinsel „sollte nicht nur jeweils zum Schwörwochenende bespielt werden“, vielleicht „mit einer eigenen Veranstaltungsreihe“.
Das Internationale Donaufest ist seit 20 Jahren ein Erfolgsprojekt, das Hunderttausende in die Doppelstadt geführt hat. Für die Kulturabteilung ist das „Bekräftigung und Ansporn“, das Fest weiter zu entwickeln und sein Profil zu schärfen, als Signal für die gemeinsame Zukunft Europas.
Ein kulturelles Prestigestück der Stadt: das Edwin-Scharff-Museum. Seit 1997 leitet Helga Gutbrod als Direktorin das Haus. Es ist seither in vielen Bereichen aufgeblüht und gewachsen, als einzigartige Kulturstätte, die Kunst- und Kindermuseum vereint. Das Museum ist das Kernstück der städtischen Sammlungen, Musterbeispiel für Inklusion, deutschlandweit vernetzt und bekannt, mit jährlich rund 35000 Besuchern. Viel Glanz. Dabei wirft das ESM auch Schatten: Die Kunst-Vermittlung gelingt – doch es bleiben Baustellen. Das Museum hat noch keinen eignen Auftritt in den Sozialen Medien. Weite Teile der städtischen Sammlung warten noch auf eine gründliche Erfassung, dafür mangelt es aber an Depot-Räumen.
Vielleicht steigt die Stadt Neu-Ulm aus der Kulturnacht aus
Ein Knackpunkt im Kulturkalender ist die gemeinsame Kulturnacht von Ulm und Neu-Ulm – dieses Jahr findet sie am 19. September statt. Der Kontrast scheint, laut Bericht, zu groß: In Ulm brummt in der Kulturnacht das Leben in allen Gassen, zwischen den Kulturinstitutionen, die dicht beieinanderliegen. Und in Neu-Ulm? Bleiben die Straßen fast leer. Die Kulturabteilung habe versucht, die Wege zwischen den Events zu verkürzen – erfolglos; auch wenn die Kulturstätten selbst gut besucht waren. Ein Ende zeichnet sich ab. Seiffert deutet an, dass sich die Stadt vielleicht ganz aus der Kulturnacht zurückziehen wird – um ein anderes Format zu entwickeln. Konkrete Konzepte gibt es aber noch nicht.
In zehn Jahren entstanden neue Feste, Experimente, Ideen – einige verschwanden. Regionale Festivals auf dem Flussmeisterei-Gelände, „Strandgut“ und „Kulturgut“, sind seit 2012 Geschichte. Diese Feste, die teilweise 20000 Besucher anzogen, sind aus dem Programm der Stadt verschwunden. Ersatzlos. Man habe keinen neuen Platz für die Feste gefunden, heißt es im Bericht. Dasselbe Schicksal blüht jetzt den Künstlern, die im alten LEW-Gebäude Raum gefunden hatten: Die Miet-Verträge für die Kunst-Ateliers sind laut Bericht schon gekündigt – der Bau wird abgerissen. Ein Verlust für die freie Kunstszene.
Die Coronakrise hat die Neu-Ulmer Kultur getroffen
In eine unklare Zukunft blickt, laut Bericht, auch das Theater Neu-Ulm. Der Spielraum ist geschrumpft, seit Claudia Riese und Heinz Koch 2012 mit ihrer Bühne vom „Konzertsaal“ an den Petrusplatz ziehen mussten. Der Spielbetrieb läuft nach einer Coronapause seit Juni weiter – vor noch kleinerem Publikum. Die Nische, auf die Neu-Ulm stolz ist, hat Corona getroffen. „Kultur im Museumshof“ und „Kultur auf der Straße“ fallen 2020 aus, „Literatur unter Bäumen“ schwebt im Ungewissen. Hoffnung bringt „Kultur in der Caponniere“: Die Caponniere 4 wurde 2008 renoviert und bietet seither eine Bühne für Jazz und Kunst. Auch in diesem virusgeplagten Jahr organisiert die Stadt das Fest: Am 12. Juli startet die Konzert-Reihe.
Klein, aber fein – „Nische“ eben: Die Putte hat sich in der Kulturlandschaft etabliert, als Raum für Kreatives, Außerordentliches, abseits des Mainstreams, genauso wie die renommierte „Walther Collection“ in Burlafingen, die gerade eine längere Pause einlegt. Und der Bericht blickt auch auf traditionelle Konstanten: 45 Kultur- und Brauchtumsvereine, Chorgemeinschaften, Bürgertreffs, Kunstvereine, Musikkapellen. Für die Musikschule pocht Seiffert auf ein nachhaltiges Zukunftskonzept.
In dieser „kulturarmen Zeit“, so beschreibt es Seiffert, bleibt vieles im Trüben. Zur Klausur und Grundsatzdebatte will sich der Ausschuss im Frühjahr 2021 treffen, um den Kurs abzustecken für das Kulturleben in Neu-Ulm.
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