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Neu-Ulm: Ärztin aus Neu-Ulm in Kenia: Wenn ein Dollar über Leben oder Tod entscheidet

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Ärztin aus Neu-Ulm in Kenia: Wenn ein Dollar über Leben oder Tod entscheidet

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    Die Neu-Ulmer Ärztin Dr. Dagmar Dodier behandelte im größten Slum der  kenianischen Hauptstadt Nairobi sechs Wochen lang als German Doctor Patienten.
    Die Neu-Ulmer Ärztin Dr. Dagmar Dodier behandelte im größten Slum der kenianischen Hauptstadt Nairobi sechs Wochen lang als German Doctor Patienten. Foto: Sammlung Dodier

    Dagmar Dodier wirkt recht entspannt, als sie in einem Neu-Ulmer Café von einem 13-jährigen Mädchen erzählt, das sie in Matare, dem größten Slum der kenianischen Hauptstadt Nairobi behandelt hat, aber man spürt, wie ihr das Ereignis wie viele andere Erlebnisse, die sie während ihres sechswöchigen Arbeitsaufenthalts in diesem ostafrikanischen Land hatte, unter die Haut ging und noch geht.

    Beschäftigt ist sie an der Neurologie des RKU Ulm

    „Das Mädchen hatte Tuberkulose im Knie“, berichtet Dodier, „aber ihre Familie hat abgelehnt, dass es in die Klinik kommt. Es hätte sie einen Eigenanteil von einem Dollar gekostet, aber den konnte sich die Familie nicht leisten, ja nicht einmal die deutlich niedrigere Ausleihgebühr für Krücken. Das Mädchen konnte nur auf einem Bein hüpfen. Das war sehr schlimm.“

    Dodier aus Neu-Ulm ist nach ihrer Ausbildung zur Psychiaterin in Günzburg und eineinhalbjähriger Arbeit in einer privaten Praxis nun seit zwei Jahren in der Neurologie des RKU Ulm beschäftigt und gehört der unabhängigen Hilfsorganisation German Doctors mit Sitz in Bonn an. Die 41-Jährige, die sich schon 2018 einen Monat lang selbstorganisiert um junge, chronisch und psychisch Kranke in einem Township im südafrikanischen Kapstadt gekümmert hatte, braucht noch ein Jahr, bis sie ihre Ausbildung zur Fachärztin im Bereich Neurologie abgeschlossen hat. In Kenia war sie nicht als Fachärztin im Einsatz, sondern um medizinische Basisversorgung bei den Ärmsten der Armen zu leisten. Sie hat dafür ihren kompletten Jahresurlaub geopfert – und es kein bisschen bereut.

    German Doctors sind auch auf den Philippinen aktiv

    „Die German Doctors unterhalten in Kenia drei Ambulanzen, dazu welche in Indien, Bangladesch und auf den Philippinen“, weiß Dodier. „Dazu läuft ein Programm in Griechenland und die Organisation hat ein Rettungsschiff im Mittelmeer, um Menschen, die zu ertrinken drohen, zu versorgen. In Kenia gibt es 60 Mitarbeiter, davon sind vier Deutsche, der Rest ist in kenianischer Hand.“ Die Neu-Ulmer Ärztin war zunächst für einen anderen Slum eingeplant. Nach der Hälfte ihrer Zeit ging sie aber nach Nairobi, weil dort gerade ein Ärztemangel herrschte. „Es gibt mehrere Slums dort“, erzählt Dr. Dodier, „ich war im größten, in dem eine halbe Million Menschen lebt. Das ist unvorstellbar.“ Doch die Medizinerin kam schnell mit den Verhältnissen klar: „Ich habe mich dort immer wohl und nie bedroht gefühlt. Die Kenianer sind sehr freundlich und hilfsbereit – auch in den Slums. Nur in Bereiche, in denen es viele Drogenabhängige gibt, sollte man möglichst nicht gehen. Aber wir sind nie alleine gelaufen und waren auch als German Doctors gekennzeichnet.“

    Die Neu-Ulmer Ärztin Dr. Dagmar Dodier, hier nach ihrer Rückkehr in einem Neu-Ulmer Café, betreute sechs Wochen lang Patienten im größten Slum der kenianischen Hauptstadt Nairobi.
    Die Neu-Ulmer Ärztin Dr. Dagmar Dodier, hier nach ihrer Rückkehr in einem Neu-Ulmer Café, betreute sechs Wochen lang Patienten im größten Slum der kenianischen Hauptstadt Nairobi. Foto: Stefan Kuemmritz

    An den Arbeitstagen sei sie von Montag bis Freitag immer um 7.30 Uhr abgeholt und in ihre winzige und nur spärlich ausgestattete Praxis ohne die Möglichkeit zu röntgen oder EEG und EKGs zu machen gebracht worden, berichtet die Neu-Ulmerin. Bis 16.30 Uhr habe sie in der Regel die Patienten behandelt, die ohne Anmeldung kamen. Wenn sie kamen, denn viele Menschen würden sich dort scheuen, einen Arzt aufzusuchen oder müssten daheim in ihren stockdunklen Wellblechhütten ohne festen Boden besucht werden, in denen es weder Strom noch Wasser gibt.

    „Ich alleine hatte am Tag im Schnitt 40 Patienten zu behandeln“, sagt Dodier. „Die einheimischen Ärzte behandelten noch mehr, weil sie keine Übersetzer brauchten und so schneller mit den einzelnen Patienten fertig wurden. Bei uns Deutschen ging das vom Suaheli ins Englische. Bei der Übersetzung ging oft etwas verloren.“ Womit die Krankheitsdiagnose mitunter schwierig war.

    „Ich habe viel Schamgefühl erlebt“, sagt die Medizinerin. „Schwangerschaften, speziell bei Jugendlichen, sexuell übertragbare Krankheiten etwa wurden oft verschwiegen.“ Viel hatte sie mit HIV-Erkrankten zu tun, mit unterernährten Kindern, mit Lungenkrankheiten, vor allem aber mit Hauterkrankungen, Rückenproblemen oder Kopf-, Rücken- und Bauchschmerzen, „die gesamte Bandbreite eben“, so Dodier. Die Versorgung durch die German Doctors sei eminent wichtig, denn die Menschen in den Slums können sich keine Krankenversicherung leisten und erst recht keinen Klinikaufenthalt, bei dem sie einen Beitrag selbst leisten müssen, und wenn er noch so winzig ist.

    „Der Staat hilft wenig“, weiß Dodier. Was gut funktioniere, so sagt sie, sei ein Ernährungsprogramm für Kinder. Es gebe zwar nur eine Mahlzeit am Tag und immer das gleiche wie Reis und einen Eintopf aus Linsen oder Bohnen ohne Fleisch, aber es sei nahrhaft.

    Ärztin aus Neu-Ulm über das Leben in den Slums

    Ihre Erfahrungen im Slum beschreibt Dodier als „schlimm schön“. Das Elend, das sie erlebte, war „kaum auszuhalten, und das nicht auf dem Land, sondern in der Hauptstadt“, aber „pragmatisch helfen zu können“, darüber war sie „sehr froh“. Auch, dass sie etwas vom Land und den Leuten gesehen hat, nicht nur im Slum. „Ich habe 40 Minuten von der Ambulanz entfernt zusammen mit drei anderen deutschen Ärzten gewohnt, man war nicht alleine“, so die 41-Jährige.

    „Ich habe auch Ausflüge gemacht, war auf Safari und in Nationalparks. Im Slum war beeindruckend, wie viel Leben dort auf den Wegen ist. Da wird überall gekocht, gegessen und gespielt.“ Das ist aber nicht der Grund, warum Dagmar Dodier nach etwas Pause wieder als German Doctor für sechs Wochen ins Ausland, wohin auch immer, gehen will. „Ich möchte helfen“, so die Ärztin, „und zwar dort, wo ich gebraucht werde.“

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