Vermutlich niemand mag zurückdenken an die Zeit, als man an Festen wie Ostern nicht einmal mit seiner ganzen Familie zusammenkommen durfte. Doch so war das noch vor einigen Monaten. Wegen Corona. Inzwischen sind die Regelungen und die damit verbundenen Einschränkungen aus dem Alltag verschwunden. Das Virus aber offensichtlich nicht. So mancher hat im näheren Bekanntenkreis wieder öfter zu hören bekommen: "Ich hab' Corona." Wie ist also die aktuelle Lage? Ein Blick in die Praxen, Behörden, Krankenhäuser und Kläranlagen der Region.
Im Klärwerk Steinhäule, zwischen dem Neu-Ulmer Stadtteil Pfuhl und der Donau gelegen, werden täglich bis zu 225.000 Kubikmeter Wasser gereinigt. Etwa je die Hälfte stammt aus Haushalten sowie aus Industrie und Gewerbe. Tonnenweise Fett, Sand und Asche fallen an. Die Ingenieure können aber auch winzige Stoffe wie Arzneimittelrückstände nachweisen, etwa Diclofenac oder Paracetamol. Aber auch Bestandteile von Coronaviren. Es war zu Hochzeiten der Pandemie eine Art Frühwarnsystem. Die Werte dort spiegelten sich immer erst später auf dem Dashboard des Robert-Koch-Instituts wider.
Corona: Klärwerk in Neu-Ulm verzeichnet bayernweit höchsten Anstieg bei Virenlast
Zum Zweckverband des Klärwerks gehören die Städte Ulm, Neu-Ulm, Senden, Blaubeuren und Blaustein sowie die Gemeinden Berghülen, Dornstadt, Illerkirchberg, Illerrieden, Merklingen, Schnürpflingen und Staig. Die aktuelle Virenlast lässt sich online abrufen. Seit der letzten Messung vor etwa zehn Tagen ist demnach im Raum Neu-Ulm die Konzentration um 85 Prozent gestiegen. Bayernweit ist das mit Abstand der höchste Wert. Piding, eine Gemeinde im Berchtesgadener Land, liegt mit 57 Prozent auf Rang zwei. Hier war die letzte Messung am Dienstag. In Augsburg sind es 19, in München 37 Prozent.
Laut Erwin Schäfer, dem Betriebsleiter des Klärwerks, ist der für Neu-Ulm angegebene Wert aber etwas zu hoch. Als Gründe hierfür nennt er den Wechsel des Labors, das mit etwas anderen Methoden zu einem anderen Ergebnis kommt. Sowie das derzeitige Niedrigwasser der Donau aufgrund der Arbeiten an der Gänstorbrücke. Denn, wenn die Donau einen normalen Pegel hat, also aufgestaut ist, drücke es immer wieder Wasser in die Abwasserkanäle. Das fehle jetzt. Und somit sei die Konzentration der Viren nun etwas höher. Diese Faktoren abgezogen, blieben laut Schäfer noch etwa 60 Prozent. Das sei zwar immer noch viel. Ein vergleichbares Hoch habe es zuletzt vergangenes Weihnachten gegeben. Zu den Spitzenzeiten der Corona-Pandemie seien die Werte aber doppelt so hoch gewesen.
Neu-Ulmer Hausarzt: "Wir werden überrannt mit Infektionskrankheiten"
Wie wirkt sich das auf die Hausärzte und Krankenhäuser aus? Stefan Thamasett, Allgemeinmediziner mit einer Praxis in Offenhausen und der Sprecher seiner Zunft im Kreis Neu-Ulm, sagt: "Wir tun uns schwer mit der Einordnung, ob es ein Infekt oder Corona ist, weil wir nicht mehr testen. Aber wir werden überrannt mit Infektionskrankheiten." Und das seit etwa ein oder zwei Wochen. Normal für diese Jahreszeit sei das nicht. "Viel zu früh." Es lasse sich aber auch nicht sagen, ob es insgesamt mehr ist oder sich das Verhalten der Patientinnen und Patienten verändert hat. Vor Corona seien die Menschen mit Rotznase zur Arbeit. "Das tut keiner mehr." Die wenigsten, die bei ihm aufschlagen, hätten die Option auf Homeoffice. Die Empfindlichkeit sei deutlich höher geworden. Dass jemand sage, die Krankschreibung bitte bis Mittwoch und dann wieder zur Arbeit – "das hören Sie jetzt nicht mehr".
In Sachen Corona-Impfungen nervt den Hausarzt der "sehr große Aufwand". Mit Patientinnen und Patienten müssten Termine vereinbart und die Vials – also die kleinen Fläschchen mit dem Vakzin – immer vorab bestellt werden. Und erst, wenn sich sechs Personen gefunden hätten, werde geimpft. Anschließend müsse alles getrennt dokumentiert werden. Dabei habe die Politik versprochen, es werde so einfach wie die Grippe-Impfung. "Ein weiteres Mal wurde ein Versprechen nicht gehalten", sagt Thamasett. Zwar kämen Menschen zur Impfung. Es herrsche aber durchaus eine "Impfmüdigkeit". Er empfiehlt vor allem, sich gegen Grippe immunisieren zu lassen. Experten rechnen mit einer "großen, heftigen Welle".
Corona: Lage an den Kliniken in Ulm und dem Kreis Neu-Ulm gilt als "noch entspannt"
An den Kliniken der Kreisspitalstiftung Weißenhorn gilt die Lage als "derzeit noch entspannt". Auch über die vergangenen Wochen gesehen wird die Situation als "stabil" beschrieben. Ein Anstieg von Covid-Infektionen sei nicht zu verzeichnen. Zwei Patienten werden aktuell mit einer zusätzlichen Corona-Erkrankung behandelt. Der Verlauf sei unter anderem von den Vorerkrankungen der Personen abhängig. Detailliertere Aussagen dazu seien aber nicht möglich, die Fallzahlen seien zu gering. Im Klinikalltag spiele Corona nur eine untergeordnete Rolle, auch auf die Arbeit auf den Stationen seien die Auswirkungen gering. Spezielle Schutzmaßnahmen gebe es nicht. Besucherinnen und Besucher mit Erkältungssymptomen dürfen jedoch keine Patientinnen und Patienten besuchen.
Ähnlich am Universitätsklinikum Ulm. Auch hier werden Gäste mit einer Virusinfektion nicht zugelassen. Wer Anzeichen hat, dem wird von einem Besuch abgeraten. Eine generelle Maskenpflicht gebe es nicht. Beim Kontakt mit Patientinnen und Patienten wird es dem Personal jedoch "nachdrücklich empfohlen". Sind Viren im Spiel oder liegen entsprechende Symptome vor, muss eine FFP2-Maske oder ein Mund-Nasen-Schutz her. Mitarbeitende sind dazu aufgerufen, das Angebot der Corona- und Grippeschutzimpfung wahrzunehmen.
Wegen Corona überfordert: Im Neu-Ulmer Gesundheitsamt ist wieder der Alltag eingekehrt
Die Zahl der Patientinnen und Patienten, die an der Uniklinik positiv auf das Coronavirus getestet wurden, ist in den vergangenen Wochen leicht angestiegen, heißt es. Stand Donnerstag wurden zwölf Personen stationär betreut, einige davon seien jedoch bereits seit längerer Zeit positiv und werden aufgrund einer anderen Erkrankung behandelt. Eine der zwölf Personen liege in stabilem Zustand auf der Intensivstation. Zwar steige beim Personal die Zahl der Covid-Infektionen, die Versorgung sei aber sichergestellt.
Im zeitweise überforderten Neu-Ulmer Gesundheitsamt ist zwischenzeitlich wieder "Alltag" eingekehrt. Etwa 20 Beschäftigte gehören dort zum Stammpersonal. Zur Hochzeit waren es um die 50 Kräfte mehr, dazu noch Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr. Zahlen werden nach wie vor dokumentiert. 321 "Corona-Tote" gab es seit Pandemiebeginn. Seit Anfang September wurden 60 Infektionen gemeldet. Am Donnerstag lag die Inzidenz bei 11,5. Aufgeführt sind hier aber nur die von den Laboren gemeldeten Krankheitsnachweise. Wie Thamasett teilt auch die Kreisverwaltung mit, dass nicht alle, die an Erkältungssymptomen leiden, eine Diagnose in Anspruch nehmen. Seit Anfang April gibt es keine bundesrechtlichen Regelungen mehr. Für aktuelle oder künftige Maßnahmen wäre zunächst das bayerische Gesundheitsamt zuständig. Bislang aber seien keine geplanten Maßnahmen mitgeteilt worden.