Die alte Dame tat sich sichtlich schwer. Lange hatte Frau Engler mit sich gerungen, ob sie in aller Öffentlichkeit erzählen sollte, wie sie auf einen Telefonbetrüger reingefallen war, der sich als Polizist ausgegeben hatte. „Ich schäme mich, dass ich so dumm und so blöd war, dass ich das geglaubt habe“, sagt sie schließlich. Immerhin hat sie 20.000 Euro an eine skrupellose Gaunerbande verloren. Das Geld ist weg, doch zumindest einer der Täter ist erwischt worden – dank der Mithilfe von Frau Engler. Damit andere Menschen erfahren, wie es jemandem ergehen kann, sitzt sie nun in einem Besprechungsraum der Memminger Polizei und erzählt von ihrem Fall. Sie will andere warnen – und das ist bitter nötig: Die Zahl der Betrugsversuche mit der Masche „falscher Polizist“ nimmt drastisch zu. Und die echte Polizei macht sich große Sorgen.
Es meldete sich ein angeblicher Hauptkommissar
Frau Engler, die eigentlich ganz anders heißt, lebt im Landkreis Neu-Ulm. Vergangenes Jahr meldete sich bei ihr ein angeblicher Hauptkommissar aus Stuttgart, um ihr eine gute und eine schlechte Nachricht zu überbringen. Die gute: Frau Engler habe in einem Preisausschreiben gewonnen und dürfe sich über 49.000 Euro freuen, die allerdings in der Türkei liegen und für die zunächst einmal einige Tausend Euro an Zoll zu zahlen seien. Die schlechte Nachrichte: Eine Betrügerbande habe es auf das Preisgeld abgesehen, weshalb die Polizei jetzt ermittle. Die glückliche Gewinnerin könne aber den Fahndern helfen, die Gauner dingfest zu machen, wenn sie alle Anweisungen befolge.
Wie Frau Engler berichtet, sollte sie zunächst einen Ulmer Asia-Laden aufsuchen, der die Auslandsüberweisung übernehme. Doch im Geschäft schöpften sie sofort Verdacht und schickten die Frau zur Polizei. Dorthin ging sie nicht, dafür meldete sich erneut der „Hauptkommissar“. Er erklärte ihr, jemand werde das Geld abholen. „Und dann kam am nächsten Tag ein Auto mit Böblinger Nummer.“ Die erste Tranche in Höhe von 6000 Euro wurde eingesackt. Der Polizist bekam in den nächsten Wochen drei weitere Zahlungen, denn angeblich habe sich die Gewinnsumme in der Zwischenzeit auf über 100.000 Euro erhöht.
Ein Bankmitarbeiter schöpfte Verdacht
Dann aber schöpfte ein Bankmitarbeiter wegen der Abhebungen Verdacht, informierte die erwachsene Tochter der Rentnerin. Nach einem Gespräch mit der Mutter gingen beide zur Kriminalpolizei nach Neu-Ulm. Dort hatten die Beamten Glück, wie Chefermittler Jürgen Salzmann berichtet, denn in diesem Moment rief der Betrüger wieder an, die Polizei konnte mithören. Es wurde eine Geldübergabe im Raum Böblingen vereinbart. Dort klickten dann die Handschellen. Der angebliche Hauptkommissar aus Stuttgart ist mittlerweile bereits zu einer Haftstrafe verurteilt. Die bittere Pointe: Er selbst war einst Opfer von Telefonbetrügern und wurde von ihnen angeheuert, als Geldabholer zu arbeiten.
Der Fall wirft ein Schlaglicht auf die Methoden der Callcenter-Betrüger. Sie gehen nach den Erkenntnissen der Ermittler sehr schlau und gut präpariert vor. Die Masche ist immer ähnlich: Ein vermeintlicher Polizist meldet sich per Telefon und behauptet, in der Nähe sei ein Einbrecher festgenommen worden, in dessen Notizbuch die Adresse des Angerufenen gefunden worden sei. Er sei das nächste Opfer. Deshalb sollten alle Wertgegenstände und alles Bargeld an einen Polizisten übergeben werden, der das Ganze sicher aufbewahrt.
Täter sitzen meist in der Türkei
Nach den Worten von Polizeipräsident Werner Strößner operieren die Täter meist von der Türkei, aber auch von Schweden und Polen aus, rufen gezielt kurze Telefonnummern an. Warum? Die Täter können davon ausgehen, dass jemand dann schon lange an einem Ort wohnt und entsprechend alt ist. Außerdem werde nach Vornamen gefahndet, wie sie in den 20er- und 30er-Jahren beliebt waren, schließlich versuchen die Täter, alte Menschen übers Ohr zu hauen, die sich leichter verunsichern lassen und noch eher autoritätsgläubig sind. Sie werden mehrmals täglich mit Anrufen und Anweisungen bombardiert. Stets drängen die falschen Polizisten auf absolute Geheimhaltung.
So wie im Fall von Frau Engler, der ständig eingeschärft wurde, niemandem etwas zu sagen, um die verdeckte Ermittlung nicht zu gefährden. Jürgen Salzmann findet das Vorgehen der Täter in diesem Fall besonders perfide, denn einerseits habe der Anrufer mit viel Geld gelockt, andererseits habe er in Aussicht gestellt, die alte Dame würde der Polizei einen wertvollen Dienst leisten. Das hat sie dann ja auch – allerdings anders, als beabsichtigt.
Zahl der Fälle nimmt drastisch zu
Wie aus der Statistik hervorgeht, die Strößner präsentierte, haben die Fälle drastisch zugenommen. Waren es 2017 nur 243 Anrufe, die im Bereich des Polizeipräsidiums Kempten angezeigt wurden, schnellte die Zahl im Jahr 2018 auf 1340 hoch. Im ersten Halbjahr 2019 wurden 567 Anrufe gemeldet. Zwar fallen die Angerufenen nur in den wenigsten Fällen auf die Tricks herein, aber wenn, dann wird es für die Betroffenen sehr bitter. Teilweise erbeuteten Betrüger bei einzelnen Opfern bis zu 200000 Euro. Besonders aktiv sind die Anrufer im Raum Günzburg: 24 Prozent aller im ersten Halbjahr 2019 registrierten Falschanrufe gingen im dortigen Landkreis ein. Im Kreis Neu-Ulm waren es 21 Prozent.
Übrigens war für Frau Engler die Sache mit der Verhaftung noch nicht vorbei. Ein Vierteljahr lang dauerte der Telefonterror an. Zwei bis drei Mal täglich sei sie angerufen, beschimpft und bedroht worden, sie werde ihr blaues Wunder erleben. „Ich konnte nächtelang nicht mehr schlafen.“ Schließlich ließ sie sich eine neue Festnetznummer geben: „Dann war Ruhe.“
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