Wärmende Decken gehören normalerweise nicht zur Grundausstattung von Gerichtssälen. Doch der Corona-Winter machte es möglich: Um die Aerosol-Ausbreitung einzudämmen, wurde am Amtsgericht Neu-Ulm auch bei sehr niedriger Außentemperatur mit geöffneten Fenstern verhandelt, weshalb die Protokollantinnen, die vor allem dem kalten Luftstrom ausgesetzt waren, nicht nur in warmer Kleidung ihre Arbeit verrichteten, sondern auch noch Decken bekamen. "Das war eine harte Zeit", sagt Amtsgerichtsdirektor Alexander Kessler. Doch das Corona-Thema lässt die Justiz immer noch nicht los.
Amtsgericht Neu-Ulm ist stark mit Nachwehen der Corona-Beschränkungen beschäftigt
Auch wenn die gravierendsten Pandemie-Beschränkungen derzeit aufgehoben sind, muss sich das Gericht immer noch mit den Nachwehen beschäftigten. Es geht um die vielen Einsprüchen gegen Bußgeldbescheide. Die flatterten solchen Leuten ins Haus, die sich während des Lockdowns nicht an die Ausgangsbeschränkungen gehalten hatten, die gegen die Maskenpflicht oder das Versammlungsverbot verstießen. Wer etwa bei einer illegalen Corona-Party erwischt wurde, wie sie zum Beispiel im Mai in Ehingen stattfand, bekam ein Bußgeld aufgebrummt. Das beträgt in der Regel 500 Euro und wird vom Landratsamt verhängt. Dort wurden bisher insgesamt knapp 2400 solcher Bußgeldverfahren angestrengt, doch viele Menschen wollten die Zahlung nicht akzeptieren und legten Widerspruch ein.
Das hat zur Folge, dass mehr als die Hälfte der Verfahren noch anhängig ist: Rund 1370 sind nach Angaben der Kreisbehörde bisher nicht abgeschlossen. Die Widersprüche landen vor dem Amtsgericht. Dort wiederum beschäftigen sich zwei Mitarbeiterinnen jede Woche damit, den Verfahrensberg abzuarbeiten. Oft geht es nach den Worten von Kessler lediglich darum, das Bußgeld zu reduzieren. Das ist möglich, wenn etwa jemand nicht absichtlich gegen die Auflagen verstoßen hat, sondern "aus Versehen", also fahrlässig. Dann kann auch weniger fällig werden. Um das jedoch zu klären, muss die Justiz manchmal einen erheblichen Aufwand betreiben und etliche Zeugen befragen - und dabei werden den Richterinnen und Richtern manchmal recht wilde Erklärungen aufgetischt. Kessler: "Da gibt es nichts, was es nicht gibt." Jedenfalls sei die Zahl der Verfahren noch nicht abgeflacht.
Auch in Neu-Ulm gibt es Debatten um Maskenpflicht im Gerichtssaal
Das mit der Maskenpflicht ist so eine Sache: Die herrscht zwar auch in den beiden Gebäuden des Neu-Ulmer Amtsgerichts, doch natürlich will sich nicht jeder dran halten. "Wir haben nach wie vor damit zu kämpfen", sagt der Direktor. Auf den Fluren und in den Amtszimmern herrschen klare Regeln: Gesichtsbedeckung muss sein. Doch in den einzelnen Verhandlungssälen üben die jeweiligen Richter das Hausrecht aus, was nach Darstellung Kesslers immer wieder zu Debatten mit Rechtsanwälten und ihren Mandanten führt. Entscheiden muss die Person am Richtertisch, wie sie es handhaben möchte.
Schwierig wird es auch, die Abstandsregelungen einzuhalten, wenn viele Personen in den Sitzungssaal drängen, etwa bei einer Zwangsversteigerung. Da kommen locker mal mehrere Dutzend Menschen zusammen. Deshalb hat das Gericht für solche Verfahren eigens das Vidal-Haus in Oberelchingen angemietet. Da ist einigermaßen Platz. Um Abstandsgebote in den Amtsräumen gewährleisten zu können, wurde ein ausgeklügelter Belegungsplan erarbeitet, so Kessler. Es habe nur sehr wenige Corona-Fälle im Gericht gegeben.
Das Neu-Ulmer Amtsgericht hat noch andere Probleme
All das sorgt zusätzlich für eine Belastung der Justiz - die ohnehin schon sehr hoch ist. Die Zahl der Verfahren hat sich nicht verringert, erklärt Kessler, die sei konstant hoch geblieben, sodass die Belegschaft stets über 100 Prozent geben müsse. Allerdings sorgen auch Personalprobleme für zusätzliche Erschwernisse. Etwa im Grundbuchamt seien 50 Prozent der Stellen unbesetzt, was zu entsprechenden Verzögerungen bei der Bearbeitung führe. Außerdem ist die Fluktuation in Neu-Ulm sehr hoch.
Das liegt laut Kessler an der Randlage des Gerichts im Freistaat. Viele, die dort als Angestellte ihren Beruf bei der Justiz gelernt haben, zieht es wieder zurück in ihre angestammte Heimat. Hinzu kommt, dass viele einen Job in einer Kanzlei attraktiver finden. Doch unter dem Strich sei es lohnender, sich beim Staat anstellen zu lassen, vor allem, was die Altersversorgung anbelangt. Und: Auch in Corona-Zeiten sei der Arbeitsplatz sicher.