Seit 2017 dürfen Ärztinnen und Ärzte in Deutschland Cannabis als Medizin verschreiben. Doch wie viel Hanf darf ein Patient auf Rezept konsumieren? Um diese Frage dreht sich ein Prozess am Amtsgericht Neu-Ulm, bei dem eine Ärztin aus dem Landkreis auf der Anklagebank sitzt. Sie verschrieb ihrem Sohn jahrelang Cannabis, um seine Schmerzen zu lindern. Doch nach Auffassung der Staatsanwaltschaft waren die verschriebenen Mengen viel zu groß. So soll der Krankenkasse ein Schaden von rund 100.000 Euro entstanden sein.
Darum geht es in dem Cannabis-Prozess am Amtsgericht Neu-Ulm
Etwa neun Kilogramm medizinisches Cannabis soll der Sohn der Ärztin im Zeitraum von September 2018 bis September 2021 konsumiert haben. Laut Anklage hat ihm seine Mutter ein Mehrfaches dessen verschrieben, was erforderlich gewesen wäre. Die Medizinerin ist deshalb wegen Untreue und Beihilfe zum unerlaubten Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge angeklagt. Ihrem Sohn wird eben dieser Besitz von Drogen sowie Beihilfe zur Untreue vorgeworfen. Laut Richter Thorsten Tolkmitt wurde die Anklage vor Inkrafttreten des Cannabis-Gesetzes erhoben. Seit 1. April darf jeder Erwachsene daheim bis zu 50 Gramm Cannabis besitzen, im öffentlichen Raum 25 Gramm.
Der Sohn der Ärztin schildert vor Gericht eine lange Leidensgeschichte, die er bereits seit seiner Kindheit durchgemacht habe. In der Schule sei er gemobbt worden, in der Folge sei er depressiv geworden, habe unter ADHS und Angstzuständen gelitten, dazu kam das Restless-Legs-Syndrom, ein chronisches Zucken und Brennen in den Beinen. "Das war wie eine Spirale abwärts", sagt der Angeklagte.
Das sagt die angeklagte Ärztin aus dem Landkreis Neu-Ulm vor Gericht
Die Medikamente halfen zwar, doch sie brachten auch Nebenwirkungen wie Schlafstörungen und Ausschläge mit sich. Schließlich probierte sein damaliger Arzt die Therapie mit Cannabis aus – und diese half. Als der junge Mann volljährig wurde, wollte ihn sein Arzt allerdings nicht mehr weiterbehandeln. Da nahm seine Mutter die Sache in die Hand. Sie verschrieb ihm seitdem regelmäßig Rezepte, die ihr Sohn in verschiedenen Apotheken einlöste, teilweise auch online.
"Sehen Sie da kein Problem, dass Sie als Mutter Ihrem Sohn Drogen verschreiben?", fragt der Richter die Angeklagte. Die erwidert: "Wenn man keine andere Wahl hat, was soll man machen? Die Medikamente sind überlebenswichtig für ihn." Die Staatsanwaltschaft wirft ihr vor, dass die auf den Rezepten stehenden Dosen weit über den ermittelten maximalen täglichen Bedarf des Patienten gegangen seien. Dieser lag bei drei bis sieben Gramm. Statt 90 Gramm im Monat verschrieb die Angeklagte aber teilweise das Drei- oder sogar Vierfache.
Die Ärztin gibt an, dass die drei bis sieben Gramm am Tag lediglich die Menge gewesen seien, die ihr Sohn selbst inhaliert habe. Da er aber auch nachts Beschwerden gehabt habe, die so schlimm gewesen seien, dass er geschrien habe und die Nachbarn sich beschwert hätten, habe sie ihm oft zusätzlich Cannabis verabreicht, etwa als Extrakt. Teilweise habe sie das Medikament auch im Voraus aufgeschrieben.
Mutter uns Sohn gerieten durch Zufall ins Visier der Polizei
Aus Sicht der Anklagebehörde ist die Diskrepanz jedoch immens. Als der Staatsanwalt einen Polizisten im Zeugenstand fragt, ob die vom Angeklagten verbrauchten Mengen Cannabis im üblichen Bereich oder darüber lägen, sagt der Beamte: "Meines Erachtens ist das extrem viel. Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, wie jemand allein in diesem Zeitraum so viel konsumieren könnte." Er sei allerdings kein Arzt.
Der angeklagte Sohn beteuert vor Gericht: "Ich habe nie etwas verkauft oder weitergegeben. Ich bin immer verantwortungsvoll mit meiner Medizin umgegangen." Ins Visier der Ermittler geraten waren er und seine Mutter durch Zufall. Bei einer Verkehrskontrolle wurde der junge Mann angehalten, die Polizisten stellten fest, dass er unter Drogeneinfluss stand. Bei der Durchsuchung wurden laut Polizei "auffällig viele Rezepte" gefunden. So kamen die Ermittlungen ins Rollen. Zeitweise wurde sogar die Wohnung der Angeklagten abgehört, wie der Sohn der Ärztin schildert. Der Prozess wird fortgesetzt.