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Prozess in Neu-Ulm: Abrechnungsbetrug: Hausarzt aus dem Landkreis Neu-Ulm verurteilt

Prozess in Neu-Ulm

Abrechnungsbetrug: Hausarzt aus dem Landkreis Neu-Ulm verurteilt

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    Weil er nicht korrekt abrechnete, wurde jetzt ein Hausarzt aus dem Landkreis Neu-Ulm verurteilt.
    Weil er nicht korrekt abrechnete, wurde jetzt ein Hausarzt aus dem Landkreis Neu-Ulm verurteilt. Foto: Stephan Jansen, dpa (Symbolbild)

    An einem hatte das Gericht keinen Zweifel: "Dass Sie ein einfühlsamer, guter Arzt sind." Doch das nutzte dem 51 Jahre alten Mediziner nicht viel. Weil er über einen längeren Zeitraum Behandlungsleistungen unkorrekt abgerechnet hatte, verurteilte ihn das Schöffengericht Neu-Ulm am Mittwoch wegen gewerbsmäßigen Betrugs und Urkundenfälschung zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und drei Monaten. 

    War der Hausarzt mit den Abrechnungen überfordert?

    Warum hatte der erfahrene Hausarzt das getan? Das wurde im Prozess nicht so recht klar. Dass er sich strafbar gemacht hatte, stand hingegen außer Zweifel, denn über seinen Anwalt Stefan Mittelbach ließ er ein umfassendes Geständnis ablegen. Einen Hinweis auf seine Motive hatte es im Zuge der umfangreichen Ermittlungen allerdings gegeben: Eine Zeugin, die sich mit seinen Abrechnungen befasst hatte, schätzte, der Mann sei überfordert gewesen. Kein Wunder, hatte er doch innerhalb von kurzer Zeit im Landkreis Neu-Ulm vier Hausarztpraxen übernommen. 

    Knapp zwei Jahre lang reichte der Hausarzt bei der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern (KVB) Abrechnungen für Gespräche ein, in denen es um einen Zusammenhang zwischen psychischen und körperlichen Beschwerden ging. Sofern sie mindestens 15 Minuten dauern, können sie der KVB nach der entsprechenden Gebührenordnung in Rechnung gestellt werden. Knapp über 210.000 Euro sollen dem Doktor auf diese Weise zugeflossen sein. 

    Sehr viele lange Patientengespräche – das wirkte verdächtig

    Doch die Vereinigung wurde aufmerksam, weil sie sehr viele Abrechnungen dieser Art bekam. Wie ein Vertreter der KVB vor Gericht aussagte, habe man die angegebenen Zeiten zusammengezählt und festgestellt, dass die sich jeweils zu einem sehr langen Arbeitstag summierten. Sie seien insgesamt in ihrer Menge nicht plausibel gewesen. Eine notwendige inhaltliche Dokumentation der Gespräche habe gefehlt. Deshalb fragte die KVB nach. Der Arzt reichte einige Dokumentationen nachträglich ein, die aber als Fälschungen angesehen wurden. Daraufhin schaltete die KVB die Generalstaatsanwaltschaft in Nürnberg ein, die für Betrug im Gesundheitswesen zuständig ist. Ende 2022 wurden die Praxisräume durchsucht. Der betroffene Arzt, der von der Razzia völlig überrascht gewesen sei, habe sich sehr kooperativ gezeigt, sagte die zuständige Kripobeamtin aus. 

    Auch danach erwies sich der Mediziner als sehr auskunfts- und hilfsbereit. Vor Gericht legte er ein Geständnis ab, das sein Verteidiger Stefan Mittelbach aus Augsburg vortrug. Er gab die Vorwürfe der Anklage vollständig zu und bedauerte sein Verhalten. Solche psychosomatischen Gespräche habe es durchaus gegeben, denn es sei seinem Mandanten wichtig, den Patientinnen und Patienten zuzuhören: "Er nahm sich sehr viel Zeit für sie. Es gibt sehr viele Patienten, die wahrgenommen werden wollen, Patienten sind seine Leidenschaft." Allerdings seien die Gespräche "wohl teilweise nicht so lang gewesen, wie es für die Abrechnung nötig wäre", räumte der Verteidiger ein. Der Angeklagte habe zwar falsch gehandelt, aber intensiv an der Aufklärung des komplizierten Falles mitgewirkt. 

    Staatsanwältin: Der Hausarzt hat das Sozialsystem geschädigt

    Das erkannte auch die Vertreterin der Staatsanwaltschaft an. Bei den Ermittlungen mussten zunächst umständlich einzelne Patientenakten ausgewertet werden. Das geschah bis zum Buchstaben H, dann erklärte der Arzt, er sei bei allen anderen genauso vorgegangen. Damit blieb Polizei und Justiz viel Kleinarbeit erspart. Als Schadenssumme waren bei den Auswertungen rund 96.000 Euro ermittelt worden, die KVB geht allerdings von 210.000 Euro aus. Die hat der Angeklagte zum überwiegenden Teil bereits zurückgezahlt. In ihrem Plädoyer bewertete die Oberstaatsanwältin zwar positiv, dass der Angeklagte sich geständig gezeigt hatte, dennoch habe er mit seinem Verhalten das Sozialsystem geschädigt. Er habe zudem das Vertrauensverhältnis zwischen den abrechnenden Medizinern und der KVB erschüttert.

    Während sie ein Jahr und neun Monate auf Bewährung forderte, hielt der Verteidiger eine Strafe von "etwas über einem Jahr" für angemessen. Sein Mandant habe mit seinem Geständnis ein "umfangreiches Verfahren in fast beispielloser Weise abgekürzt". Zudem sei der Schaden bereits fast vollständig beglichen worden. "Er ist mit Herzblut Arzt, der für seine Patienten da ist", sagte Mittelbach, "aber das Buchhalterische ist nicht seine Kernkompetenz." 

    Das Schöffengericht unter Vorsitz von Amtsgerichtsdirektor Thomas Kirschner verhängte ein Jahr und drei Monate Haft auf Bewährung. Es erkannte an, dass der Angeklagte mit dem Geständnis das Ermittlungsverfahren wesentlich verkürzt habe, aber durch sein Verhalten sei das Sozialsystem in Mitleidenschaft gezogen und Vertrauen missbraucht worden. Hätte er die Vorwürfe nicht eingeräumt, wäre die Strafe höher ausgefallen. 

    Das Urteil ist rechtskräftig, weil der Angeklagte, sein Verteidiger und die Staatsanwältin noch im Gerichtssaal darauf verzichteten, es anzufechten. Unklar ist noch, ob der Mediziner seine Approbation behalten kann, dafür ist die Strafjustiz nicht zuständig. 

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