Sind Sie musikalisch? Spielen Sie Klavier? Im zweimal ausverkauften Barocksaal im Vöhlinschloss in Illertissen hat das Publikum in einer „Doppelstunde Klavierunterricht“ mit Christoph Reuter gelernt: „Alle sind musikalisch! (außer manche).“ Der Freundeskreis Kultur im Schloss hatte den Konzertpianisten und Kabarettisten aus Berlin entdeckt und nach Illertissen geholt. Mit seinem zugewandten Auftreten eroberte er sich schnell die Gunst des Publikums, auf dem Klavier wie dem Brettl der Kleinkunst. Auf der Besucherseite gab es begeisterten Applaus, worauf der Künstler theatralisch dankte und ein romantisches Klavierausspiel anhängte.
Christoph Reuter spielt erstmal
Die Musik bildete den Rahmen für den Abend, der am Flügel eröffnet wurde. Kleine Texte im Spiralheft informierten: „Ich spiel erstmal“, war unter anderem zu lesen. Der originelle Auftakt sorgte schon für Vorschusslorbeeren. Der Praxis folgte die Theorie, indem Christoph Reuter sein Publikum einem Test zur Musikalität unterzog. Es galt zwei unterschiedlich hohe Töne am Flügel als solche zu erkennen. Was kein Kunststück war, und Reuter deutete es als Anzeichen von Musikalität im Publikum. „Move it“ im Sinne von „Gehen wir es an“ ermunterte darauf der Kabarettist.
So treffend wie unterhaltsam und begleitet von berühmten Titeln aus Klassik, Jazz, Popmusik untermauerte er seine Ausführungen über Musikalität. Sie entwickle sich heute anders als etwa zu Mozarts Zeiten, sagte Reuter. Durch die Medien kämen Menschen in frühestem Alter mit Musik in Berührung. Er spricht vom musikalischen Lexikon im Gedächtnis. Das bekannte Titel schon bei den ersten Takten in Erinnerung rufe, etwa „Aber bitte mit Sahne“ oder „Walk on the Wild Side“, welche der Pianist unter anderen einspielte. Das Gehirn wolle die Musik zu Ende hören, die Natur sei so angelegt.
Reuter verglich auch mit unterschiedlichen Rufen der Singvögel. Bei freundlichen Aufforderungen wie „Essen fertig“ ahmten Menschen den Kuckucksruf in der kleinen Terz nach. Verärgerte Rufe, etwa „Komm endlich“ wechselten in die große Terz. Das freundliche C-Dur – siehe Kuckucksruf – in der Folge von C-Dur, a-Moll, F-Dur, G-Dur stelle die Akkorde beliebter Pop-Songs dar, erklärte Reuter. Dazu empfehle er willigen Pianisten und Pianistinnen die von ihm erfundene C-Kralle, mit deren Hilfe ganz einfach Popmusik zu spielen wäre. Zum Beweis hielt er eine Postkarte mit Tastatur und Löchern für Daumen, Zeige- und Mittelfinger hoch, die beim Greifen der Noten e, g, c als Schablone dienten. Dafür gab’s Extra-Applaus. Fehlte noch der Gegenspieler des fröhlichen C-Dur, wofür Reuter „Alle meine Entchen“ im schwermütigen a-Moll vortrug. Dazu machte der Kabarettist eine traurige Mine, schließlich beeinflusse Musik ja das Gemüt.
Musik ist überall
So analysierte der Künstler mit Wortwitz und Spielkunst das musikalische Universum, begann bei dem, menschlicher Sprachstruktur ähnlichen Gesang der Wale und erinnerte daran, dass Flöten älter seien als ihre Bühnen. Mit Augenzwinkern stellte er fest, dass der Film zur Musik passen müsse und die Macht der Musik von der Werbung missbraucht würde. Dazu trug er Erkennungsmelodien wie von der Telekom vor oder Titel, die etwa den Genuss von Wein assoziieren. Oder dass menschliche Herzschläge Biografien darstellten, indem der Rhythmus mit dem Heranwachsen langsamer werde und in Ausnahmesituationen, etwa Verliebtheit, das Herz höher schlage. Ein abrupt endender Klavierton kündigte nicht etwa Stillstand sondern Taktunterbrechung an, für die Pause. Auch hierfür Szenenapplaus. Darauf ging es um Taktarten wie dem Fünfvierteltakt beim wunderbar swingenden „Take Five“ oder dem aufwühlenden Filmtitel „Mission Impossible“. Perfekt auch die akzentuierte Gegenüberstellung von Hochzeitsmarsch und „O Tannenbaum“ mit derselben Auftaktmelodie.
Die Lektion des vergnüglichen wie künstlerisch ansprechenden Rundumschlags dürfte im Publikum angekommen sein. Jeder kann sich musikalisch irgendwo in Reuters Programm wiederfinden. Außer manche eben. Aber die waren wohl erst gar nicht zum Musikkabarett in den Barocksaal gekommen.
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