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Illerkirchberg: Sorgen und Ängste nach dem Mord: Die Fragen und Antworten beim Bürgerdialog

Illerkirchberg

Sorgen und Ängste nach dem Mord: Die Fragen und Antworten beim Bürgerdialog

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    In Illerkirchberg hat nach der tödlichen Messerattacke die Aufarbeitung mit einem Bürgerdialog begonnen.
    In Illerkirchberg hat nach der tödlichen Messerattacke die Aufarbeitung mit einem Bürgerdialog begonnen. Foto: Bernd Weißbrod, dpa (Archivbild)

    Die Emotionen kochten zum Teil hoch beim Bürgerdialog am Mittwochabend in der Gemeindehalle in Illerkirchberg nach der tödlichen Messerattacke Anfang Dezember. Bürgerinnen und Bürger der Gemeinde konnten unterschiedlichen Behördenvertretern Meinungen mitteilen sowie Fragen stellen. Der Vater der getöteten Ece sorgte mit einer bewegenden Ansprache für einen Wendepunkt der Veranstaltung. Hier eine Zusammenfassung der Fragen und Anliegen der Anwesenden mitsamt der dazugehörigen Antworten. 

    Wie wird mit Flüchtlingen umgegangen? Wie werden sie sozial betreut, wie werden ihnen die Kulturen beigebracht, wie kann Respekt vor Frauen geschaffen werden? Wie kann die Gemeinde Abhilfe schaffen, dass das so etwas nicht mehr passiert?

    "Eine sehr schwere Frage", sagt Bürgermeister Markus Häußler (parteilos) dazu. Einmal die Woche seien Vertreter vor Ort in den Unterkünften und würden dort nach dem Rechten schauen sowie mit den Menschen über ihre Bedürfnisse sprechen. Sie hätten auch die Möglichkeit, bei Anliegen aufs Rathaus zu kommen. Eine intensive psychologische Betreuung aber sei nicht vorgesehen. "Das können wir nicht leisten", so Häußler. 

    Emanuel Sontheimer von Landratsamt des Alb-Donau-Kreises erklärt, dass eine soziale Betreuung bei den Gemeinschaftsunterkünften unter anderem durch Sozialpädagogen stattfinde. Die Menschen vor Ort seien nahezu täglich mit ihnen im Gespräch. Sollten Probleme auftreten, gebe es ein breites Netzwerk, auch mit einer psychologischen Beratung. Bei der Anschlussunterbringung würden vor allem Ehrenamtliche dabei helfen, sich um die Menschen zu kümmern – so zum Beispiel bei der Anmeldung zur Schule oder dem Kindergarten sowie bei Sprachkursen. "Sprache ist der Schlüssel", so Sontheimer. 

    Warum dauert es so lange, bis verurteilte Asylbewerber abgeschoben werden?

    Falk Fritzsch vom Ministerium der Justiz und für Migration Baden-Württemberg erklärte, dass an der Rückführung von Ausländern eine Vielzahl von Behörden beteiligt seien. So werde beispielsweise vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) der Asylantrag geprüft. Reist jemand über einen Drittstaat ein, könne er kein Asyl erhalten. In einer nächsten Stufe werde unter anderem hinterfragt, ob die Person in ihrem Herkunftsland verfolgt wird. Könnte bei eine Rückkehr eine Gefahr bestehen? Zudem werde abgewogen, ob eine Abschiebung verhältnismäßig ist. Sprich: Ist seine Anwesenheit der Herkunftsgesellschaft oder der deutschen Gesellschaft eher zuzumuten?

    Warum wurde der Afghane nicht abgeschoben, nachdem er seine Haftstrafe aufgrund der Halloween-Vergewaltigung abgesessen hatte?

    Der Mann habe das Asylverfahren komplett durchlaufen. Das Bamf sei zu dem Entschluss gekommen, dass er kein Asyl erhalten kann, weil er über einen sichereren Drittstaat eingereist war. Einen Flüchtlingsschutz habe zudem nicht erhalten, weil er nicht Afghanistan nicht verfolgt wurde. Ein Abschiebeverbot habe auch nicht vorgelegen. Zwar habe er gegen die Entscheidung des Bamf geklagt. Doch das Verwaltungsgericht habe dem Bamf recht gegeben. Insofern hätten alle rechtlichen Voraussetzungen vorgelegen. Der Afghane habe dagegen auch keine Rechtsmittel eingelegt. "Juristisch gab es keinen Grund, warum er nicht abgeschoben wurde", so Stefan Grauer vom Regierungspräsidium Tübingen (Sonderstab "Gefährliche Ausländer").

    Mehr als 250 Menschen kamen zum Bürgerdialog in der Gemeindehalle in Illerkirchberg.
    Mehr als 250 Menschen kamen zum Bürgerdialog in der Gemeindehalle in Illerkirchberg. Foto: Aleksandra Bakmaz, dpa

    Das Land Baden-Württemberg habe alle Anstrengungen unternommen, dass der Mann ausreist. Auf hoher Ebene sei mit dem Bund verhandelt worden. Doch von dort "hat es keine logistische Unterstützung gegeben". Bis März 2022 befand sich der Mann demnach in Abschiebehaft. Nachdem das aber gerichtlich nicht mehr standhalten konnte, sei er in seine zugeteilte Gemeinde (Illerkirchberg) zurückgebracht worden. 

    Dass Abschiebungen nicht umgesetzt werden können, habe mehrere Gründe. Einer davon ist laut Fritzsch, dass bei vielen die Identität nicht geklärt werden kann. In 2022, so sagt er, hätten knapp 50 Prozent der Asylbewerber, die beim Bamf registriert sind, keinen Pass vorgelegt. Nun müsse die Behörde erst mal beweisen, wo die Menschen herkommen, um dann mit den jeweiligen Herkunftsländern in Verhandlungen treten zu können. Im Fall Afghanistan komme hinzu, dass es dort aktuell keine deutsche Botschaft gibt. Diese müsse erst wieder errichtet werden. "Der Bund muss eine Struktur aufbauen, dass eine solche Person hingeflogen werden kann." 

    Was können wir als Gemeinde konkret tun, damit der Mann abgeschoben wird? Wir sammeln auch dafür, wenn das Geld nicht reicht.

    Ein Finanzierungsproblem sei es nicht, sagen die Behördenvertreter. Es sei alles getan. Einzig allein fehle die Unterstützung des Bundes. Auch die Ministerien in Bayern hätten schon sich an den Bund gewandt. Doch bislang fehle es weiterhin an der Unterstützung. 

    Warum waren der mutmaßliche Täter der Messerattacke am 5. Dezember und seine zwei Mitbewohner nicht bei der Arbeit?

    Bürgermeister Häußler erklärt, dass die drei der vier Bewohner in Schicht gearbeitet hätten. Aus dem Publikum wurde er korrigiert: Alle vier Bewohner hatten in Schichtdiensten gearbeitet. 

    Wer hat entschieden, dass der verurteilte Vergewaltiger wieder in Illerkirchberg lebt?

    Fritzsch erklärt, dass das niemand zu entscheiden gehabt habe. Das sei gesetzlich so vorgegeben, dass er nach seiner Haft wieder an seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort zurückkehrt.

    Warum wurden die Menschen in der Gemeinde nicht gewarnt, dass der verurteilte Vergewaltiger wieder im Ort ist?

    Bürgermeister Häußler sagt, laut dem Melderecht dürfe man derartige Daten nicht preisgeben. Seines Wissens mache er sich dafür strafbar. Die Gemeinde sei dazu gar verpflichtet, dass so etwas nicht nach außen dringen darf. Er aber sei "im Viereck gehüpft", als er davon erfahren habe. "Die beste Lösung ist die Abschiebung, die zweite Lösung woanders hin. Dazu stehe ich nach wie vor", so Häußler. 

    Wie kann behauptet werden, dass im Ort keine Probleme mit den Flüchtlingen bekannt waren? Es sei bekannt gewesen, dass am Spielplatz mit Drogen gehandelt wird und Kinder belästigt worden sind.

    Bürgermeister Häußler erklärt, dass Themen wie Lärmbelästigung oder Sauberkeit mal angebracht worden seien. Konkrete Hinweise auf Straftaten habe es aber nicht gegeben. Nach der Tat sei das im Rathaus rekonstruiert worden. Mitarbeitende hätten ihm schriftlich versichert, dass es keine Vorfälle gegeben habe. Auch mit dem Kindergarten und der Grundschule habe er gesprochen. Nichts sei bekannt gewesen, das strafrechtlich relevant ist. 

    Alleinfahrende Frauen der Sozialstation fürchten sich jetzt, wenn sie nachts durch nicht beleuchtete Straßen unterwegs sind. Lässt sich an der Situation nichts ändern?

    Bürgermeister Häußler erklärt, die Laternen seien nachts zwischen 1 beziehungsweise 2.30 Uhr und 4 Uhr ausgeschaltet worden, um Energie zu sparen. Das sei auch in anderen Kommunen gängige Praxis. Und nach Rücksprache mit der Polizei ändere sich dadurch auch nichts an der objektiven Sicherheitslage. Subjekt aber, das könne er verstehen, mag das vielleicht anders sein. Er stellt in Aussieht, dass das Thema im Gemeinderat zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal besprochen und dann anders entschieden werden könnte. 

    Ein Blick in die Zukunft: Was können wir als Gemeinde tun, um die Menschen zu helfen, sich in der Gesellschaft einzugliedern? Wie steht Illerkirchberg in zehn Jahren da?

    Bürgermeister Häußler legt eine Kontaktaufnahme mit dem Helferkreis nahe. Oder die Teilnahme an der Arbeit jener Helfenden. So zum Beispiel beim Café International. Er wisse aber auch, dass aufgrund der Corona-Beschränkungen das Miteinander gelitten hat. Doch Offenheit gegenüber den Menschen könnte der Schlüssel sein. Denn auch die Flüchtlinge hätten seit der Tat Angst, weil sie von anderen Menschen nun kritisch angeschaut werden. 

    Was wird für Kinder und Jugendliche getan, um die schreckliche Tat zu arbeiten? Wie kann die Gemeinde dafür sorgen, dass Kinder in Illerkirchberg weltoffen und nicht engstirnig erzogen werden?

    Es würden bereits Überlegungen stattfinden, ob über einen Träger oder eine Vortragsreihe den mit dem Bürgerdialog gestarteten Prozess der Aufarbeitung fortführen kann. Auch in einem kleineren, geschützteren Rahmen. Bürgerinnen und Bürger seien dazu eingeladen, bei Ideen auf den Gemeinderat oder auch den Bürgermeister zuzugehen, um entsprechende Möglichkeiten zu schaffen. 

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