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Illerkirchberg: AfD-Demo nach Messerattacke: Wie sich rechte Stimmungsmache auf den Ort auswirkt

Illerkirchberg

AfD-Demo nach Messerattacke: Wie sich rechte Stimmungsmache auf den Ort auswirkt

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    Waren in der Gemeinde Probleme mit den Flüchtlingen schon vor der Messerattacke in Illerkirchberg bekannt? Es gibt Behauptungen, die sich aber nicht belegen lassen.
    Waren in der Gemeinde Probleme mit den Flüchtlingen schon vor der Messerattacke in Illerkirchberg bekannt? Es gibt Behauptungen, die sich aber nicht belegen lassen. Foto: Christoph Schmidt, dpa

    Illerkirchberg steht nach der Messerattacke von Montag, bei der eine 13-Jährige schwere und eine 14-Jährige tödliche Verletzungen erlitten, weiter unter Schock. Nach wie vor steht ein 27-jähriger Asylbewerber aus Eritrea unter Verdacht. Die politische Debatte und die Instrumentalisierung des schrecklichen Vorfalls aber nimmt an Fahrt auf. Die Identitäre Bewegung hat bereits ihre Spuren im Ort, auch am Tatort, hinterlassen. Die AfD hält am Wochenende eine Kundgebung ab. Weitere Demos auch verfassungsfeindlicher Organisationen könnten folgen. Zeitgleich machen Behauptungen im Internet die Runde, die Ängste schüren. Der zentrale Vorwurf: Probleme mit Flüchtlingen seien in der Gemeinde bekannt gewesen. Aber stimmt das? Menschen im Ort berichten von "Stimmungsmache von außerhalb", "Drohungen" und "Angst" vor dem, was noch kommt.

    In einem Online-Artikel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zum Mord in Illerkirchberg wird eine "Mutter mehrerer Kinder aus Ulm" zitiert. Sie soll gesagt haben: "Es war bekannt, dass die Asylbewerber immer mal wieder Mädels und auch die Kinder des gegenüberliegenden Kindergartens belästigt haben". Das Zitat ziert die Überschrift des Artikels, der in den sozialen Netzwerken weit verbreitet wird. Aber auch im Ort ist der Bericht zum Teil bereits bekannt und löst Verwunderung bis Entsetzen aus. 

    Messerattacke in Illerkirchberg: "Ich kann nichts Schlechtes über die Asylbewerber sagen"

    Polizei und Bürgermeister Markus Häußler betonen vier Tage nach der schrecklichen Tat erneut, dass ihnen keine Beschwerden dieser Art bekannt waren. Personen, die - auch auf Rat der Sicherheitsbehörden - namentlich nicht genannt werden wollen, aber regelmäßig mit den Asylbewerbern zu tun hatten, bestätigen das. Ein unmittelbarer Nachbar der Unterkunft, der dort seit gut 40 Jahren wohne, sagte am Tag nach der Attacke: "Ich kann nichts Schlechtes über die Asylbewerber sagen." Einmal sei es wegen einer Party laut gewesen, da habe er Kontakt aufgenommen - und die Sache habe sich geklärt. Auch an der Grundschule und im Kindergarten sind derartige Schilderungen nicht bekannt, wie mehrere Mitarbeiterinnen der Einrichtungen unserer Redaktion mitteilen.

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    Begleitet von Tränen, Trauer und hunderten Menschen ist das in Illerkirchberg getötete Mädchen am Mittwoch beigesetzt worden. Viele trugen ein Foto des Mädchens an der Jacke.

    Dass Gemeindeverwaltung und Polizei nicht immer alles mitbekommen, kann zwar vorkommen. Das zeigt der jüngste Fall aus Nersingen, über den unsere Redaktion kürzlich berichtet hatte. Im Einkaufszentrum Riedle sowie unter Flüchtlingshelfenden im Ort machte sich Ärger über eine bestimmte Gruppe von Asylbewerbern breit, da sie sich "aufführen" und zum Teil stehlen würden. Kreisverwaltung, Polizei und Gemeinde teilten hierzu mit, nichts davon gewusst zu haben. Obwohl sich Kundschaft schon beschwert hatte, wandte sich eine Filialleitung erst nach zwei Monaten mit Problemen ans Landratsamt.

    Menschen in Illerkirchberg sind seit Halloween-Vergewaltigung von 2019 sensibilisiert

    Kann das so auch in Illerkirchberg gewesen sein? Möglich, aber höchst unwahrscheinlich. Der Ort hat seit der der Halloween-Vergewaltigung von 2019 eine Vorgeschichte. Die Menschen dürften also sensibilisiert gewesen sein. Das bestätigen auch mehrere Vertreter von Vereinen und Organisationen im Ort im Gespräch mit unserer Redaktion, die nicht alle namentlich genannt werden wollen. Sie berichten zudem, dass ihnen nichts davon zu Ohren gekommen wäre. "Wir sind als Ersthelfer in dem Gebiet. Es gab keine Einsätze, die auffällig erschienen wären", sagt Tobias Egle, Vorsitzender des DRK-Ortsvereins. Außer dem Vorfall von 2019 ist dem Feuerwehrkommandanten Martin Duelli "nichts bekannt". 

    Bei Facebook macht unter anderem ein Kommentar einer Frau die Runde, die sich als "Anwohnerin unweit der Stelle, wo es passiert ist", ausgibt. Sie schreibt, dass die besagten Flüchtlinge seit Längerem bekannt gewesen sein sollen, Mädchen dort angesprochen und belästigt hätten. "Ein Vater" soll sich sogar an die Gemeinde gewandt haben. Doch passiert sei nichts. Unsere Redaktion kann die Verfasserin telefonisch erreichen. Ihren Namen will sie nicht veröffentlicht haben. Auch den Namen jenes "Vaters" will sie nicht nennen. Sie wolle ihn darum bitten, sich bei unserer Redaktion zu melden. Bislang ist das nicht erfolgt. Die Frau wirft der Gemeindeverwaltung vor, die Tat von Montag "verharmlosen" und jetzt im Nachhinein "gut wegkommen" zu wollen. 

    Anhänger der Identitären Bewegung haben am Mittwoch nach der tödlichen Messerattacke vor einer Flüchtlingsunterkunft in Illerkirchberg ein Banner vor dem Rathaus gehisst.
    Anhänger der Identitären Bewegung haben am Mittwoch nach der tödlichen Messerattacke vor einer Flüchtlingsunterkunft in Illerkirchberg ein Banner vor dem Rathaus gehisst. Foto: Michael Kroha

    AfD-Demo am Samstag in Illerkirchberg - kommt auch noch Der Dritte Weg?

    Die Ortsgemeinschaft stellt sich indes auf weiterhin turbulente Tage ein. Die AfD hat für Samstag, ab 10 Uhr, eine Kundgebung vor dem Rathaus in Illerkirchberg anberaumt. Laut Eugen Ciresa, dem Ulmer AfD-Vertreter, handelt es sich um eine "Gedenkfeier für die angegriffenen Mädchen". Nach seinem Wissen sei seitens des organisierenden AfD-Landesverbandes kein Kontakt mit den betroffenen Familien aufgenommen worden, ob sie das wollen - oder nicht. Ciresa rechnet mit vielleicht 200 Personen, das Landratsamt erwartet 300. Die Polizei will mit entsprechenden Kräften für Sicherheit sorgen, so ein Polizeisprecher. Der Theaterverein Tingel-Tangel hat seinen geplanten Ticketvorverkauf in der nahegelegenen Gemeindehalle abgesagt. "Es besteht auch Gefahr für Leib und Leben", heißt es dazu. "Die AfD benutzt den Ort Illerkirchberg, um ihre Gedanken zu verbreiten", sagt Vereinschef Steffen Buse. 

    Bürgermeister Häußler, der inzwischen massiv persönlich angegangen wird, empfindet die Kundgebung als "völlig unangemessen" mit "fraglichen Motiven". Der 37-Jährige glaubt, dass der überwiegende Teil im Ort "weniger bis nichts" davon hält. "Unsere Gemeinde trauert um die kleine Ece. Wir sind nach wie vor zutiefst betroffen von dem Vorfall", sagt Häußler. Dass aus der Mitte der Gemeinde Menschen aufstehen, um ein Zeichen gegen Fremdenfeindlichkeit und rechte Parolen zu setzen, ist nicht zu erwarten. Dem Vernehmen nach wird das von Sicherheitsbehörden auch nicht empfohlen.

    Alle Artikel zum tödlichen Angriff in Illerkirchberg finden Sie hier.

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