Nach der Messerattacke auf zwei Mädchen in Illerkirchberg, bei der eine 13-Jährige schwer verletzt wurde und eine 14-Jährige ums Leben kam, veranstaltete der AfD-Landesverband Baden-Württemberg am Samstagvormittag ab 10 Uhr eine Kundgebung vor dem Rathaus der Gemeinde. Es solle eine „Gedenkfeier für die angegriffenen Mädchen“ werden, sagte der Ulmer AfD-Vertreter Eugen Ciresa im Vorfeld. Die betroffenen Familien wurden aber seines Wissens nach nicht gefragt, ob sie das wollen oder nicht. Illerkirchbergs Bürgermeister Markus Häußler (parteilos) nannte die AfD-Versammlung „völlig unangemessen“ mit „fraglichen Motiven“, war am Samstag auch nicht vor Ort.
80 Einwohner versammeln sich in Illerkirchberg zu spontaner Gegendemonstration
Die AfD hatte im Vorfeld mit bis zu 200 Teilnehmenden gerechnet, das Landratsamt des Alb-Donau-Kreises als zuständige Versammlungsbehörde erwartete bis zu 300 Menschen. Vor Ort zählte die Polizei etwa 150 Teilnehmende, die Versammlungsbehörde schätzte die Zahl etwas niedriger auf rund 100 Personen. Die Polizei war mit gut einem Dutzend Fahrzeugen und starken Kräften im Einsatz, auch mit Anti-Konflikt-Teams. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite versammelten sich etwa 80 Menschen zu einer spontanen Gegendemonstration, dabei handelte es sich überwiegend um Einwohner von Illerkirchberg.
Rund um das Rathaus waren Plakate aufgehängt, auf denen stand: "Wir in Illerkirchberg trauern und stehen für Frieden, Solidarität und Toleranz." Für die Aktion verantwortlich war ein Vater dreier Kinder aus Unterkirchberg. Die Demo ist "legitim", sagt er. Dennoch wolle er ein Zeichen setzen. Eine solche Tat, die im Ort "alle betroffen" macht, dürfe nicht dazu dienen, dass die AfD damit im Ort Politik macht. Ähnlich sieht das auch Felix S. Der 27-Jährige kam mit mehreren Gleichaltrigen zum Rathaus. Sie hatten mehrere Schilder dabei, auf einem hieß es zum Beispiel: "Wir brauchen Raum zum Trauern und keine Hetzerei". Für ihre Plakate mussten sie sich unter anderem Äußerungen anhören wie: "Und ihr schützt also den Kindermörder?!"
Im Raum stand am Freitagabend zunächst eine Gegendemo von „Kollektiv 26“. Die linke Gruppierung, die seit Jahren Aktivitäten Rechtsextremer rund um Ulm schriftlich festhält und auch mit Aktionen stört, teilte am späten Freitagabend jedoch mit, man wolle „bewusst“ keine Gegenproteste organisieren, weil das so kurzfristig nicht möglich gewesen wäre.
Für die angekündigte Versammlung der rechtsextremen Kleinpartei Der Dritte Weg am Montagabend werde zwar ebenfalls auf eine „lautstarke antifaschistische Demonstration verzichtet“. Man wolle ihnen aber „Plätze und Straßen nehmen – mit Ruhe und Respekt für die Familien und den Ort“, so die linke Gruppierung auf Twitter. Dem Landratsamt als Versammlungsbehörde war zur Kollektiv-Aktion am Samstag noch nichts bekannt.
Unter den zwischen 100 bis 150 Teilnehmenden der AfD-Kundgebung gaben zwei Männer an, aus Illerkirchberg zu kommen. Einer von ihnen ist Carsten Kemmer, der nach eigenen Angaben circa 200 Meter vom Tatort entfernt wohnt. Er habe eine 16-jährige Tochter, die ebenfalls zu jener Bushaltestelle müsse, wie die beiden Mädchen am Montagmorgen. Als er erzählt, wie er den Morgen der Tat erlebt hat, kommen ihm die Tränen. Flüchtlinge würden Frauen als "Freiwild" ansehen, sagt er. Es müssten "härtere Strafen" her. Zudem seien Probleme mit den Menschen aus jener Asylbewerberunterkunft in Oberkirchberg bekannt gewesen, behauptet er.
Konkrete Vorfälle oder Namen von Menschen, denen etwas widerfahren ist, kann er aber nicht nennen. Auch Eugen Ciresa berichtet in seiner Ansprache bei der Kundgebung von bekannten Vorfällen im Voraus. Nachgefragt, wann und wem das passiert sei, kann er nicht sagen. "Wir sind gerade dabei das zusammenzutragen", sagt er. Zwar machen derzeit vieler dieser Gerüchte die Runde. Bürgermeister Markus Häußler (parteilos), Gemeindeverwaltung Polizei sowie Beschäftigen aus Grundschule und Kindergarten gaben im Gespräch mit unserer Redaktion aber an, dass keine Vorfälle bekannt gewesen seien.
AfD-Vertreter stellten vor dem Rathaus ein Schild nieder mit Namen von Personen, die von Flüchtlingen getötet wurden. Darunter Opfer des Terroranschlags am Breitscheidplatz in Berlin. Davor legten sie Herzen und Blumen nieder. Zudem zeigten sie ein Banner, der ihren Unmut über die Migrationspolitik zum Ausdruck bringen soll. Nach gut einer Stunde löste sich die Kundgebung auf, die eigentlich bis 12 Uhr anberaumt war. Einige der Teilnehmenden gingen noch an den Tatort, legten dort im Beisein von Polizei Blumen ab und machten Fotos. Länger hielten es am Rathaus trotz Kälte die Bürgerinnen und Bürger mit ihren selbstgebastelten Plakaten am Straßenrand aus.
Bluttat in Illerkirchberg: Bislang keine Verbindung zwischen Opfer und Verdächtigem bekannt
Wie mehrfach berichtet, kam es am vergangenen Montag im Ortsteil Oberkirchberg vor einer Flüchtlingsunterkunft zu einer Messerattacke auf zwei Mädchen, die auf dem Weg zur Bushaltestelle beziehungsweise zur Schule waren. Eine 13-Jährige wurde schwer verletzt, eine 14-Jährige erlag im Krankenhaus ihren Verletzungen. Als tatverdächtig gilt ein 27-jähriger Asylbewerber aus Eritrea. Anhaltspunkte dafür, dass er und seine Opfer sich kannten, gibt es nach Ermittlerangaben bislang nicht.
Der Mann soll nach Ermittlerangaben aus der Unterkunft gekommen, auf die Jugendlichen mit einem Messer eingestochen und wieder ins Haus zurückgegangen sein. Dort traf die Polizei ihn schwer verletzt zusammen zwei weiteren Männern an. Einer von ihnen, ein 25-Jähriger, hat sich am Mittwoch das Leben genommen. Gegen ihn bestand anfangs der Verdacht einer Tatbeteiligung, dieser habe sich aber nicht erhärtet, so ein Sprecher der Staatsanwaltschaft.
Die Ermittler gehen davon aus, dass auch der 27-jährige Verdächtige Suizid begehen wollte. Er befindet sich inzwischen im Gefängniskrankenhaus Hohenasperg. Der Vorfall hat bundesweit großes Entsetzen ausgelöst. Zur Beerdigung der getöteten Ece S. waren weit mehr als 1000 Menschen gekommen.