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Illerkirchberg: Ein Jahr nach dem Mord an Ece ist die Angst noch immer präsent

Das farbenfrohe Grab der getöteten Ece auf dem Friedhof in Illerkirchberg: Am Dienstag gedenkt die Gemeinde der brutalen Messerattacke vom 5. Dezember 2022.
Illerkirchberg

Ein Jahr nach dem Mord an Ece ist die Angst noch immer präsent

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    Ihr Grab auf dem Friedhof in Illerkirchberg fällt auf. Viele kleine Engel, Kerzen und frische Rosen zieren es. Es ist farbenfroh. Ein Kuschelhase lehnt am Kreuz. Ein Foto zeigt die Familie, Ece trägt darauf ein rosa Kleid. "Du bleibst für immer in unserem Herz", steht auf einer der Karten mit letzten Botschaften von Freundinnen. Am Dienstag jährt sich ihr Todestag. Es wird eine Gedenkfeier geben, um 7.25 Uhr läuten im Ort die Glocken. Zu dieser Uhrzeit wurden am Morgen des 5. Dezember 2022 die 14-Jährige und ihre damals 13-jährige Freundin auf dem Weg zur Schule niedergestochen. Um 9.30 Uhr starb Ece im Krankenhaus. Ein Jahr nach der brutalen Messerattacke sind im Ort noch immer Ängste zu spüren. Es gibt aber noch einen anderen "Stachel im Fleisch der Gemeinde". 

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    Begleitet von Tränen, Trauer und hunderten Menschen ist das in Illerkirchberg getötete Mädchen am Mittwoch beigesetzt worden. Viele trugen ein Foto des Mädchens an der Jacke.

    Wie an jenem Montagmorgen ist es auch dieser Tage bitterkalt. Kinder machen sich in der Morgendämmerung durch den kleinen Weg der Bucher Straße auf zur Bushaltestelle. So wie damals die beiden Mädchen. Sie wollten nach Wiblingen. Dort kamen sie aber nicht an. Seither begleitet eine Mutter jeden Tag ihre nun elfjährige Tochter auf dem Weg zum Schulbus. Mit dem Hund an der Leine passieren sie dabei den Tatort. Vor einem Jahr sei ihre Tochter hinter Ece und ihrer Freundin gelaufen. Sie habe den Vorfall gesehen und habe danach Hilfe in Anspruch genommen. Geredet werde darüber nun nicht mehr, das sei ihnen so nahegelegt worden. Aber die Mutter spüre, dass die Bilder noch nicht aus dem Kopf ihrer Tochter verschwunden sind. Die "Angst" sei immer noch da. Vor allem dann, wenn es draußen dunkel ist. 

    Flüchtlingsunterkunft in Illerkirchberg wurde abgerissen: Was folgt, ist offen

    Es gibt fast keine Gruppe von Schülerinnen und Schüler, die ohne Begleitung eines Erwachsenen am Morgen unterwegs ist. Es wird gelacht. Es wirkt zwar wie Alltag. In Gesprächen beteuern aber die Eltern, dass der 5. Dezember sie nach wie vor beschäftige. Damit so schnell wie möglich nichts mehr an die furchtbare Tat erinnert, wurde das Gebäude, in dem der Täter wohnte und herauskam, abgerissen. Anstelle der Flüchtlingsunterkunft gibt es nun eine Wiese, Sonnenblumen wuchsen darauf und ein von Kindern gestalteter Bauzaun steht auf dem Gelände. Eces Vater hatte sich beim Bürgerdialog dafür ausgesprochen, ein Spielplatz oder eine Spielwiese solle dort entstehen. Was tatsächlich einmal hier sein wird, ist offen. Diese Woche wurde eine Straßenlaterne errichtet, die den düsteren Ort erhellen soll.

    In dieser Woche noch herrschte Baustelle am Tatort in Illerkirchberg. Das düstere Eck bekommt eine Laterne.
    In dieser Woche noch herrschte Baustelle am Tatort in Illerkirchberg. Das düstere Eck bekommt eine Laterne. Foto: Michael Kroha

    Mit der Zukunft des Grundstücks setzt sich mittlerweile eine sogenannte "Fokusgruppe" auseinander. Teil davon sei unter anderem die Mutter der 13-Jährigen, die den Angriff überlebte, wie eine ältere Dame auf dem Friedhof in Illerkirchberg erzählt, die nach eigenen Angaben selbst zu jener Gruppe gehört und ihre ganz eigene Verbindung zur Messerattacke hat. Weil sich die Erwachsenen an jenem Morgen vertratscht hätten, sei ihre Enkelin wenige Augenblicke später an den Tatort gekommen. Ein Ersthelfer habe sie weggeschickt. Doch ihre Enkelin habe gesehen, wie Ece an der Mauer lehnte und blutete. Über die Schule bekam die Siebenjährige Kontakt zu einem Psychologen. Mit dem habe sie ein Buch über "schlimme Unfälle" angeschaut, seither seien die Albträume weg. Die Aufarbeitung funktioniere, sagt sie. "Die Welt ist besser geworden." Der Täter und dessen Mitbewohner, der sich kurz danach das Leben nahm, seien "Opfer unserer Asylpolitik". 

    Das Ulmer Landgericht ging im Sommer davon aus, dass der damals 27-Jährige, der als Asylbewerber aus Eritrea nach Deutschland gekommen war, an dem Montag einen Mitarbeiter des Landratsamts töten wollte. Er habe der Behörde die Schuld gegeben, sein Leben verpfuscht zu haben, weil er ohne Pass nicht nach Afrika habe reisen können, um dort eine Frau zu finden. Der Mann hatte am Tattag demnach gerade mit dem Messer aufbrechen wollen, als die Mädchen an seiner Unterkunft vorbeiliefen. Er habe befürchtet, sie könnten ihn verraten - und dass er seine Rache nicht würde ausüben können. Die Verurteilung zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe ist noch nicht rechtskräftig. Der Eritreer legte Revision ein. Man wolle die besondere Schwere der Schuld aberkannt bekommen, um eine Abschiebung in sein Heimatland schneller zu ermöglichen, erklärt seine Verteidigerin Corinna Nagel. 

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    Ein 27-jähriger Asylbewerber aus Eritrea steht ab heute wegen der tödlichen Messerattacke in Illerkirchberg vor dem Landgericht Ulm. Die Bilder vom Prozessauftakt.

    Illerkirchbergs Bürgermeister Markus Häußler ist ein Jahr danach "unglaublich stolz" auf die Menschen in seiner Gemeinde. Sie hätten sich nicht von Gerüchten und Falschbehauptungen sowie Kundgebungen von AfD, Identitärer Bewegung und Dritter Weg instrumentalisieren lassen. Vielmehr hätten sie sich hinter die Botschaft der beiden Familien gestellt, die dazu aufriefen, die Tat nicht für Hetze zu missbrauchen, sondern friedlich zusammenzuleben. "Es hat ein Zusammenrücken stattgefunden", sagt er.

    Häußler ist wichtig, das Verbrechen und die "richtige und wichtige" Debatte um die Asylpolitik zu trennen. Das aber macht nicht jeder im Ort. Ein Familienvater, der seine Söhne morgens immer bis zum Fuß des Berges in Richtung Grundschule bringt, wird bei der Frage, inwiefern ihn der 5. Dezember 2022 noch beschäftige, sofort politisch. Auf die Tat geht er erst gar nicht ein. Vielmehr treibe ihn um, dass jener Asylbewerber, der einst wegen der Halloween-Vergewaltigung 2019 zu einer Haftstrafe verurteilt wurde, nach seiner Entlassung wieder und weiterhin in Illerkirchberg lebt. Er sei eigentlich links eingestellt, aber das verärgere ihn. Auch, weil dadurch Parteien wie die AfD Aufwind bekomme - das sei "Bullshit". 

    Diesen Weg der Bucher Straße ging am Morgen des 5. Dezember 2022 die 14-jährige Ece mit ihrer Freundin. Sie wollten zur Bushaltestelle.
    Diesen Weg der Bucher Straße ging am Morgen des 5. Dezember 2022 die 14-jährige Ece mit ihrer Freundin. Sie wollten zur Bushaltestelle. Foto: Michael Kroha

    "Blamabel": Verurteilter Straftäter nach Halloween-Vergewaltigung wieder in Illerkirchberg

    "Die Welt wird immer schlechter", sagt eine ältere Dame, die mit ihrem Hund am Tatort vorbeiläuft. Was damals passiert ist, war "furchtbar" und meint damit auch die Ansammlungen von Menschen mit "protzigen SUVs von auswärts". Sie erwähnt ebenfalls den verurteilten Afghanen und kursierende Gerüchte, er habe vor Kurzem ins Fenster des Kindergartens geguckt. Eine Behauptung, die sich nicht verifizieren ließ, so Bürgermeister Häußler. Man habe sofort nach Bekanntwerden die Polizei eingeschaltet. Menschen, die das angeblich gesehen haben wollen, seien sich auf Nachfrage nicht mehr sicher gewesen. Häußler aber macht weiter keinen Hehl daraus, dass die Anwesenheit jenes Straftäters "der Stachel im Fleisch der Gemeinde" ist. Er nennt es "blamabel" für den Rechtsstaat, warnt jedoch davor, das zu vermischen. "Ein junger Mensch wurde ermordet. Das war und ist eine Situation, die ist nach wie vor unvorstellbar."

    Alle Artikel zum tödlichen Angriff in Illerkirchberg finden Sie hier.

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