Herr Häußler, Sie waren beim Zugriff der Polizei vor Ort, wenn auch in sicherem Abstand. Wissen Sie inzwischen mehr über den schrecklichen Vorfall?
MARKUS HÄUSSLER: Was passiert ist, ist tragisch und furchtbar. Mehr Infos als die, die die Polizei in ihrer Pressemitteilung herausgegeben hat, habe ich nicht. Wir waren am Abend noch vor Ort. Dort und später im Rathaus hat sich der Gemeinderat zusammengefunden. Um alle auf den aktuellen Stand zu bringen, aber auch um einen Moment der Stille einzulegen. Viele Kerzen haben bereits gebrannt. Blumen wurden niedergelegt.
Was wissen Sie inzwischen über die betroffenen Familien?
HÄUSSLER: Die Familie der Getöteten habe ich bereits besucht und kondoliert, ihr meine Anteilnahme und die des Gemeinderats ausgesprochen. Ich wollte nicht unangemeldet dort aufschlagen. Über einen Kontakt in die Familie hat es sich ergeben. Ich selbst habe zwei Kinder im Alter von zwei und vier Jahren. Als Familienvater geht das durch Mark und Bein. Man kann sowas sicherlich nicht verstehen oder nachempfinden. Aber jeder, der Kinder hat oder mit Kindern arbeitet, dem geht das nahe. Ich kann das gar nicht beschreiben. Es war bewegend.
Schon wenige Stunden danach, wo noch gar nicht bekannt war, dass eines der Mädchen stirbt, haben Sie der Familie Hilfe angeboten. Wie soll die aussehen?
HÄUSSLER: Ich habe ihnen gesagt, sie dürfen/sollen sich, wenn sie nur das Bedürfnis danach haben, melden. Ich kann mir aber vorstellen, dass in der Familie noch gar nicht angekommen ist, was da passiert ist. Sie werden das vermutlich erst nach Tagen der Trauer realisieren müssen. Mir war es aber wichtig, das Angebot der Gesprächsbereitschaft zu kommunizieren.
Als Tatverdächtiger gilt ein 27-jähriger Asylbewerber aus Eritrea. Die Polizei warnt vor Hetze, im Netz findet sie zum Teil schon statt. Befürchten Sie, dass Ängste geschürt werden?
HÄUSSLER: Wenn seriös berichtet wird, ist das in Ordnung. Es ist ein dramatisches Ereignis. Aber ich sehe das völlig losgelöst davon, ob Asylbewerber oder nicht. Für mich ist ganz zentral in der Sache: Ein Mädchen wurde in jungen Jahren aus dem Leben gerissen. Und nicht: Die Asylbewerber, die sind schuld. Die Tat ist es, die verabscheuungswürdig ist.
Was wissen Sie über den Tatverdächtigen? Waren der Gemeinde irgendwelche Probleme mit der Unterkunft bekannt?
HÄUSSLER: Wir kriegen nicht mit, ob es da zu Vorfällen kam oder nicht. Die Menschen leben seit mehreren Jahren schon da. Aktenführend ist in der Sache die Ausländerbehörde im Landratsamt. Wir würden lediglich informiert, sollte es beispielsweise in unseren Unterkünften zu Sachbeschädigungen kommen. Oder eben durch Zufall, wenn man es uns erzählt. Bekannt ist hier seit Jahren nichts.
2019 kam es in der Halloween-Nacht in einer anderen Asylbewerberunterkunft in der Gemeinde zu einer grauenhaften Vergewaltigung. Vier Flüchtlinge wurden verurteilt. Ist das bei den Menschen in Illerkirchberg noch präsent?
HÄUSSLER: Wir wurden darauf schon angesprochen, auch die Räte. Das kocht schon wieder hoch. Die Leute fragen: Was, das zweite Mal in ganz kurzer Zeit – und ausgerechnet in Illerkirchberg. Das ist natürlich Thema.
Welche Konsequenzen werden jetzt gezogen?
HÄUSSLER: Wir hatten bereits in der Vergangenheit einen sehr intensiven Austausch mit der Polizei. Den werden wir beibehalten. Aber Straftaten passieren, das hat der Vorfall gezeigt. Das ist bedauerlich, traurig und tragisch. Wir werden die Kooperationsgespräche fortführen. Einmal im Jahr mit dem Polizeipräsidium, zweimal im Jahr mit dem Polizeiposten. Das ist schon sehr engmaschig. Wenn uns jemand Verbesserungsmöglichkeiten aufzeigt, dann werden wir das tun. Allerdings nur in den Handlungsfeldern, die eine Gemeinde auch hat. Straftaten sind Aufgabe der Polizei, wir können immer nur Hinweise geben, vermitteln oder präventiv tätig werden. Das funktioniert sehr gut. Zur Unterbringung sind wir vom Gesetzgeber dazu verpflichtet. Wir können sie nicht einfach vor die Türe setzen.
Die betroffene Unterkunft in der Bucher Straße wirkt von außen ziemlich heruntergekommen.
HÄUSSLER: Die wurde während der Flüchtlingskrise 2015 gekauft mit der Absicht, dort mal etwas Neues zu bauen. Deshalb wurde dort bislang wenig Geld investiert. Aktuell sind wir um jeden Quadratmeter froh, wo wir Geflüchtete unterbringen können. Und wie das halt so ist, wenn mehrere Personen Räume gemeinsam nutzen. Da kann es auch mal unordentlich aussehen.
Der tödliche Messerangriff hat bundesweit für Schlagzeilen gesorgt. Wie viele Anfragen oder Rückmeldungen haben Sie erhalten?
HÄUSSLER: Ich habe sie nicht gezählt. Wir bekommen aus der ganzen Republik Beileidsbekundungen. Das überrascht mich. Eine davon ist beispielsweise aus Chemnitz. Wir werden sie sammeln und sie dann den betroffenen Familien weitergeben. Es ist beachtlich, was das für einen Kreis gezogen hat. Die Reaktionen sind sehr, sehr einfühlsam. Es sind nicht die, die man vermutet – keine mit Wut gespickten E-Mails.
Heißt, die Fremdenfeindlichkeit bleibt zumindest noch aus?
HÄUSSLER: Die Diskussion wird kommen. Es ist vollkommen klar, dass jetzt auch Leute einer etwas rechteren Gesinnung, sich lautstark zu Wort melden. Ich halte das nicht für angebracht. In erster Linie geht es darum, der Familie zu helfen. Der schreckliche Vorfall erfasst die ganze Gemeinde. Fremdenfeindlichkeit hat bei uns keinen Platz. Das habe ich auch nach dem Vorfall 2019 in Beutelreusch gesagt. Die Tat gilt es zu verurteilen und nicht die vermeintliche Bevölkerungsgruppe. Die jetzt in Sippenhaft zu nehmen, wäre falsch.
Wie geht es nun für Sie die Tage weiter?
HÄUSSLER: Alle Anfragen werde ich nicht beantworten können. Wir müssen nun schauen, wie wir als Verwaltung die Sache abbilden. Wer für welche Sachen zuständig ist, welche Behörden alle mit im Boot sind. Dort gilt es, Kontakt aufzunehmen.
Wird es eine Trauerfeier geben?
HÄUSSLER: Geplant ist bislang keine. Ich will das nicht ohne die Familie machen. Daher auch das Angebot zum Gespräch und wie man helfen kann. Wenn das eine Maßnahme sein könnte, dann ja. Aber nicht gegen den Willen der Familie.
Wie war die Stimmung am Tatort am Abend?
HÄUSSLER: Es herrschte große Betroffenheit. Allerdings waren auch Personen aus der Querdenker-Szene vor Ort, die ich ein bisschen unwürdig empfand, und deren Auftritt auch von anderen Trauernden unterbunden wurde. Lautstark gaben die politische Statements ab in Richtung von Verschwörungstheorien. Man würde sie anlügen. Die üblichen pauschalen Parolen. Das fand ich unpassend.
Als Sprachrohr einer Gemeinde, die bundesweit Schlagzeilen macht, wird man schnell auch Ziel wüster Anfeindungen. Sind Sie sich dessen bewusst?
HÄUSSLER: Ich hoffe, dass es nicht soweit kommt. Wobei eine Rücktrittsforderung mich in einer anonymen Mail schon erreicht hat. Wenn sachlich und fachlich diskutiert wird, muss man das als gewählter Vertreter nicht nur aushalten, sondern auch annehmen. Schönreden kann man da nichts. Ich war in der Situation noch nie und ich hoffe, dass auch nie wieder in so eine Situation kommen werde. Wir haben in der Vergangenheit viel getan. Wir haben eine Stelle für einen Integrationsmanager und eine Flüchtlingsbeauftragte geschaffen und besitzen einen engagierten Helferkreis. Wir werden uns der Diskussion stellen, dafür sind wir zuständig. Aber wir sollten sie auf sachlicher Ebene führen.
Zur Person
Zur Person: Markus Häußler ist seit Oktober 2020 Bürgermeister in Illerkirchberg mit seinen knapp 5000 Einwohnern. Der 37-jährige Diplom-Verwaltungswirt folgte auf Anton Bertele. Zuvor war der gebürtige Ulmer Leiter des Fachdienstes Mobilität und Verkehr im Landratsamt Alb-Donau-Kreis.
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